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Das Römische

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Es sind heuer eben zwei Jahrtausende, daß Cäsar mit der Niederwerfung des Vercinge- torix die Eroberung von Gallien beendete. Mit ihr vollstreckte sich die Entscheidung darüber, daß nicht allein der antike Kreis des Mittelmeers und sein Jahrtausend, sondern auch der folgende des Abendlandes mit einem anderen Jahrtausend lateinisch blieb.

Es ist nicht genug, die Daten dieses Vorgangs aus der Geschichte, die kriegerischen Schritte aus den Memoiren Casars zu betrachten. Man muß den eigentlichen Kolonisationsprozeß der folgenden Jahrhunderte, etwa in dem Standardwerk dieses Abschnitts, der „Historie de la Gaulle” von Camille Jullian, verfolgen, die weise Beschränkung der römischen Eingriffe auf militärische und administrative Schlüsselpunkte, die Wirkung der Anziehungskraft lateinischen Lebens darüber hinaus, die eigene gallische Entscheidung und Bemühung endlich, Lebensformen, Zivilisation und Götter, schließlich gar die Sprache zu übernehmen. Und dieses Rom hätte schwerlich solches vermocht, wenn es nicht vorher eine ähnliche Auf- und Annahmeleistung Griechenland gegenüber durchgemacht hätte, das ja im gleichen Gallien mit Massilia mächtig angesessen war. Uns erscheinen diese Dinge vielleicht fern und unglaubwürdig, und wir ruhen nicht gerne, bevor wir irgendwo den geheimen Knopf entdeckt haben, der auch sie als Puppen der Gewalt bewegt. Und doch ist es das Abc der Menschengeschichte, und wir kennen dergleichen nicht minder aus neueren Zeiten. Ist es nicht gerade Nietzsche, der die neuere Geschichte in italienische, spanische, französische Jahrhunderte einteilt, die jeweils sowohl mit der politischen Erstarkung als auch, wie etwa bei Italien, mit der vollkommenen Zersplitterung einhergehen. Wer hätte auch um 1750 das zaristische Petersburg, das friderizianische Berlin und das maria-theresianische Wien zwingen können, französisch zu sprechen. Aber man tat’s. Man führt sooft bewegliche Klage darüber, daß sich kein anderes Volk so hemmungslos fremden Einflüssen öffne und sich mit Fremdwörtern aussdimücke wie das deutsche. Diese Klagen, denke ich mir, müssen nicht wenig merkwürdig klingen, wenn man betrachtet, daß, von den slawischen, den kleinen nordischen und finnisch-ugrhchen Völkern abgesehen, die darin in ähnlicher Lage sind, die Deutschen die einzigen sind, welche eben nicht das Lateinische gänzlich, so wie das übrige Abendland, oder zur Hälfte, wie die Angelsachsen, angenommen haben.

Wir finden endlich dieselben Kräfte in der gegenwärtigen Welt, wo sie freilich zu Anglo-, Germano- und Russophilen verkümmert sind. Freilich leben auch sie aus Geistesmacht, doch haben sie ihre beste Tugend verloren, da sie — nicht mehr und noch nicht — rein überzeugend, unwiderstehlich, eingängig, ordnend wirken, sondern selbst die Konflikte erzeugen.

Die innere Bewältigung ist nämlich auch von dieser Seite her der Schlüssel zu der Idee des Universalen, ohne den das Römische nicht zu denken ist. Gerade der stärkste, ausgeprägteste, energischeste Nationalcharakter gewinnt dann etwas Übernationales und Ver- bindlich-Verbindendes, einen Zug, den in letzten Zeiten mancher am englischen Wesen entdeckt haben will. In dem Augenblick, in welchem man dus der provinziellen Unverantwortlichkeit einer Macht zweiten oder dritten Ranges, die für sich und abgesondert zu bestehen vermag, in eine Weltverantwortung der ersten Reihe eintritt, ist die Erfahrung unausweichlich, daß an der Vermittlung, an der Kommunikation unsere Sprache wie unser Leben hängen. Hier liegt das deutsche Testament Goethes.

Wo nun ein solches Volk in seiner Welt wie das Korn in seiner Lösung wirkt, in der es die Kristallisation hervorruft, bleibt das kristallisierte Gebilde bestehen, auch wenn das Korn entfernt wird. Wir ermessen damit eine andere Dimension, die wir zeitlich gegenüber der räumlichen nennen können. Das Imperium wirkt weiter, auch nachdem längst jene alte lateinische Stammeskraft aufgezehrt ist, und insoferne spricht man von einer Roma aeterna, die nicht nur eine antike, sondern auch eine gegenwärtige Kraft ist. Die Mittlerkraft des Reiches erschöpft sich nicht nur in seiner übervölkischen Wirkung, welche einmal die widerstrebenden Staaten und Nationen einte, sondern sie liegt darüber hinaus in einer überzeitlichen, welche die nachfolgenden historischen Epochen durchläuft. Mitten durch ein Volk wie das deutsche hebt sich Limes und Vorfeld römisdier Kolonisation hochbedeutsam nach Jahrtausendfrist noch einmal in dem Ergebnis der Reformationskämpfe, noch einmal Ln den Konflikten zwischen Österreich und Preußen hervor. Dieselbe Wirksamkeit äußert sich fast kontinuierlich in der Kette sich immer wiederholender und ablösender Renaissancen, aus denen sich unsre Geschichte zusammensetzt. Man mag sehr wohl die Unterschiede in Bedeutung und Charakter betrachten, welche etwa zwischen der karolingischen Renaissance des 8./9. Jahrhunderts, der ottonischen des elften und den stauffischen Bewegungen bestehen. Man kann die eigentliche und große Renaissance bis ins dreizehnte Jahrhundert zu Dante, ja zu Kaiser Friedrich II. vorauserstrecken, man kann weiter betrachten, wie sich das Bild der Antike von eben jener Renaissance ins Barock, von dort ins Rokoko verwandelte, wie es von der deutschen Klassik neu entdeckt, wieder von der Neu-Romantik mit Nietzsche, vom Naturalismus mit Ger- hart Hauptmann entwickelt wurde. Und so fort durchaus in unsre Zeit. Wie vielfältig und verschieden untereinander aber auch die Brechungen, Bilder, Bewegungen sind, so ist doch merkwürdiger noch, daß es immer wieder derselbe Punkt ist, auf den sie hinbezogen werden, und eine Gestalt, die sich in vielen Spiegeln abbildet.

Nun gibt es aber neben der räumlichen und zeitlichen, der politischen und historischen Wirkung, noch eine dritte, pneumatische. Dieser Reichsgedanke verbindet nicht nur die Völker und Zeiten, sondern er ist auch die große Klammer um Geist und Materie, ewigen und irdischen Bezug, Ordnung und Verwirklichung, wie sie uns ewig auferlegt ist und dennoch nie gelingen kann. Auf ihm erhebt sich die Gestalt der Kirche, die den Namen der römischen trägt. Eindrucksvoll macht ihr Dostojewsky zum Vorwurf, sie habe das Himmelreich mit dem Imperium Romanum und Christus mit Apollon vermischt. Und dies trifft genau die Spannung, welche darin liegt, das Reich, das nicht von dieser Welt ist, doch auf dieser Welt zu verkünden und abzubilden; die einsam vor Gott stehende Seele mit dem Zoon politikon zu verbinden, dem Gemeinschaftswesen des Aristoteles, der gesamten Antike. Es ist kein Zufall, daß der Blitz in die höchste Tanne schlägt, daß dieses ungeheure Unternehmen, das ungeheuerste der Weltgeschichte, von Rom aus und in einem lateinischen Ritus erfolgt. Mit ihm nämlich wird die Verbindlichkeit, welche re-ligio meint, allgemein — und dies eben ja heißt katholisch.

So kann man wohl sagen, daß sich mit jenen alten Kämpfen Dinge anspannen, welche die Welt bewegen. Dabei haben wir kaum einige allgemeine Betrachtungen angestellt, kein Wort etwa über die weiten Bereiche der Sprache, des Rechts, der Kunst, der Dichtung. Und man kann es sicher um so besser behaupten, je mehr man in sie vorgedrungen ist. Wir befinden uns damit selbst in einer mittleren Lage, da uns erst mit einem gewissen Quantum an Erfahrung die größeren Zusammenhänge ins Bewußtsein treten. Nur insofern wir naiv sind, sind wir auch überzeugt, stets ganz von vorne anzufangen. Und wo sich heute Ost und West entgegentreten, so vermögen dort die jungen Kräfte noch viel weniger zu ahnen, wie sehr auch sie an alten Positionen hängen, etwa an der von Ost-Rom zu West-Rom.

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