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Netter, alter Herr

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Der brasilianische Präsident, Emilio Garrastazü Medici, hat in seiner Botschaft zum Jahreswechsel mit Recht den Aufstieg Brasiliens gefeiert, der in seinem Ausmaß nur mit dem Aufstieg Japans verglichen werden kann. Das Brutto-Sozialprodukt ist um 10,4% gestiegen, die Exporte haben 3600 Millionen Dollar erreicht, und die Inflation ist auf 14 gebremst worden. Gleichzeitig hat Medici aber die Zensur und die Aufhebung der persönlichen Freiheiten verlängert und das Problem seiner Nach-iolge überhaupt nicht erwähnt.

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Der brasilianische Präsident, Emilio Garrastazü Medici, hat in seiner Botschaft zum Jahreswechsel mit Recht den Aufstieg Brasiliens gefeiert, der in seinem Ausmaß nur mit dem Aufstieg Japans verglichen werden kann. Das Brutto-Sozialprodukt ist um 10,4% gestiegen, die Exporte haben 3600 Millionen Dollar erreicht, und die Inflation ist auf 14 gebremst worden. Gleichzeitig hat Medici aber die Zensur und die Aufhebung der persönlichen Freiheiten verlängert und das Problem seiner Nach-iolge überhaupt nicht erwähnt.

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Der brasilianische Präsident Emilio Garrastazü Medici ist weder ein Hitler noch ein Mussolini. Er ist ein würdiger älterer Herr, der seinem Volk liebevoll auf die Schulter klopft, um ihm ins Ohr zu flüstern, daß er doch eigentlich viel besser wisse, was Brasilien nütze, als irgendein Fernsehzuschauer. Er meint es ernst, wenn er sagt, daß das Volk über den Erfolg seiner Präsidentschaft entscheiden werde. Er betont bei jeder Gelegenheit, daß er nicht an seinem Amt klebe. Ob er es auch ganz ernst meint, darüber gehen die Ansichten auseinander. Die Verfassung wird unaufhörlich geändert. So wird der Präsident jetzt in indirekten Wahlen vom Parlament bestimmt. Da die alten Parteien abgeschafft und durch die „A. R. E. N. A." ersetzt ist, neben der die Oppositionspartei, „M. D. B.", ein Schattendasein führt, besteht kein Zweifel, daß ein Telephongespräch des Präsidenten die Frage nach dem künftigen Staatsoberhaupt lösen könnte; ohne Zweifel wird ein dreisterniger General die Geschicke Brasliens auch bis 1978 lenken. Es ist deshalb erstaunlich, daß der Presse der ohnedies umgebundene Maulkorb für die Diskussion um die Präsidentennachfolge völlig zugesperrt wurde. Es gibt dafür nur die Deutung, daß tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Offlzierskreise die öffentliche Diskussion unangebracht erscheinen ließen.

Nach dem brasilianischen Modell gibt es zwar eine Alleinherrschaft der Generale, die aber — und das ist das Entscheidende — die Staatsaufgaben, von denen sie nichts verstanden, auf eine Elite von Technokraten übertrugen, deren Entscheidungen sie achten, ohne sich ihnen unterzuordnen. Der einzigartige Erfolg des brasilianischen Starts zur Großmacht beruht darauf, die Prioritäten bei steilem Wirtschaftsaufstieg durchzusetzen, mit dem gleichzeitigen Verbot an die Presse, Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung auch nur zu kritisieren. Damit wird das Bild der Stabilität noch ins Gigantische gesteigert. Das Auslandsgeld strömt nach Brasilien, die Reserven erreichten 3 Milliarden Dollar, so daß der brasilianische Hjal-mar Schacht, der Minister Delfim Netto, die Auslandsverschuldung bremsen mußte. Bei Darlehen aus dem Ausland müssen 25 Prozent deponiert werden, aber auch so erstickt Brasilien an der Auslandsschuld (7 Milliarden Dollar), deren Verzinsung bald untragbar werden kann, wenn der Boom aufhört. Die Reise des Präsidenten nach Washington war ein zweischneidiger Erfolg. Nixon hat mit den Worten seiner Tischrede „Lateinamerika wird den Weg Brasiliens gehen" den internationalen Beziehungen einen Schlag versetzt, denn nichts fürchten die andern mehr als eine brasilianische Hegemonie.

Das Erstaunliche ist, wie störungsfrei sich ein Regime entwickeln kann, das zum Volk wenig sichtbare Beziehungen unterhält. Gewiß protestieren Anwaltsverbände oder hohe Richter ständig gegen die Aufhebung des „Habeas corpus" oder gegen das „Verfassungsdekret Nr. 5", durch das der Präsident ohne Angabe von Gründen den „bürgerlichen Tod" jedes Staatsangehörigen mit einem Federstrich verfügen kann, indem er ihm auf zehn Jahre jede politische Betätigung verbietet. Von dieser „Befugnis" wurde etwa 350 politischen Gegnern gegenüber Gebrauch gemacht (unter ihnen zwei Expräsiden-ten: Goulart und Quadros). Eine andere entscheidende Maßnahme des Regimes bezieht sich auf die Absetzbarkeit der Richter, denen damit die Macht genommen wurde, Willkürakten entgegenzutreten. Wie schwach die Kraft derer ist, die eine Rückkehr zur Demokratie anstreben, sieht man daraus, daß die Mehrheit des „14. Nationalkongresses der Journalisten" in Säo Paulo das Problem der Pressefreiheit nicht einmal diskutieren wollte.

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