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Manipulierte Kunstwissenschaft

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Man kann jedem Volksschüler klarmachen, daß es zu allen Zeiten und in allen Bereichen der Kunst eine lange Abfolge der Stufungen von höchster Qualität bis zum „Abfallprodukt“ gibt. Doch gerade in bezug auf die Kunst des Historismus werden die landesüblichen pauschalen Vorurteile gehegt und gepflegt. Erstaunlich groß ist die Unzahl jener ernsthaften und für gewöhnlich vernünftigen Zeitgenossen, die in ihren Antworten auf Fragen nach der Qualität und der Bedeutung der Gemälde von Hans Makart (1840 bis 1884) bewußt oder unbewußt ihr eigenes Seh- und Denkvermögen außer acht lassen. Hier ist nicht Platz genug für Hinweise auf die Entstehung solcher schablonierter Meinungen, auch nicht Platz für die Geschichte von deren „Überlieferung“ durch nun schon mehrere Generationen. In jüngster Zeit wurden jedoch Versuche unternommen, das Werk des wohl bedeutendsten Malers des europäischen Historismus „kritischen Revisionen“ zu unterziehen. Absicht, Grundlage und Methode dieser Vorschläge zu einer „sachbezogenen Diskussion“ werden aber nur allzubald deutlich.

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Man kann jedem Volksschüler klarmachen, daß es zu allen Zeiten und in allen Bereichen der Kunst eine lange Abfolge der Stufungen von höchster Qualität bis zum „Abfallprodukt“ gibt. Doch gerade in bezug auf die Kunst des Historismus werden die landesüblichen pauschalen Vorurteile gehegt und gepflegt. Erstaunlich groß ist die Unzahl jener ernsthaften und für gewöhnlich vernünftigen Zeitgenossen, die in ihren Antworten auf Fragen nach der Qualität und der Bedeutung der Gemälde von Hans Makart (1840 bis 1884) bewußt oder unbewußt ihr eigenes Seh- und Denkvermögen außer acht lassen. Hier ist nicht Platz genug für Hinweise auf die Entstehung solcher schablonierter Meinungen, auch nicht Platz für die Geschichte von deren „Überlieferung“ durch nun schon mehrere Generationen. In jüngster Zeit wurden jedoch Versuche unternommen, das Werk des wohl bedeutendsten Malers des europäischen Historismus „kritischen Revisionen“ zu unterziehen. Absicht, Grundlage und Methode dieser Vorschläge zu einer „sachbezogenen Diskussion“ werden aber nur allzubald deutlich.

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So hätte man nicht erwartet, daß sich der angesehene DuMont-Schau- berg Verlag, Köln, zu dem Bildband „Was sie liebten, Salonmalerei im 19. Jahrhundert" von Paul Vogt hergeben würde. Vogt meint zwar scheinheilig in der Einleitung: „Es bereitet ungetrübte Freude, heute die Werke aller dieser Maler von uns Revue passieren zu lassen, da wir (wer wir?) die wahren Größen ihrer Zeit längst kennen; wir lächeln nur noch, wo sie sich tragisch gebärden, und wo sie höchste Ansprüche stellen, nehmen wir sie nicht mehr ernst." Doch verzichtet Vogt bereits auf Tafel 7 des Abbildungsteiles auf seine Maskerade. Denn hier, in einem Buch’ über die „Salonmalerei im 19. Jahrhundert“, wird die 1938 gemalte „Göttin der Kunst“ von jenem Adolf Ziegler abgebildet, der 1936 als Hitlers liebstes Mussnkind Präsident der Reiohskammer der Bildenden Künste geworden war. Wenn dann zwischen Hauptwerken von Makart, Piloty, Cabanel oder Bouguereau nicht nur Gemälde schlechtester -Qualität, «ondeta-JUich- noch die zotige „Leda“ dös- Paul Padua oder der artreine „Siegfried“ des Ferdinand Staeger — beides „Glanzpunkte“ der Großen Kunstausstellungen im Haus der Deutschen Kunst — abgebildet werden, dann ist die Richtung klar, woher der Wind weht: Salonmalerei im

19. Jahrhundert hat das zu sein, v/as unter den Scheuklappen von links- außen heute so bezeichnet wird. Oder meint Vogt wirklich .glauben machen zu können, daß der Kitsch und die Sterilität einer „tausendjährigen" Innendekoration vergleichbar oder gar identisch seien mit den Salons des Historismus?

Jm Sommer 1972 fand in Baden- Baden die Ausstellung „Hans Makart, Triumph einer schönen Epoche“ statt; Klaus Gallwitz — heute Chef des „Städel“ in Frankfurt —, der damals Ausstellung und Kunsthaile leitete, wollte keine „gerechtere Würdigung“, keine „spätere Wiedergutmachung“ erreichen. Er wollte nur „bestimmte ästhetische Schablonen und Vorlieben unserer Tage klären“. Wie Gallwitzens eigene Schablonen und Vorlieben aussehen, wußte man spätestens seit Seite 11 seines Katalog’textes: „Die kapitalistischen Nationen geben sich (im

19. Jahrhundert) ein Stelldichein auf den Weltausstellungen und dort behauptet auch die Kunst ihr gesell- «ohaftiscltes -Alibi in- Eseig wnd -öl (sic!), in ‘‘Btonre und Marmor."‘ So waren die Bemühungen von Gallwitz um Makarts Werk keinesfalls die von ihm geforderte „sachbezogene Diskussion“, sondern waren willkürliche Manipulation der öffentlichen Meinung in Reinkultur.

Denn zum einen hatte sich Gall witz für den umfangreichen Katalog der Mitarbeit mehrerer ernsthafter Kunsthistoriker versichert, unter ihnen Gerbert Frodl, Renata Mikula oder Wolfgang Hartmann, die zu den 117 Katalognummem exakte und tatsächlich „sachbezogene“ Beschreibungen gegeben haben. Gallwitz selbst aber setzte, druckgraphisch geschickt und für die umfunktionierende Mentalität der „Verändere!-“ kennzeichnend, diesen informativen Angaben Zitate aus zeitgenössischen Pamphleten gegen Makart und „liebliche“ Anpreisungen gegenüber. So gab Mikula treffend prägnante Kennzeichnungen der Fraaenpor- träts, aber Gallwitz zitierte; „.Zwischen Guglhupf, Schlagobers una gutem Kaffee, während die t.nuten- kundige Schwiegermutter zu immer neuen Guglhupfstücken nötigt…“ und so weiter und so fort.

Zum anderen diente die von Gallwitz absichtlich falsch inszenierte „Rekonstruktion“ des Arbeitszimmers von Nikolaus Dumba — die Beschreibung in „Kunst und Kunsthandwerk“, II, 1899, wurde wohlweislich nicht zitiert — samt dem „Erlebnis“ einer Dauerberieselung mit Musik von Richard Wagner und aus Wiener Operetten durch Latit- sprecher von schlechtester Qualität einzig dem Ziel, den „Salon“ so geschickt wie nur möglich lächerlich zu machen.

Monika Steinhäuser ist zwar in ihrem Bericht (in; „Kunstchronik“, 1973, S. 161 bis 170) als eine von ganz wenigen der Meinung, daß „die aus- stellungstechnisch in der Tat unmögliche Rekonstruktion“ die von Gallwitz „intendierte .sachbezogene Diskussion nur in ihr Gegenteil verkehrt“. Doch ahnt man bald, wie auch hier eine „kritische Revision der Bedeutung von Makart“ in Szene gehen wird Unter reichlicher Verwendung von gesuchten Fremd- ■ Wörtern beruft sich Steinhäuser auf Theodör W. Adbrnö trtid Walter Benjamin und meint: „Die Authentizität vieler Bilder Makarts gründet nicht zuletzt in ihrer kalkulierten Zugehörigkeit zum dicht staffierten Interieur; diesen Zusammenhang hat eine qualitative Beurteilung der Malerei Makarts immer zu berücksich tigen.“ Hat man nun vielleicht in Zukunft für die qualitative Beurteilung von Meisterwerken der europäischen Malerei wie der „Geißblatt- laube“ des Rubens, des Selbstbildnisses von Maulbertsch oder eines der Frauenporträts Makarts immer die „kalkulierte Zugehörigkeit zum dicht staffierten Interieur“ zu berücksichtigen? Steinhäuser formuliert weiter: „Das Faktum, daß Makarts Kunst gesellschaftlich reaktionär ist, wild zwar (in den ICatalog- notizen durch Frodl und Mikula) nicht übersehen, aber von der Frage nach der Qualität getrennt.“ Die Frage nach der Qualität eines Kunstwerkes sei also nicht davon zu trennen, ob diese Kunst gesellschaftlich reaktionär oder progressiv ist; wo bei unter reaktionär und progressiv selbstverständlich nur das zu verstehen ist, was Monika Steinhäuser und Genossen als solches zu bezeichnen gewillt sind. Um ja nicht in den Verdacht zu geraten, sich vielleicht gar mit primär künstlerischen Phänomenen zu beschäftigten, wird hier der immer hausbackener werdende Anspruch auf „gesellschaftliche Relevanz“ bis zu seiner völligen Sinnlosigkeit geführt. Oder soll bét jedÖi’Atifführüng von Verdis „Aida“ im Programmheft vermei - ken, wie viele und welche Kapita- Hsten die Aktien der Suezkanalgesellschaft erworben hatten? Sind für Untersuchungen zu Liszts Es-Dur- Konzert die „ästhetischen Schablonen und Vorlieben“ der Weimarer Hofgesellschaft zu berücksichtigen? Ist es für die Entstehung und für die Qualität von Makarts „Pest in Florenz“ maßgebend, daß im ungefähr gleichen Zeitraum Karl Marx „Das Kapital“ und Charles Darwin „Die Abstammung des Menschen“ geschrieben haben?

So werden sich die eingangs erwähnten ernsthaften und für gewöhnlich vernünftigen Zeitgenossen wohl weiter in ihren eigenen Vorurteilen sonnen und werden auf das verweisen, was Vogt, Gallwitz, und Steinhäuser an „wissenschaftlichen Forschungen“ zum Werk des Hans Makart „erarbeitet“ haben. Sie werden Monika Steinhäuser dankbar für die Mitteilimg sein, daß Blalcarts Name „immer schon als Etikett grünrierzeitlicher Ostentation diente“. Sie werden sich der Frage von Klaus Gallwitz ansohließen, „ob nicht die Rolle von Andy Warhol der Rolle von Makart sehr ähnlich sieht?“ Sie werden sich in ihrer Übereinstimmung mit Paul Vogt „das Vergnügen nicht durch einen diesem Thema unangemessenen Ernst trüben lassen“. Und sie werden damit wieder einmal unter Beweis stellen, wie ernsthafte und für gewöhnlich vernünftige Zeitgenossen, die sich im Glauben an ihre völlige Gedankenfreiheit wiegen, am Gängelband einer manipulierten Kunst-,,Wissenschaft“ gehalten werden.

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