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Boliviens explosive Minen

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Bolivien, der einzige Staat Lateinamerikas, in dem die Träger einer klassenkämpferischen Revolution seit zehn Jahren mit 350 Millionen Dollar von den USA über Wasser gehalten werdenį zeigt erstaunliche Kontraste: Blutige Zusammenstöße zwischen kommunistischen Minenarbeitern und Landarbeitern, die auf Seiten der „nationalrevolutionären“ Regierungs- „bewegung“ stehen, folgen einer chronisbhen Autoritätskrise, bei der die kommunistischen Gewerkschaftsführer in Sigio XX einen „Staat im Staate“ errichtet haben. Das Direktorium der staatlichen Minengesellschaft stellte den Arbeitern ein Ultimatum: Wenn sie nicht die Sabotage des Dreiecksplans aufgeben, mit dem die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik und die Interamerikanische Entwicklungsbank unter Aufwendung von 46 Millionen Dollar die Zinnminen sanieren, und so den Unruheherd beseitigen wollen, riskieren sie, daß die größte Zinnmine Amerikas,

„Catavi-Siglo XX“, vollständig geschlossen wird.

Während der bolivianische Präsident Dr. Paz Estenssoro den Rücktritt der beiden kommunistischen „Herrscher" — Federico Escobar und Irinero Pimentei — fordert, kündigt er gleichzeitig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu der Sowjetunion an, um seinen Gegenspielern — im Innern — ein wichtiges Argument und — von außen — solidarische Hilfe zu nehmen. Auf kleinem und fernem Raum geht eine Ost-West- Auseinandersetzung vor sich …

Einst lebte Bolivien vom Silber. Seitdem der kleine Angestellte einer Mine Simon J. Patino am Anfang dieses Jahrhunderts mächtige Zinnadern entdeckte und zu einem der reichsten Männer der Welt wurde, haben er (58 Prozent), Mauricio Hochschild (26 Prozent) und Carlosl Victor Aramayo (5 Prozent), die „Zinnbarone“, den Weltmarkt und die bölivianische Wirtschaft kontrol-

liert. Bei ihnen kassierten sogar die Offiziere oft ihren Sold.

Von den Zinnbaronen zur Verstaatlichung

Nach der Revolution, mit der der „MNR“ (Movimiento Nacionalista Revolucionario — Nationalrevolutionäre Bewegung) an die Macht kam, nationalisierte der Präsident Dr. Paz Estenssoro 1952 die „großen Minen“ (in denen zwei Drittel produziert wurden). In den Gründen des Dekretes heißt es: „Weil der bolivianische Staat im Gegensatz zu der maßlosen Bereicherung der Zinnmagnaten immer mehr verarmte“ … und „die Produktionsmethoden so unmenschlich … sind, daß die Untertagsarbeiter im Durchschnitt kaum 27 Jahre alt wurden …"

Da Bolivien — trotz aller Bemühungen — nicht über eine eigene Zinnschmelze verfügt, kam es kurz nach der Verstaatlichung — unter nicht ganz geklärten Umständen! — zu einer

Einigung mit den „Zinnbaronen“. Während die Minengesellschaft Millionen verlor, zahlte sie Patino, Hochschild und Aramayo (von 1952 bis 1961) 20 Millionen Dollar Entschädigung. Die zum Patino-Konzern gehörige Zinnschmelze William Harvey &Co. Ltd.-Liverpool übernahm wieder die sogenannte „Zubereitung“ und sprang auch in den letzten Jahren wiederholt mit Darlehen ein.

Denn nach der Verstaatlichung nahm die Produktion nicht zu, sondern ab — in den verstaatlichten Minen von 29.000 auf 16.000 Tonnen jährlich. Die Mindestproduktion für die Rentabilität liegt bei 25.000 Tonnen.

Der alarmierende Rückgang der Produktion beruht zunächst darauf, daß die schon vor 13 Jahren erschlossenen Zinnvorkommen erschöpft sind. Während Patino Minerale mit einem Zinngehalt von 70 Prozent fand, werden sie jetzt mit 0.6 Prozent gefördert. Um überhaupt die Produktion aufrechterhalten zu können, müssen deshalb neue Vorkommen erschlossen werden, die in einer Entfernung von 20 bis 60 km von dem Riesenwerk Sigio XX gefunden wurden und 15 Jahre reichen sollen. Zu diesem Zweck müssen unabhängige ausländische Geologen mit modernen Bohrmaschinen eingesetzt werden, während bis vor kurzem sogar Bohrdiamanten, Pumpen und Rohre fehlten. Der ganze Betrieb litt unter den veralteten Maschinen — Dieselmotoren aus den Jahren 1910 und 1931! — und dem Mangel an Ersatzteilen. Hier soll der Dreiecksplan helfen.

Dienstag: Reis, Donnerstag: Nudeln

Weiter ist aber die tragische Lage der bolivianischen Minen ein Problem der Not. Die Arbeitsdisziplin ist gering. „Man“ will über und nicht unter Tag arbeiten. Willkürliche Streiks sind häufig. „Man“ arbeitet wenig. „Man“ hat Hunger — trotz Cocakauens. Der Verdienst reicht nicht zu menschenwürdigem Leben. Bis vor kurzem bekam der Arbeiter für seine oft sechs- bis achtköpfige Familie in den sogenannten „Pulperias“, den Konsumgeschäften, auf die er praktisch angewiesen ist, am Tage 10 bis 300 Gramm Brot, jeden zweiten Tag 1 kg Fleisch für etwa 1 DM, in der Woche 1,50 kg Reis für 70 Pfg .Dienstag gibt es

Reis, Donnerstag Nudeln… Wie sollen wir satt werden?“ sagte mir ein Arbeiter in Catavi. In den zehn Jahren seit der Revolution sind nur ein luxuriöses Schwimmbad und 86 kleine Wohnung als „Aushängeschild“ gebaut worden. Sie hausen noch zu acht in Löchern 3,50 zu 4 Meter. Sie sind hungrig, verbittert und enttäuscht.

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