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Boliviens „Triumvirat“

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Der mißlungene Staatsstreich und die fortgesetzte Verhängung des Ausnahmezustandes sowie die Verhaftung des Expräsidenten Dr. Siles Zuazo lenken die Aufmerksamkeit auf die Machtkämpfe, die sich hinter den Kulissen der bolivianischen Innenpolitik abspielen.

Im Jahre 1952 unternahm der

MNR, die nationalrevolutionäre Bewegung — einst oft mit der NSDAP verglichen! —, einen erfolgreichen Aufstand. Die Minenarbeiter besiegten „das Gewehr in der einen, Dynamit in der anderen Hand“ das sogenannte „Heer der Oligarchie“ unter großen Verlusten. Die großen Minen der Zinnbarone Patio, Aramayo und Hochschild (die inzwischen 20 Millionen Dollar Entschädigung bekommen haben) wurden ebenso wie der Großgrundbesitz enteignet. Aber die Not blieb unverändert. Das durchschnittliche Jahreseinkommen, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, liegt bei etwa 2500 Schilling jährlich. Um das Chaos, den Auftakt zum Kommunismus, zu vermeiden, zahlte Washington zeitweise bis 30 Prozent des Staatshaushaltes. Jetzt sind die USA, die Bundesrepublik und die BID — die interamerikanische Entwicklungsbank — dabei, in einem Dreiecksplan mit 900 Millionen Schilling die Minen, an denen der bolivianische Staat 8,5 Millionen Dollar im Jahr verlor, rentabel zu machen. Sie arbeiten mit Dr. Paz Estenssoro zusammen, der kürzlich — bei Stimmenthaltung der unzähligen Oppositionsgruppen — zum dritten Male zum bolivianischen Staatspräsidenten gewählt wurde. Er und Dr. Hermän Siles Zuazo, der von 1956 bis 1960 Präsident war, gehörten vor 23 Jahren zu den Mitgründern des MNR. Beide sind gemäßigte Intellektuelle, die den rechten Flügel der Regierungspartei repräsentierten. Ihnen stand als Gegenspieler im Kampf um die Macht Juan Lechin gegenüber. Er ist arabischer Abstammung, wurde von den Minenarbeitem als ihr „Führer“ angebetet und war zunächst Minenminister, später — bis vor wenigen Monaten — Vizepräsident. Er wollte Bolivien nach kubanischem Muster „reformieren“, verlor aber durch zahlreiche Skandalaffären, zum Beispiel wegen Kokainschmuggels, an Ansehen.

Bis jetzt: Dr. Paz

Der Machtkampf zwischen diesen drei Männern beherrscht die innerpolitische Entwicklung Boliviens im letzten Jahrzehnt. Bis jetzt ist Doktor Paz Estenssoro Sieger geblieben.

Er schickte seine Konkurrenten als Botschafter nach Rom oder Madrid. Freilich kehrten sie zu den Wahlen immer zurück. Vor den letzten — im August 1964 — erschien Vizepräsident Botschafter Juan Lechin in Bolivien, besuchte aber nicht das Regierungsgebäude und den Präsidenten, sondern fuhr gleich in die

Minenzone. Auf einem Kongreß wiegelte er die Minenarbeiter auf, wurde daraufhin aus dem MNR ausgeschlossen und gründete eine eigene Partei, die „Revolutionspartei der nationalen Linken“ (PRIN). Er behauptete, daß Dr. Paz das Land „ausländischen Interessen“ ausliefere und die „nordamerikanischen Hilfsgelder“ vergeude. Als Lechin nach der Übergabe der Vizepräsidentschaft an den früheren Luftwaffengeneral Barrientos den Kongreß verließ, wurde er überfallen, wie er behauptete, von der politischen Polizei. General Barrientos wurde vor einigen Monaten bei einem Attentat schwer verletzt. Vor wenigen Tagen wurden wieder Bomben auf sein Haus geworfen.

Aber auch Siles wandte sich von seinem alten Freund Dr. Paz ab, als dieser zum dritten Male zur Präsidentschaft kandidierte, und schuf ebenfalls eine neue Organisation, die er „Verteidigung der nationalen Revolution“ nannte. Als Dr. Siles von einer kurzen Auslandsreise am Vorabend der Wahlen zurückkehren wollte, ließ Dr. Paz den alten Kampfgenossen und neuen Feind vorübergehend nicht ins Land.

Mißglückter Putschplan

Der Zerfall der Regierungspartei und die chronische Unruhe — mit Attentaten und Putschen am laufenden Band — machen es Dr. Paz schwer, konstruktive Regierungsarbeit zu leisten. Zu seinen interessantesten Plänen gehört die Verpflanzung von hunderttausenden Indios aus dem unfruchtbaren Hochplateau beim Titicacasee in die fruchtbare Tropenzone Santa Cruz.

Bevor die Nordamerikaner eine moderne Autostraße von Cochabamba nach Santa Cruz bauten, brauchte man Tage — früher Monate —, um von der hoch gelegenen Hauptstadt La Paz in das Tropenzentrum zu gelangen. In der Isolierung hatten sich regierungsfeindliche Separatisten jahrelang gegen die nationalrevolutionäre Bewegung, also die Regierungspartei, an der Macht halten können.

In dem riesigen Chaco und Urwald hatte vor einigen Monaten eine kleine Gruppe, die sich zu der rechtsradikalen „Falange Socialista Boliviana“ bekannte und vor allem in dem Estanciero Luis Meisser, der deutscher Abstammung ist, Unterstützung fand, den Freischärlerkrieg u. a. mit dem Sturm auf eine Polizeistation begonnen. Die Regierung schickte Truppen. Obwohl einige bolivianische Offiziere in den USA für den Guerillakrieg ausgebildet wurden, versagte die Mannschaft vor allem aus klimatischen Gründen. Sie lebte in 3000 Meter Höhe auf dem sogenannten „Altiplano“ und sollte im tropischen Sumpfgebiet kämpfen. Diese Freischärlerbewegung scheint alle Feinde des Regimes von Dr. Paz Estenssoro angezogen zu haben. Nur so ist es zu erklären, daß der soeben unterdrückte Putschplan heterogene Elemente wie die rechtsradikale Falange, die gemäßigte Gruppe von Dr. Siles und die linksradikalen Castristas Lechins vereinigt haben soll. Der Aufstand ist zusammengebrochen, noch ehe er begonnen hatte. Dr. Siles soll verhaftet, Lechin untergetaucht sein. Aber sie werden bald auf die politische Bühne zurückkehren. Staatsstreiche gehören zum bolivianischen Alltag wie Morde, Attentate und Geiselentführungen aus politischer Gegnerschaft. Das Erstaunliche ist nicht, daß Dr. Paz wieder einmal — und noch dazu kurz vor dem Besuch de Gaulles — gestürzt und ermordet werden sollte, sondern daß er noch am Leben und an der Macht ist.

Im übrigen können die nordamerikanischen Wahlen das Schicksal Boliviens stark beeinflussen. Während Kennedy Dr. Paz bei dessen Besuch in Washington ein „Vorbild für den Kontinent“ nannte, bezeichnete Goldwater ihn als „Despoten, der kein Freund, sondern nur ein Parasit der Freiheit“ sei.

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