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Der Präsident und sein Gegenspieler

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Obwohl die Minenarbeiter vor elf Jahren die Revolution gewonnen haben, standen sie von Anfang an auf dem linken Flügel des MNR im Gegensatz zu der Regierung des Präsidenten Dr. Paz Estenssoro. Zu seinem rechten Flügel gehört der Präsident der staatlichen Minengesellschaft COMIBOL (Corporaciön Minera Boliviana), Doktor Guixllermo Bedregal, der u. a. in Madrid und Heidelberg Nationalökonomie studiert hat und perfekt Deutsch spricht. Er verlangt — im Einklang mit der Regierung und der sogenannte „Beratergruppe“ des „Dreieckplans“, daß — unter 6000 Mann Belegschaft — etwa 2000 „überzählige Arbeiter“, die nur aus Solidarität mitgeschleppt wurden und keine produktiven Aufgaben erfüllen, entlassen werden, um zu einer Rentabilität der staatlichen Minen zu gelangen. Zur Zeit verlieren sie eine Million Dollar im Monat, die Hälfte in „Catavi- Siglo XX“. Die Herstellungskosten betragen für das Pfund Zinn zur Zeit zwei Dollar, während der Weltmarktpreis um 1,10 Dollar schwankt!

Nun waren schon im Vorjahr etwa 1000 „überzählige“ freiwillig gegen eine Abfindungsentschädigung von durchschnittlich 700 Dollar ausgeschieden. Der zwangsweisen Entlassung von Arbeitskollegen, die noch dazu aus dem Hochland in die Tropen verpflanzt werden sollen, kann kein Gewerkschaftsführer zustimmen, ohne die Gefolgschaft zu verlieren. Der „Arbeitsdirektor"(control obrero) Senator Arturo Crespo wird als Gegenspieler Dr. Bedregals in Catavi genannt. Dabei ist er — als Mitglied des MNR — der maßvollste der Gewerkschaftsfunktionäre.

Die Minenarbeiter sind Indios und zu 70 Prozent Analphabeten. Die Minengesellschaft hatte jahrelang Lehrer für den Abc-Unterricht für hohen Lohn angestellt. Niemand aber lernte. Nach dem Plan Crespos wird die Gewerkschaft jedem Lehrer 50 Schüler zuweisen, aber nur ein „Erfolgshonorar" zahlen. Um die Schüler vom „Schwänzen“ abzuhalten, bekommen sie „Tarjetas de alfabetiza- cion“: „Karten des Abc-Unterrichts“. Wenn auf ihnen nicht der regelmäßige Besuch des Unterrichts bescheinigt ist, soll ihnen eine Strafe vom Lohn abgezogen und vor allem der Besuch des Kinos verweigert werden.

Crespo ist in einer schwierigen Situation. Die Arbeiter machen ihn als Repräsentanten der Regierungspartei MNR dafür verantwortlich, daß sich ihre wirtschaftliche Lage nach der Revolution nicht gebessert hat. Sogar in seinem Bezirk Catavi haben die Kommunisten und Trotzkisten zusammen mehr Stimmen als seine Partei.

Zwei „Anwälte“?

Noch radikaler ist dagegen die Stimmung in der eigentlichen Mine Sigio XX. Dort haben die Kommunisten bei den Parlamentswahlen die Mehrheit erhalten. Der Sender „Die Stimme des Minenarbeiters“ ist in ihren Händen und hetzt gegen den katholischen Lehrsender „Pio XII“, während der MNR dort ganz zurücktritt. Zwei kommunistische Gewerkschaftsführer, Federico Escobar und Irineo P i m e n t e 1, beherrschen die Zone. Vor einigen Jahren verhaftete sie die Regierung als Anstifter einer Revolution. Dadurch mißlang sie. Beide aber wurden nach einem Generalstreik in den Minen befreit und kehrten in ihre Funktionen zurück.

So bleibt abzuwarten, ob es der Regierung dieses Mal gelingt, den Rücktritt der beiden zu erzwingen und die Staatsautorität in den Minen wiederherzustellen, die sich sonst leicht von der durch Hunger und Demagogie genährten „kommunistischen Festung Nr. 1 Lateinamerikas“ in den Ausgangspunkt einer neuen fideli- stischen Revolution verwandeln kann.

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