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Amsterdam: Triumph des Manierismus

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Amsterdam, im August Zum ersten Male in der Geschichte wird dem Manierismus als europäischer Erscheinung eine großzügige Ausstellung gewidmet, wobei alle Zweige der bildenden Kunst dargestellt sind.

Daß das Publikum noch immer nicht mit dem Begriff Manierismus vertraut ist und daß die Bedeutung des Wortes selber von vielen mißverstanden wird, ist eine Folge der Kritik, welcher dieser Stil schon im 16. Jahrhundert begegnete Nach dem unbeschränkten Prestige, das das serene Gleichgewicht und die klassischen Verhältnisse der Renaissancekunst gehabt hatten, traf etwa 1590, besonders in Florenz, eine Reaktion ein. Einige Maler mit starker Persönlichkeit widersetzten sich dem allgemein herrschenden Geschmack, dessen Ideale Raffael und Michelangelo waren, und suchten neue Wege. Es wuchs ein neuer Stil: statt auf Gleichgewicht und Ruhe wurde der Akzent auf Kontrast und asymmetrische Bewegung gelegt. Die Proportionen des Körpers wurden von den traditionellen Schönheitsmaßstäben freigemacht, die Körper wurden lang und biegsam, sie folgten dem wogenden Rhythmus der dekorativen Kompositionen.

Jeder neue Stil findet Gegner. Einige Zeitgenossen dieser fiorentinischen Neuerer tadelten ihren bizarren

Stil (italienisch „maniera“), und diese Geringschätzung haftet noch heute an dem Worte Manier, wegen der Assoziation mit manieriert, affektiert. Wenn die Kunst des Manierismus mehr bekannt wird, könnte erwartet werden, daß auch die Bedeutung einen neuen Gefühlswert bekommt. Man vergesse nicht, daß in der Vergangenheit auch die Worte Gotik und Barock eigentlich Schimpfnamen waren!

Trotz der Kritik gewann die neue Richtung schnell Boden, auch wegen dem günstigen Empfang bei den kunstliebenden Höfen. Von Italien ausstrahlend, drang der Manierismus alsbald dutch bis in die anderen Länder Europas. Frankreich, die Niederlande, Deutschland, Oesterreich, Skandinavien holten die neue Manier begierig ein und gaben ihr großes Ansehen.

So wurde der Manierismus jetzt als Thema für die heutige Ausstellung unter der Fahne des Europarates gewählt. Die Kulturabteilung dieses Rates leistet einer Anzahl Ausstellungen, die den Zweck haben, die historischen kulturellen Bande zwischen den Ländern Europas zu illustrieren, völlige Hilfe ihrer Autorität. Jeder Staat, der Mitglied des Rates ist, hat das Recht, eine Ausstellung herzustellen, welche nur in jenem Lande stattfindet und welcher die anderen Staaten ihre besondere Mitarbeit gewähren. Ein internationales Expertenkomitee berät bei der Zusammenstellung des Programmes und bei der Wahl der Kunstwerke.

Die Niederlande sind jetzt als zweites Land an der Reihe, nachdem Belgien im vorigen Jahre den europäischen Humanismus ausstellte. Dank der offiziellen Hilfe ist es dem Reichsmuseum in Amsterdam gelungen, Leihgaben außerordentlicher Bedeutung zu erhalten, wodurch ein würdiges Panorama des Manierismus möglich wird.

Die Ausstellung eröffnet mit einigen kostbaren Zeichnungen von Michelangelo aus Windsor Castle, aus Oxford und aus Michelangelos Haus in Florenz. Sie endet mit einer Gruppe Werke von El Greco, so wie sie in den Niederlanden noch nie gezeigt worden ist, u. a. mit der berühmten „Eröffnung des fünften Siegels“ aus der Kollektion Zuloaga, Spanien. Zwischen diesen Zeichnungen wird man Gemälde und Zeichnungen der Gründer des Manierismus, Pon-tormo. Rosso, Bronzino, Beccafumi, Parmigianino, finden. Von der verfeinerten „Ecole de Fontai-nebleau“ kommen 15 Stücke, darunter die graziöse Jagende Diana aus dem Louvre. Bei den Niederländern wird man Gemälde sehen von Maerten van Heemskerck, Frans Floris, Cornelis van Haerlem.

Durch die phantastische, manchmal extravagante Seite ihrer Kernst, durch ihre weit durchgeführte Stilisierung und ihren Antinaturalismus haben die Künstler des Manierismus Anknüpfungspunkte mit der heutigen Kunst. Die Kunstwerke, welche jetzt zeitweilig in Amsterdam zu sehen sein werden und zum großen Teil nie vorher auf Ausstellungen gezeigt wurden, bieten zum ersten Male ein übersichtliches Bild des Manierismus.

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