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Der umkämpfte Pol

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In der Antarktis, einer der wenigen Zonen der Welt, die demilitarisiert und entnuklearisiert sind, und in denen Souveränitätsprobleme zumindest für Jahrzehnte aufs Eis gelegt zu seih schienen, droht wieder einmal das völkerrechtliche und politische Chaos. Der argentinische provisorische Präsident Raul Lastiri, ist nämlich mit seiner Regierung 3300 Kilometer weit zu der Militärbasis Vicecomodoro Marambio geflogen, um dort, bei 24 Grad Kälte, zum „Tag der Luftwaffe“ während einer symbolischen Kabinettssitzung die Souveränität Argentiniens über die „südlich gelegenen antarktischen Gebiete“ zu bekräftigen. Grund für diese ungewöhnliche Kundgebung war eine brasilianische Expedition. Ihr Leiter, Joäo Aristi-des Wiltgen, ist der Präsident des Säo Pauloer Ingenieurs Clubs. Das Unternehmen wurde von dem brasilianischen „Institut für Antarktis-Studien“ organisiert und mit Mitteln der brasilianischen Privatindustrie finanziert. Die Regierung hielt sich offiziell zurück, um eine ernste Konfrontation mit Argentinien zu vermeiden. Sie hat abgelehnt, ein Kriegsschiff oder Militärflugzeug zur Verfügung zu stellen. Die Organisatoren charterten deshalb ein privates Expeditionsschiff, doch zweifelt niemand in Buenos Aires daran, daß die brasilianische Regierung hinter dem von Argentinien als Affront empfundenen Vorhaben steht.

1950 erhoben sieben Staaten Besitzansprüche auf Teile des Südpolgebietes: Argentinien, Australien, Chile, die USA, Norwegen, Neuseeland und Frankreich. In diesem Jahre richtete die Sowjetunion eine Botschaft an die erwähnten Länder, derzufolge sie keine Regelung in der Antarktis anerkennen werde, die ohne ihre Zustimmung zustande gekommen sei. Eine Chance für eine internationale Lösung hätte sich in dem von der UN proklamierten „In-tionalen Geophysikalischen Jahr“ 1957/1958 ergeben. Damals wurden von den genannten sieben Ländern, dazu von Japan, Belgien, Südafrika und der Sowjetunion, wissenschaf-liche Expeditionen ausgerüstet, die in sehr günstiger Atmosphäre zusammenarbeiteten. Auf Graham-Land, einer der umstrittensten Zonen, funktionierten 11 englische, 7 argentinische und 6 chilenische Forschungsstationen. Auf Anregung Eisenhowers traten diese zwölf Länder 1959 in Washington zu einer Antarktis-Konferenz zusammen. Während die USA und die Sowjetunion — in ganz ähnlicher Optik wie bei der Weltraumfahrt — die Inter-nationalisierung des Südpolgebietes befürworteten, bestanden Argentinien und Chile auf Souveränitätsrechten. Gleichzeitig wandten sie sich scharf gegen eine mögliche Atomverseuchung. Schließlich wurde vertraglich festgelegt, daß die Souveränitätsrechte für die Dauer des 30jährigen Vertrages „einfrieren“ sollten, und daß mit einer weiteren Tätigkeit auf wissenschaftlichem Gebiet keine neuen Rechte entstehen dürften. Die Antarktis wurde „demilitarisiert“, Atomexplosionen nur zu friedlichen Zwecken und bei Zustimmung aller Vertragsstaaten zugelassen. Jeder Vertragsstaat kann jede Base eines andern Vertragsstaates unbeschränkt daraufhin kontrollieren, der Vertrag, der regelmäßige Konsultationskonferenzen vorsieht, funktionierte bisher gut. Die Wissenschaftler auf den Basen tauschen regelmäßig Informationen aus, besuchen einander und gewähren einander Hilfe.

Brasilien war zu der Washingtoner Konferenz nicht eingeladen worden. Der Abgeordnete der brasilianischen Regierungspartei „ARENA“, Eüripi-des Cardöso de Menezes, erklärte jedoch wiederholt, Brasilien müsse die Zone der Antarktis besetzen, die ihm gehöre. Oliveiras Litrento, Professor für Internationales Recht, sagte zur Presse in Rio de Janeiro: „Brasilien ist an keinen Vertrag gebunden, der sich auf Rechte im Südpolgebiet bezieht. Deshalb kann es auch keine fremden Ansprüche verletzen, wenn es eine Expedition entsendet.“ Er begründete die brasilianischen Forderungen nach der Theorie des „Dreieckskegels“, man teilt die Zone tortenmäßig auf auf und verlegt die Spitze jedes Dreiecks in den Pol. Diese Methode ist allerdings am Nordpol angewendet worden, wird aber für den Südpol abgelehnt und die Ansprüche Brasiliens überschneiden sich daher mit jenen Argentiniens und Englands.

Die brasilianische Zeitung „O Globo“ schreibt: „Brasilien ist, wie Argentinien, durch seine Lage am Südatlantik und durch die Geschichte an die Antarktis gebunden.“ Ein weiteres Motiv, das die Brasilianer anführen, bezieht sich auf die klimatische Wirkung der „Schlechtwetterfabrik“ Antarktis. Der brasilianische Meteorologe Rubens Junqueira Vilela wies darauf hin, daß die verheerenden Frostschäden, die 1953, 1955, 1963 und 1969 Im Süden und im Zentrum Brasiliens entstanden, auf ungeklärten Windverhältnissen in der Antarktis beruhten, deren wissenschaftliche Untersuchung von größter Bedeutung für das Land wäre.

Nun ist die wirtschaftliche Bedeutung der Antarktis noch nicht völlig geklärt. Die Auswertung der sagenhaften Rohstoffvorräte ist in absehbarer Zeit kaum durchführbar. Der Washingtoner Antarktisvertrag kann nur mit Einstimmigkeit verändert werden, aber Brasilien könnte ihm beitreten. Trotzdem die „aggressive und expansionistische Außenpolitik Brasiliens“, von der man in Argentinien spricht, langfristig angelegt ist, kann man sich nur schwer vorstellen, daß Brasilien in Bälde ein Forschungsschiff auf die Reise schickt, um 1991, bei Ablauf der Vertragsdauer, Mitspracherechte geltend machen zu können.

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