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IM STREIFLICHT

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A N was mögen die akademischen Maler nur denken, w*nn sie über den Arbeiten sitzen, die sie für einen Wettbewerb der Bundesbahnen — etwa zui künstlerischen Ausgestaltung der Außen-front des neuen Südbahnhofes — anfertigen? Denken sie daran, daß gute, moderne Lösungen dec Jury nicht gefallen werden und bloß das Mittelmaß zum Zuge kommt? Oder tritt ihnen nur die Schirmmütze eines Schaf f'iers ins Gedächtnis? Wie immer: die Ergebnisse eine6 solchen Wettbewerbes muten seltsam an: außer dein geflügelten Rad, Merkur mit Vogelschwingen und einem Vergnügungszug durch die Bundesländer findet sich unter den eingereichten Entwürfen nicht viel Abwechslung. Der Westbahnhof ist jahrelang ohne künstlerische Ausgestaltung ausgekommen; vielleicht läßt mau es nun beim Südbahnhof auch mit dem Wettbewerb sein Bewenden haben. Den guten Willen hat man ja bewiesen, und mehr kann man wohl nicht verlangen. Wie wäre es, wenn man statt dem Flügelrad, eine Bahnhofsuhr an der. Stirnseite des Bahnhofs anbringt?

DAS Traurigste an den neuen Gemeindebauten ist ihre künstlerische Ausgestaltung, für die gesetzmäßig zwei Prozent der Baukosten ausgeworfen werden müssen. Das mag vielleicht daran liegen, daß die Künstler Aufträge, bei denen ihnen die Hände gebunden sind, nicht allzu gern akzeptieren und für diese dann vielleicht nur zwei Prozent ihres Könnens aufwenden. Oder daran, daß überhaupt kein vernünftiger Grund mehr vorhanden ist, an einem Haus ein Mosaik anzubringen. Skulpturen im Freien, Brunnen, Brunnenfiguren, Kinderspielplastiken — schön und gut. Aber Mosaike an den Wänden — was soll das? Man bedauert nur, daß sie alle so wetterfest gemacht sind. Solche Mosaike hätten nur dann einen Sinn, wenn sie „Hauszeichen“ wären, wenn sie einen echten Berug zum Haus hätten. Aber den haben sie längst verloren. „lo-fK + M+B-f...“, in Kreide mit ungelenker Handschrift über die Tür geschrieben, das ist ein Zeichen, das etwas bedeutet; oder das Familienwappen; oder in anderen Zonen das Symbol der Sippe, das Bild eines Ebers, der das Geschlechtstier der Ahnen ist, mit denen man noch in Gemeinschaft steht... Zeichen und Wappen sind heute verschwunden. Was soll da noch ein Eber an der Eingangsfront? Da wäre es fast schon sinnvoller, Parteisymbole in die Zinshäuser meißeln zu lassen...

JETZT kommt wieder die Zeit, in der wir die lustigen Buschhemden und die neuen Kreationen an Badeanzügen werden sehen können. Was uns an ihnen auffällt, ist, daß sie in steigendem Maße Muster und Formen bringen, die wir aus den Ausstellungen der bildenden Kunst kennen. Was Klee, Kandinsky und Picasso vor Jahrzehnten an neuen Formen und Strukturen entdeckt haben, das blieb nicht auf die Leinwand beschränkt. Damals sahen nur sie diese Formen, heute sieht sie schon jeder. Idee und Geschmack der Gebrauchsgraphiker werden durch die großen Künstler ihrer Zeit bestimmt; sie übersetzen ihr Werk in die Umgangssprache, in den Alltag. Was für Klee, Kandinsky und Picasso reine Kunst war, das wird für sie zum Stoffmuster für Vorhänge und Tischtücher, Krawatten und Hemden, zu Tapete und Buch-uinschlag, zu Plakat und Zeitschriftentitel. Sie handeln damit durchaus im Sinne der Künstler, ja sie tragen sogar zu deren Verständnis bei und machen sie populär. Denn wer sich an die farbfrohen, abstrakten Formen seiner Krawatte oder seines Bademantels gewöhnt hat, der wird auch nicht mehr ganz so ratlos in einer Ausstellung stehen. Wenn er hineingeht...

DAS stand vor kurzem in einem Aufsatz über Fragen der Kritik in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Das Staunen (über die Tatsache eines Werkes) allein macht die produktive Kritik noch nicht möglich; aber es schließt gewiß die zerstörende Kritik aus. Ist jene schwierig, so diese leicht; sie zeitigt raschen Spektakel, vjrhilft den einen zum Gelächter, den anderen zum Zähneknirschen; und gibt niemandem: Einsicht. Es ist die Kritik, die einen Kunstgegenstand zum Anlaß des unbezogenen, eitlen Wortspiels nimmt und lieber eine brillante Laune vorträgt als eine unscheinbare Wahrheit. Wobei als Beruhigung gelten mag, daß die Launen kurze Beine haben.“ Das festzuhalten, scheint uns wichtig. In einer Zeit, wo eine Kritik als gut zu gelten hat, wenn sie den Namen von Künstlern und Autoren geschickt zu verdrehen versteht, und wo eine a priori gegebene Pointe den Inhalt eines ganzen Absatzes bestimmen kann, in einer Zeit, da die Kritiker kaum noch ihren eigenen Wortwitzen gewachsen sind und in der kein Karl Kraus ihnen von Zeit zu Zeit auf die Finger klopft, sollte ein solcher Aufsatz zum Nachdenken anregen. Gerade weil er keine Laune vorträgt, sondern eine Einsicht vermittelt.

EINE in Oktavforniat erscheinende politische Monatsschrift bringt seit einigen Monaten eine Kunstbeilage. Das scheint ein lobenswertes Beginnen zu sein; vom Tisch der Politik fallen ein paar Brosamen für die Kunst ab: warum nicht? Aber es scheint nur so Wir hätten nicht einmal dann gegen dieses Unternehmen etwas einzuwenden, wenn hier bloß die Künstler herausgestellt würden, die niemandem weh tun und auch von Banausen akzeptiert werden. Wenn aber in breitestem Maße Kitsch gefördert und etwa ein Jüngling als „Angehender DoTctor“ bezeichnet wird, so muß einmal an die Verantwortung erinnert werden, die ein Organ, das sich als repräsentativ empfindet, auf allen, Gebieten haben sollte. Besonders dann, wenn es sich auch als ein Organ für Kultur vorstellt.

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