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Die Welt im Zerrspiegel

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Anläßlich der fulminanten und an Exponaten überreichen Ausstellung „Zauber der Medusa“ empfehlen sich mehrere Rundgänge, wobei möglicherweise gerade die im folgenden hervorgehobenen Kunstwerke zum Verweilen anregen könnten:

In dem 1666 von Georg Hainz gemalten „Kunstkammerschrank“ finden sich zwei Merkmale des Manierismus verkörpert: einerseits die Darstellung der verfeinerten Lebensart, der Sammlerleidenschaft, des Preziosen - und andererseits das künstlerische Phänomen des Trompe-l’oeil, des Augentrugs.

Das Gemälde aus dem Besitz der Hamburger Kunsthalle gewährt in seiner realistischen Dar-

stellungsweise Einblick in einen großbürgerlichen Kunstschrank, wie er im Norden Europas weite Verbreitung fand. Hier präsentierte der Besitzer stolz seinen mit bacchantischen Szenen reichgeschnitzten Elfenbeinpokal, der tatsächlich existiert und heute in Dänemark aufbewahrt wird. Perlen- und Korallenketten, Muscheln und Schmuckkassetten, ein Totenkopf als Vanitassymbol, ein mit einem aufgebrochenen Siegel versehener Brief als Geheimnisträger und weitere Ziergegenstände stellen die kostbare Füllung der in schattenhafte Tiefe führenden Kastenfächer dar. Der halb geöffnete Brief spielt mit der artistisch eingeplanteri Täuschung des Auges des Betrachters, dem Trompe-Poeil.

Die Nachahmung von Natur- und perspektivischen Architekturelementen von täuschender Wiedergabstreue stammt aus der

Kunst der Antike. Die bravouröse Beherrschung der Malerei und die Lust an der Irreführung des Betrachters bewirkten, daß dieser den gemalten Brief beinahe ergreifen und lesen zu können meinte.

Das Phänomen der Doppeldeutigkeit findet sich auch in den Darstellungen von „Adam“ und „Eva“ aus der Nachfolge Arcim- boldos. Waren die Jahreszeiten- und Naturelemente-Bilder Ar- cimboldos Geschenke an Kaiser Maximilian II. und somit schon zu ihrer Entstehungszeit hochgeschätzte Kunstwerke mit philosophischem Hintergrund, so scheint das Urelternpaar von gröberer Hand, frühestens von 1578, vielleicht aber auch erst aus dem 17. Jahrhundert zu stammen. Ihr eigenwilliger Reiz liegt aber vor allem im Inhalt, im Aufbau der

Köpfe aus unzähligen einander umarmenden, liebkosenden und übereinander purzelnden nackten Kinderleibern, die einer Brise Laszivität nicht entbehren.

Eine Anspielung auf das Lebensrad von Zeugung, Geburt und Tod als Folgen der Erbsünde und der Vertreibung aus dem Paradies läßt sich aus ihnen ablesen. Der Manierismus liebte das Phänomen der Allegorie.

Als „Möglichkeitssinn par excellence“ bezeichnet Werner Hofmann, der für die wissenschaftliche Gestaltung der Ausstellung verantwortlich ist, den Manierismus, was ganz besonders an den Beispielen des 19. und 20. Jahrhunderts evident wird.

Renė Magrittes mehrteiliges Bronzeobjekt „Madame Rėcamier von David“ aus dem Jahre 1967, eine Paraphrase auf Davids berühmtes Gemälde, arbeitet mit Schock-, Verwandlungs- und Verfremdungseffekten. Bereits 1951 hatte Magritte den Sarg der Madame Rėcamier gemalt; 1967 ließ er einige seiner Bilder als Bronzeobjekte gießen. Die prominente Dame wurde in geknickter Haltung eingesargt und auf ihr Ruhebett gelehnt. Die Wirkung des Totenbettes wird durch das kalte schwarze Material verstärkt.

Ein krasserer und unangenehmerer Kontrast zu dem eleganten Vorbild Davids scheint unvorstellbar. Eros und Thanatos werden in plumper vordergründiger Zeichensprache beschworen und gegeneinander ausgespielt. Das Manieristische liegt hier im Anti- Klassischen: in der Umsetzung ei- nes Bildes in ein dreidimensionales Bronzeensemble, das beliebig zu arrangieren ist. Die Hauptperson ist nur metaphorisch in Form eines „sitzenden“ Sarges zugegen.

Auch alle phantastischen Ar-

chitekturentwürfe, da frei vom Zwang der Funktionalität, tragen Züge des Manierismus. So werden Stiche von artifiziellen Felsgrotten aus dem 16. und 18. Jahrhundert, Etienne-Louis Boullėes „Kenotaph“ aus der französischen Revolutionsarchitektur, aber auch Beispiele der sogenannten Postmoderne der siebziger und achtziger Jahre unseres Jahrhunderts vor Augen geführt. Raimund Abraham, Arduino Canta- fora, Robert Venturi, Coop Himmelblau und Hans Hollein seien stellvertretend genannt. Ein streng klassisches Konzept - mit Vorliebe für Palladios Proportionsregeln - wird in das Zufällige, Beliebige und Unbeabsichtigte umgekippt.

Der Zufall aber ist programmiert, das Spiel heißt in ästhetischem Sinne Blasphemie.

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