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Totentanz und Maskerade

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Ausstellungstätigkeit und systematische Erneuerung des rächtigen Barockbaues: das fällt in Stift Altenburg seit der roßeh Schau „Barocker Kunst aus Waldviertler Klöstern (1956) Timer wieder zusammen. Es war sogar der einzige Weg, das edeutende, durch Aufhebung des Klosters im Zweiten Weltkrieg nd durch russische Besetzung in einen hoffnungslosen Zustand eratene Bauwerk aus seinem kritischen Zustand herauszu-lanövrieren. 1963, als das Stift zur großen Troger-Ausstellung Listete und erstmals wieder Festsaal, Kaiserzimmer, Krypta, iibliothek und Kirche als große Barockbaueinheit präsentierte, mßte freilich der Erdgeschoßteil des Kaisertraktes noch unbe-Licksichtigt bleiben. Erst jetzt ist es soweit: Gemeinsam mit der iederösterreichischen Landesausstellung „Groteskes Barock“ werden auch erstmals das gesamte Erdgeschoß und die Krypta n Originalzuständ gezeigt, die dank ihrer Grotesken unter den arocken Dekorationsmalereikonzepten Österreichs eine bedeu-ende Stellung einnehmen.

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Ausstellungstätigkeit und systematische Erneuerung des rächtigen Barockbaues: das fällt in Stift Altenburg seit der roßeh Schau „Barocker Kunst aus Waldviertler Klöstern (1956) Timer wieder zusammen. Es war sogar der einzige Weg, das edeutende, durch Aufhebung des Klosters im Zweiten Weltkrieg nd durch russische Besetzung in einen hoffnungslosen Zustand eratene Bauwerk aus seinem kritischen Zustand herauszu-lanövrieren. 1963, als das Stift zur großen Troger-Ausstellung Listete und erstmals wieder Festsaal, Kaiserzimmer, Krypta, iibliothek und Kirche als große Barockbaueinheit präsentierte, mßte freilich der Erdgeschoßteil des Kaisertraktes noch unbe-Licksichtigt bleiben. Erst jetzt ist es soweit: Gemeinsam mit der iederösterreichischen Landesausstellung „Groteskes Barock“ werden auch erstmals das gesamte Erdgeschoß und die Krypta n Originalzuständ gezeigt, die dank ihrer Grotesken unter den arocken Dekorationsmalereikonzepten Österreichs eine bedeu-ende Stellung einnehmen.

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So wie in der Gesamtanlage des Stiftes Altenburg im allgemeinen, wird hier im besonderen ein literarischer Gedanke verwirklicht: Welt, Tod, ewiges Leben, am Rande Gericht und Hölle, bestimmen dieses barocke Großraumtheater, in dem üppigste Raiumverschwendung und raffinierteste Dekors den Ton angeben. Denn: „Der Darstellung der barok-ken Welt ist in Altenburg ein erstaunlich großer Raum, die verschwenderische Flucht des 206 Meter langen Osttraktes gewidmet, in dessen Zentrum sich die Stiftskirche erhebt“, merkt Rupert Feuchtmüller an. „Nördlich von ihr die Kaiserzimmer, an deren Bewohnbarkeit eigentlich nie gedacht war, sowie die kuriosen Schaugrotten der Erdgeschoßräume; südlich der Kirche die 50 Meter lange Krypta, die allerdings nie eine solche Funktion hatte, und darüber die Bibliothek, deren Bücherbestand eigentlich nur einen größeren Raum erfordern würde. Die Idee war somit wichtiger als der reale Zweck, eine Idee, die sich im großartigen Freskenschrauck dokumentiert. Hat man den gesamten Komplex des Osttraktes vor Augen, dann erkennt man auch die geistige Ordnung jenes Unten und Oben in der Zweigeschossigkeit. Im Nordtrakt symbolisiert sich die reale Welt, die heidnische und christliche, im Südtrakt (Krypta-Bibliothek) die des göttlichen Geistes, der über die Vergänglichkeit siegt. Die Erfüllung erfährt dieses Konzept aber erst in der Kirche, denn hier im Freskohimmel der Kuppel sind die Siegel vom Buch der Geheimen Offenbarung gelöst, hier ist die Ewigkeit Gottes im Glänz des Himmels zu sehen.“

Es ist leicht durchschaubar, welche Bedeutung in einem solchen Baukonzept den dekorativen Elementen zukommt, was die „Groteske“ hier, vor allem in den unteren Grotten des Baus, symbolisiert. Hintergründig, Phantastisches, Ornamentengrötes-ken, fratzenhafte Dramatik finden sich hier in Hülle und Fülle. Und

dieser, das Thema eigentlich schon zwingende Rahmeni zeigte zugleich auch den Weg, wie hier die Ausstellung des grotesken Barocks nur aussehen, sich präsentieren konnte; als eine Raumfolge, die durch Objekte zu interpretieren ist; historische Ableitung; ein Versuch, literarischtheatralische, musikalische, ikono-graphische Aspekte anzudeuten und politisch-religiöse Hintergründe ein-zubeziehen ... Das ist denn auch das Konzept dieser wichtigen Ausstellung, die — mag sie auch relativ spät kommen — von ungeheurer Bedeutung ist. Sie zeigt nämlich, was in

Italien und Frankreich von der Kunstwissenschaft längst in seiner Bedeutung voll erkannt wurde: die manieristische Tradition in den großen europäischen Kunstkonzepten im frühen 17. Jahrhundert.

Zwar haben in Österreich bedeutende Kunsthistoriker wie Alois Riegl oder Max Dvofak für die internationale Erforschung des Manierismus die Wege geebnet: Auf Erkenntnissen von Dvofak fußen etwa die Neubewertungen der Malerei des Manierismus Italiens und Frankreichs; Brigantis, Württembergers, Bousquets, Arnold Hausers oder Hockes Schriften über die Kunst des Manierismus und die Groteske im Barock gehen von hier aus. Nur in Österreich selbst hat man die Kunst des späten Manierismus und der Übergangsphase in den Barock immer ein wenig am Rande betrachtet. Obwohl hier so bedeutende Beispiele zu finden sind wie die Gartensäle, Wasserspielkaimmern und Grotten von Hellbrunn, die Grotte im Lustschloß Maximilians II. im „Neugebäude“, das demnächst wieder großzügig restauriert und in den Originalzustand zurückversetzt werden soll, die Ruinenphantasien im Schloß Petronell oder eben die unterweltliche Vision einer Totengrotte, wie sie in Altenburg verwirklicht wurde.

Das „Groteske“, also der Stil an-

tiker Grotten, leitet sich dabei von den römischen Ruinenresten her, etwa vom Goldenen Haus des Nero, oder von anderen römischen Palästen, die von Malern wie Raffael wieder entdeckt und von der Idee her für die neuentstehenden Renais-sancepaläste verwendet wurden. Was die römischen Maler an den Wänden der antiken Paläste fanden, übersetzten sie in ihre eigene Dekorationsmalerei: Pflanzenranken, Muscheln, seltsame heidnische Figuren, Fabeltiere, erotische Symbole wurden mit wahrer Besessenheit kopiert, ja sogar in Musterbüchern katalogisiert.

Im Manierismus des ausgehenden 16. Jahrhunderts finden wir diese Grotesken bereits verselbständigt: das Monströse, Abstruse, Kuriose, Bizarr-Phantastische wird zum eigenen Geschmacks- und Stilkanon sytematisiert. Eine Mode des Grotesken überflutet die romanischen Länder, vor allem Italien, schlägt sich auf Säulenformen, Wanddekors, Muschelmobilar, Garderoben, in der Gold- und Silberschmiedefcunst, in Malerei und Plastik nieder.

Im österreichisch-alpinen Raum setzte sich dieser Modetrend natürlich langsamer durch. Aber auch hier wird man allmählich für diese Phan-tastik sensibel: die theatralische Drastik der Gegenreformation und

die nie ganz abgerissenen Beziehungen zu mittelalterlichen Todes- und Mysterienideen erfahren ihre Abwandlung im Grotesken, Dämonischen; hier antike Allegorie, manie-ristisch-rhetorische Künste, der mondäne italienische Metaphernwahn des ausgehenden 16. Jahrhunderts, dort bereits die Säkularisation: Harlekin und Kolombine, Hanswurst, Zwerge, Türkenmonstren ... Ein Reigen der Symbole, der alle Lebensbereiche umrankt und verziert, der — wie all die hier ausgestellten Kunstgewerbeschätza der Zeit zeigen — Leben und Tod ineinander verflicht: Eine kleine silberne Uhr in Form eines Totenkopfs läßt zu jeder vollen Stunde rote Schlangen aus den schwarzen Augenhöhlen des Schädels schießen. Kann man Vergänglichkeit theatralischer, artifi-zieller zeigen? Und dies ist nur ein Beispiel für all die phantastischen kunstgewerblichen Schöpfungen, die in Altenburg gezeigt werden: für Becher in Form von Fabeltieren, Muschelgefäße, Porträts, die sich (entsprechend der Tradition Arcim-boldis) aus Früchten zusammensetze», oder gar so manche Automaten und Spielühren, deren „technische Überraschungseffekte“ im Manierismus und Barock besonders hochgeschätzt wurden.

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