Geliebt, verhöhnt, vergessen

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Die Kunsthalle Krems zeigt die Bilderwelt des Bürgertums im 19. Jahrhundert in neuem Licht.

Es gab ein seliges, erstauntes, tiefes, fröhliches, strenges Wundern, unbekümmertes Lächeln, hinsterbende Gesichtszüge ... Und alle diese Gesichter verharrten reglos eine Minute lang, wurden unausgesetzt weggeschoben, ersetzt durch andere." So beschreibt Émile Zola das jährliche Pariser Großereignis, den Salon: 2000-4000 Künstler stellten bis zu 5000 Bilder aus. Sie mussten nicht um Besucher bangen, denn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Kunst so viel Aufmerksamkeit zuteil wie nie zuvor: 1884 zählte man beim "Salon" 238.000 Besucher, 1887 waren es 562.000. Zu bestaunen und zu kaufen waren perfekt gemalte, harmonische, elegant komponierte Bilder, entsprechend dem Geschmack der im Industriezeitalter reich gewordenen Fabriksherren, Kaufleute, Bankiers.

Der Reiz der Haut

Die neue Mittelschicht wünschte sich leicht verständliche Themen, Bilder mit erkennbaren Geschichten, humorvolle Szenen und prächtig gekleidete Frauen, die Phantasie anregende Hautpartien schimmern ließen. Die neuen Mäzene und Käufer waren nicht mehr begierig auf Jagdszenen wie vormals der Adel oder auf züchtige Heilige wie die Kirche. 95 Prozent aller Bilder des 19. Jahrhunderts sind diesem bürgerlichen Realismus zuzuzählen, nur fünf Prozent der damaligen Avantgarde. Impressionismus war ein Schimpfwort, das die Flüchtigkeit der Malweise anprangerte.

Tayfun Belgin, Direktor der Kunsthalle Krems, bietet in der Ausstellung "Triumph der Schönheit" 76 Bilder aus vier Ländern: Zeugnisse des Geschmacks unserer Vorfahren, den wir bisher nach einem schaudererfüllten Blick als Kitsch abgetan haben. Öffnet man sich der europäischen Kunstgeschichte jedoch unvoreingenommen, verraten diese Bilder aus Frankreich, Russland, Großbritannien und Österreich aber eine inszenierte Welt, die der unsrigen nicht fremd ist: Vor dem Elend in den Städten, vor der Armut auf dem Land schaute man weg. Malerei als Ruhekissen des Gewissens, und wenn ein Maler ein heikles soziales Thema aufgriff, etwa den Jammer einer Familie, deren Hausrat versteigert wurde, so geschah dies in anrührend schöner Gestaltung.

Der Spott blieb nicht aus, etwa in Frankreich. In der Nachfolge von J. L. David wurden heldenmütige, helmbewehrte Griechen und Römer gemalt, deren Helme Ähnlichkeit mit den goldglänzenden Kopfbedeckungen der Feuerwehrleute - pompiers - hatten.

Verhöhnte Konvention

Der Kalauer "pompiers" bürgerte sich ein, um das Konventionelle, Formelhafte dieser Kunst anzuprangern. Kubismus, Futurismus, abstrakte Malerei und Dada machten der erzählenden Kunst des 19. Jahrhunderts den Garaus: Die "schönen Künste" erhielten den Stempel "bürgerliche Handelsware".

Indem Tayfun Belgin die Bilder nach Ländern gehängt hat, zeigt er die Vielfalt der Epoche der Salonmalerei: Rührende Geschichten malten die Russen, z. B. "Christus im Haus von Martha und Maria (1886), ein Bild, das in seiner Bukolik den dramatischen Konflikt der zwei Schwestern, wie er in der Bibel steht, völlig entschärft. Unter den österreichischen Beispielen nimmt der Malerfürst Makart mit seinen Frauenporträts die Rolle des Repräsentationskünstlers ein, während Genre-Szenen die heile Familienwelt beschwören. In England gab es die Klassizisten, die Luxusgeschichten in antikem Ambiente erzählten, und die Präraffaeliten, die mit ihren starken Farben und klaren Linien an die frühen italienischen Maler vor Raffael anknüpften und symbolgeladene Frauenbilder malten. Nicht zu vergessen: l'art pour l'art, Kunst der reinen Form, Schönheit pur, als wollten die Künstler die Zeit zum Stehen bringen.

Die größte Spannbreite hat in Krems die französische Malerei des 19. Jahrhunderts: Eine witzige Herrenclub-Szene hängt neben einer lasziven Venus mit neckischem Amor, und zwischen zwei Porträts züchtiger Frauen prangt jung und verführerisch im prächtigen weißen Seidenkleid eine einflussreiche Kurtisane. Baudelaires Kommentar zum Geschmack des Bürgertums lautete: "Wenn ihr der Gesellschaft euer Wissen zur Verfügung gestellt habt, eure Arbeit, euer Geld, dann wollt ihr in den Genüssen des Körpers, des Geistes und der Phantasie bezahlt werden."

Neuer Blick auf die Epoche

Eine mutige Ausstellung: Keine Kitsch-Verhöhnung, sondern der Versuch, den Blick auf jenes 19. Jahrhundert zu lenken, das nach dem Ersten Weltkrieg in die dunklen Keller der Museen verbannt wurde, deren Wände es vorher in großer Zahl geschmückt hatte. Die Kunstgeschichte ist eben nicht nur eine Abfolge von künstlerischen Revolutionen ...

Triumph der Schönheit

Epoche der Salonmalerei von Makart bis Rosetti

Kunsthalle Krems

Franz Zeller Platz 3, 3500 Krems-Stein

www.kunsthalle.at

Bis 30. Juli tägl. 10-18 Uhr

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