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Aufstand gegen die Klassik

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DER MANIERISMUS. Der europäische Stil det 16. Jahrhundertl. Von Franz Sepp Würtenberger. Schroll-Verlag, Wien und München. 176 Seiten Text und 14$ Schwarzweißbilder lowie 32 Farbtafeln mit 18 Abbildungen im Text. Format 13X29 Zentimeter, Leinen. Preis 500 S.

Manierismut ist ein Stilbegriff, der in unserem Jahrhundert entwickelt wurde, um künstlerische Leistungen vorwiegend italienischen Ursprungs zu beschreiben, die in die Zeit zwischen etwa 1520 und 1600 fallen. In dieser Zeit entstanden Werke, die weder „Barock“- noch „Renaissance“-Kunst genannt werden können, ohne diese Bezeichnungen sinnlot zu machen. Das Wort „maniera“ stammt von Vasari, der — selbst ein „Manierist“ — ei benutzte, um die schematische Qualität der meisten dieser Werke zu beschreiben, die mehr auf intellektuelle Theorien als visuelle Erfahrungen aufgebaut waren. El handelt sich dabei um eine subjektive Kunst, eine Gegenbewegung zu den oder bewußte Abkehr von den „Regeln“ der klassischen Kunst, die in der Renaissance neu herausgestellt worden waren. Diese Tatsache allein schon setzt einen „gebildeten“ Betrachter voraus, da tonst kein Sinn darin bestünde. „Regeln“ zu brechen.

Die Wurzeln des Manierismus liegen in der Renaissance, in ihrem Rückgriff auf die Antike und in ihrer Geburt einet Neuen, wobei oft die „manieristische“ Spätantike, die alexandrinische Kunst, all Anregung und Vorbild diente. Das Abwertende des Begriffes „Manierismus“ ist im Laufe der Forschungen dieses Jahrhunderts dabei mehr und mehr in den Hintergrund getreten, da bei so überragenden Künstlern, wie Michelangelo, Greco und Tintoretto, entscheidende Elemente dieser Ausdrucksform festgestellt und analysiert wurden. Er ist als Stil das Merkmal existentieller Unsicherheit, ivmptoma-tisch für einen Übergang, in dem die Persönlichkeit - hier vor allem die dei Künstlers — eine neue und überragende Bedeutung gewinnt.

Es ist kein Zweifel, daß die Mehrzahl der manieristischen Künstler, wie etwa Pontormo, Rosso, Parmigianino, Giulio Romano, Heintz Spranger, Hant von Aachen, Vasari, Zuccari, Arcimboldo, auf inferiorer künstlerischer Stufe standen, daß vieles ihrer Produktion nur noch phänomenologisch und nicht alt Kumtwerk zu werten ist und in jenen Bereich gehört, den wir heute rundum alt „Kitsch“ bezeichnen, daß wir auch hier meist mit Be-renson von „Stilbildung aus Unvermögen“ zu reden haben. Dafür sprechen auch die Charakteristiken des manieristischen Bildes, das, immerhin das Primat der menschlichen Figur nicht verleugnend, sie in gewaltsamen Posen verzerrt und überdehnt, wobei die Muskeln überbetont werden.

Die Komposition ist künstlich und unklar, willkürlich den Hauptgegenstand in eine Ecke oder in, den Hintergrund verdrängend, mit großen Unterschieden in den Größenverhältnissen, die Perspektive all Virtuosenstück und nicht als Klarstellung der Erzählung behandelnd. ' In dem Formverfall, den der Manierismus darstellt, drückt sich dal Geheimnis nicht in den Formen aus, sondern in ihrem irrationalen Bezug. Die Farben sind lebhaft und oft hart, da sie der Emotion gehorchen und nicht die Form beschreiben, sie zeigen eine Bevorzugung der überlaufenden Farben — Rot in Orange, Gelb in Grün. Die Schraubenbewegung der Figuren Michelangelos — ein entscheidender Beitrag in der Plastik seit der Antike zur Gestaltung des Raumes — wird zur entleerten Gestikulation, das Kunstwerk zum. Abbild intellektueller Spekulation, literarisch und allegorisch überwuchert, Dokument neurotischer Verfeinerung, Zerrbild der Wirklichkeit. Daraus resultiert auch die Vorliebe für optische Gewagtheiten, die Künstlichkeit anamorphotischer Spielereien, metamorphischer Verwandlungen, die ebenso das Labile, ins Gleiten Gekommene, eines Geitteizustandei auldrücken.

Es ist das große Verdienst Professor Würtenbergers, daß er in dem hervorragend ausgestatteten Prachtband dei Schroll-Verlages es unternimmt, die bildnerischen Zeugnisse dieser Epoche, die die neuere Forschung als konstante Antithese gegen das klassische Erbe zu deuten versucht, in all ihren Auswirkungen im 16. Jahrhundert zu schildern. Er verwendet“ dazu ein äußerst reichhaltiges Material und trachtet darnach, den Zusammenhang der geistigen, menschlichen und sozialen Strömungen dieser Zeit klar zu erfassen. Das Phänomen des Manierismus als europäische Erscheinung wird dabei ebenso deutlich wie seine Verankerung in der Epoche, die Befreiung des Künstlers vom Begriff des Handwerkers, seine neue Stellung als Begleiter und Repräsentant der geistigen und weltlichen Macht. Würtenbergers Wertungen gehen allerdings dabei vom Phänomenologischen aus und nicht vom künstlerischen Formbegriff. Darin liegt eine hauptsächliche Schwäche dei Buches — wenn man davon reden kann, ist sie doch ein Allgemeingut unserer Zeit geworden. In der Überbetonung des Programmatischen und „Weltanschaulichen“ in den bildenden Künsten liegt die Gefahr, die für das Kunstwerk allein gültige bildnerische Evidenz zu negieren, die bei Würtenberger etwa in der Einschätzung Arcim-boldos als großem Künstler zum Ausdruck kommt, während zum Beispiel Desiderio Monsu überhaupt nicht aufscheint. Sicher greift dieser über den bis 1600 gesteckten Rahmen hinaus, gehört aber ohne Zweifel zum behandelten Phänomen. Trotzdem ist mit diesem Werk eine Tat gesetzt, die das gerade in unserer Zeit wieder aktuell gewordene Thema des Manierismut einer weiteren Klärung entgegenführt.

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