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Großmacht „zweiten Ranges“

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Der spektakuläre Plan für den Aufbau brasilianischer Kernkraftwerke, der im Rahmen eines Milliardengeschäftes mit der Bundesrepublik verwirklicht werden soll, beruht auf wirtschaftlichen und politischen Erwägungen. Brasilien will die Bedarfslücke, die sich für 1990 abzeichnet, schließen und sich: gleichzeitig als selbständige Atommacht ohne Abhängigkeit von den USA und mit eigener Technologie entwickeln, und den argentinischen Vörsprung einholen! Dieses anspruchsvolle Vorhaben hat die Vermutungen, daß es bei'seinem Streben um eine Großmachtstellung in den Atomklub vorstoßen werde, verstärkt.

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Der spektakuläre Plan für den Aufbau brasilianischer Kernkraftwerke, der im Rahmen eines Milliardengeschäftes mit der Bundesrepublik verwirklicht werden soll, beruht auf wirtschaftlichen und politischen Erwägungen. Brasilien will die Bedarfslücke, die sich für 1990 abzeichnet, schließen und sich: gleichzeitig als selbständige Atommacht ohne Abhängigkeit von den USA und mit eigener Technologie entwickeln, und den argentinischen Vörsprung einholen! Dieses anspruchsvolle Vorhaben hat die Vermutungen, daß es bei'seinem Streben um eine Großmachtstellung in den Atomklub vorstoßen werde, verstärkt.

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Im letzten Jahrzehnt konzentrierte sich Brasilien auf die Konstruktion von Wasserkraftwerken. Das größte der Welt — Italpü — wird gemeinsam mit Paraguay am Paranä-Fluß errichtet. Es soll 1982 fertig sein und 12 Millionen Kilowatt produzieren, zusammen mit den andern 25 Millionen Kilowatt. Nach den Berechnungen wird aber 1990 der Bedarf um 10. Millionen Kilowatt höher sein. Um ihn zu decken, sollen bis dahin 8 Kernkraftwerke errichtet werden. Sie sollen aber nicht als Ware nach Brasilien importiert, sondern dort in Zusammenarbeit von bundesdeutschen und brasilianischen Experten entwickelt und am Schluß aus 90 Prozent eigenfabrizierten Materials hergestellt werden. Wie der Präsident der brasilianischen Atombehörde „Nuolebräs“ Paulo No-gueira Batista erklärte, sollen für die eigene Nuklear-Industrie in den nächsten 5 Jahren 3000 Techniker höheren Niveaus ausgebildet werden. Da Brasilien über große Uranvorkommen verfügt, soll ein großer Teil seiner Leistungen an die Bundesrepublik tin diesem Mineral erfolgen, ein Ziel, das mit der Formel: „Tausch deutscher Technologie gegen brasilianisches Uran“ gekennzeichnet wird.

Die Weigerung der USA, ihre Fachkenntnisse den Brasilianern zugänglich zu machen, hat zu diesem sensationellen Partnertausch geführt. Das einzige in Bau befindliche brasilianische Atomkraftwerk in Angra dos Reis (bei Rio de Janeiro) wird von General Electric und Westing-house, die bisher den brasilianischen Markt monopolisierten, errichtet. Diese Firmen haben fieberhafte Bemühungen unternommen, um im Geschäft . zu bleiben. Aber abgesehen davon, daß sie auf Anweisung ihrer Atomenergiekommission in der Frage der Technologie den Brasilianern nicht entgegenkommen konnten, basiert die nordamerikanische Methode auf der Verwendung von Uranium, das in den Vereinigten Staaten angereichert ist Damit würde Brasilien in der Energieerzeugung von den USA vollkommen abhängig bleiben — ganz im Sinne des famosen Atomsperrvertrags. Die kürzliche

Exportsperre für Kernbrennstoff und die plötzliche Verdreifachung oder Vervierfachung des „Anreicherungslohnes“ durch die USA beweisen, wie begründet die brasilianischen Befürchtungen waren. Brasilien, das den Sperrvertrag nicht unterschrieben hat, will deshalb trotz der außerordentlichen Kosten mit Hilfe der Bundesrepublik die Uran-arireicherunig im „Zentrifugeraver-. fahren“ selbst diurchführen.

Ganz abgesehen davon, will sich Brasilien zu einer Großmacht zweiten Ranges entwickeln und muß dazu als erstes, das Image eines Satelliten-Staates der USA beseitigen. Auf machtpolitischer Ebene will es aber außerdem verhindern, daß Argentinien den Vorrang behält, den es zurzeit erobert hat. Es hat als erstes lateinamerikanisches Land das von Siemens konstruierte Kernkraftwerk in Atucha 1974 in Betrieb genommen und will bis 1981 zwei weitere durch ein italieniisch-kanadi-disches Konsortium, unter Verwendung von Natururan, errichten.

Auch Argentinien hat den Atomsperrvertrag nicht unterzeichnet. Seitdem Indien, dessen internationale Rechtslage ähnlich ist, die Atombombe entwickelt hat, hat es in den USA nicht an Stimmen gefehlt, die ständig davor warnten, daß sich Argentinien nicht auf die Atompro-duktion „zu friedlichen Zwecken“ beschränken werde. Aber der Präsident der „Nationalkommission für Atomenergie“, Konteradmiral Pedro Itaolagoitia, wandte sich anläßlich der 25-Jahrfeier seiner Organisation gegen diese Vermutungen. Er erklärte, daß Canada die größten S<hiwierigkeiten mache, Argentinien die Atomtechnologie veieinbarungs-gemäß zu übermitteln: auch sei das Land aus Mangel an Experten organisatorisch und finanziell zu einem solchen Vorhaben außerstande, ganz abgesehen davon, daß es sich damit jeder ausländischen „technischen Hilfe“ berauben würde. Auch meldete die führende Zeitung „O Estado de Sao Paulo“, daß in brasilianischen milatärfschen Kreisen kerne Absicht bestehe, in „mittlerer Frist“ eine Atombombe zu fabrizieren.

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