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Steinzeitliche Obsidian-Connection

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Die Menschen der jüngeren Altsteinzeit waren alles andere als tumb: Sie pflegten wirtschaftliche und kulturelle Kontakte und eroberten die Erde.

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Die Menschen der jüngeren Altsteinzeit waren alles andere als tumb: Sie pflegten wirtschaftliche und kulturelle Kontakte und eroberten die Erde.

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Sanft schimmert das Licht durch den knapp zwei Zentimeter langen Splitter aus Obsidian. Für den Laien ist das winzige Stück des dunkel glänzenden Vulkanglases einfach nur ein Steinchen. Für Prähistoriker jedoch ist das jüngst in Grub und Stillfried an der March ausgegrabene Fundstück der lange gesuchte Beweis dafür, daß es vor rund 20.000 Jahren schon einen Kulturaustauch zwischen dem heutigen Niederösterreich und den nördlichen Karpaten gegeben hat. „Die nächsten Obsidian-Vorkommen liegen in Nord-Ungarn beziehungsweise in der Ost-Slowakei”, erklärt Walpurga Antl-Weiser, Altsteinzeit-Expertin des Wiener Naturhistorischen Museums, die die altsteinzeitliche Fundstelle erforscht.

Die niederösterreichisch-slowakische Obsidian-Connection war jedoch kein Einzelfall: In der jüngeren Altsteinzeit - diese Epoche begann vor rund 35.000 und endete vor zirka 10.000 Jahren - herrschte ein reger Kulturaustausch in Europa: Bestimmte Schmuck- und Gefäßformen waren weitflächig verbreitet. Innovationen in der Waffenproduktion -etwa Beile, deren Schneiden durch geschickte Bearbeitung besonders gut am. Stiel befestigt werden konnten -breiteten sich über Hunderte von Kilometern aus. Frauenstatuetten kultischer Natur - wie etwa die berühmte Venus von Willendorf - wurden in Österreich ebenso wie in der Ukraine ausgegraben. Aufgrund des unterschiedlichen Alters der verschiedenen Fundstücke steht eines fest: „Die hiesige Kultur wurde von Osten her beeinflußt, nicht umgekehrt”, wie Anti-Weiser betont.

Die archäologischen Funde in Grub und Stillfried ermöglichen eine vage Bekonstruktion des Lebens in der jüngeren Altsteinzeit: Inmitten einer von Gräsern, Büschen und nur wenigen Bäumen bewachsenen Tundra lebten die Alt-Österreicher in dauerhaften Lagern, die sie für längere Jagdzüge verließen. Zeltartige Behausungen und Kleider aus Tierfellen schützten sie vpr dem kalten und feuchten Klima. (Daß die Temperaturen damals eher unwirtlich waren, darauf lassen die gefundenen Beste von Föhren und Birken sowie die Artenarmut der witterungsempfindlichen Kleinschnecken schließen.) Das Leben spielte sich um mehrere Feuerstellen herum ab, die auf verschiedene Weise genutzt wurden. Um eine Feuerstelle wurden hauptsächlich angeknabberte Knochenreste gefunden, um eine andere feine Nadeln, mit denen aus Fellen Kleidungsstücke genäht wurden. Auch die Werkstatt eines eiszeitlichen Steinschlägers wurde entdeckt; scharfe Steininstrumente wurden damals mittels Zersplitterung größerer Brocken gewonnen.

Ocker und Botel erfreute sich damals großer Beliebtheit: Offenbar bestreuten die Steinzeitmenschen ihre loten vor der Bestattung aus kultischen Gründen mit diesen Farbstoffen. Bemalt wurden auch Schnitzereien, Tierschädel und Knochenperlen. Vor allem die Herstellung jener nur wenige Millimeter kleinen Kugeln aus Knochen oder Elfenbein mit ihren winzigen Ösen erforderte enormes Geschick.

Antl-Weiser schätzt, daß die Ur-Niederösterreicher sich in Gruppen zu 25 bis 40 Individuen zusammenrotteten. Der jetzt bewiesene Kulturaustausch in der jüngeren Altsteinzeit habe sich mehr oder weniger zufällig ergeben, vermutet Antl-Weiser. Menschengruppen, die auf der Suche nach Bohstoffen durchs Land zogen oder auf Jagdzügen hinter Tierherden her waren, trafen aufeinander und tauschten Dinge aus, die sie mit sich führten.

Manches allerdings läßt darauf schließen, daß unsere altsteinzeitlichen Vorfahren, die anatomisch schon mit den heutigen Menschen identisch waren, besser organisiert waren und vielleicht doch in größeren Gruppen zusammenlebten: In Sungir östlich von Moskau wurden die Skelette eines 60jährigen Mannes und zweier Kinder gefunden, die vor rund 28.000 Jahren begraben worden waren. Um die Hüfte eines Kindes war ein Gürtel aus 240 Fuchszähnen geschlungen. Der Mann war mit 3.000, jedes der Kinder mit 5.000 Elfenbeinperlen geschmückt. In dem Schmuck stecken mindestens 13.000 Arbeitsstunden, haben Archäologen berechnet. Daß kleine Horden von Urmenschen, die hauptsächlich mit dem harten Überlebenskampf beschäftigt sind, genügend Muße dazu hatten, ist schwer vorstellbar.

Kunst und Musik

Das Bild vom tumben Frühmenschen, der in stinkende Felle gehüllt, keulenschwingend und unartikuliert grunzend durch die Tundra stapft, muß revidiert werden. Auch bedeutet der Begriff „Steinzeit” nicht, daß ausschließlich mit Steinen hantiert wurde:

■ Die Menschen der jüngeren Altsteinzeit trugen Schmuck in Form von Ketten, Anhängern oder an die Kleidung genähte Knochenperlen und Muscheln.

■ Sie beleuchteten ihre Höhlen und Zelte mit Öllampen aus Stein.

■ Sie bemalten kunstvoll die Wände von Höhlen, die anscheinend vor allem kultischen Zwecken dienten: Die Malereien im französischen Lascaux sind 16.000 Jahre alt, jene im spanischen Altamira 14.000 Jahre und die zum Teil perspektivischen Darstellungen in der erst 1994 entdeckten Grotte Chauvet im französischen Ar-deche-Tal haben stolze 30.000 Jahre auf dem Buckel.

■ Sie schnitzten tierische und menschliehe Figuren, wie etwa die in großer Zahl gefundenen Venusstatuetten

■ Und sie vertrieben sich die Abende am Lagerfeuer mit Musik: In einer Höhle der Schwäbischen Alb fanden deutsche Archäologen eine steinzeitliche Flöte aus einem Schwanenkno-chen.

Vor rund 35.000 Jahren - just zum Beginn der jüngeren Altsteinzeit -tauchte der homo sapiens sapiens in Mitteleuropa auf. Manche Anthropologen sind der Meinung, dieser moderne Menschentyp sei zu jener Zeit an vielen Orten der Erde zugleich entstanden. Doch Forschungsergebnisse der Archäologie, Genforschung und Sprachwissenschaft lassen einen anderen Schluß zu: Demnach liegt die Wiege der Menschheit in Afrika, von wo aus sich der homo sapiens über den gesamten Erdball ausgebreitet hat. Vor 100.000 Jahren kamen die ersten Vertreter dieser Gattung in den mittleren Osten, vor 60.000 Jahren nach Australien und eben vor 35.000 Jahren in das damals unwirtliche Europa. Der moderne Mensch stieß jedoch nicht in leere Gebiete vor, sondern traf überall auf Menschen älterer Bauweise - wie etwa die Neandertaler - die aber der smarten Konkurrenz im Überlebenskampf nicht gewachsen waren und ausstarben.

Der amerikanische Forscher Allan Wilson von der University of California entdeckte vor zehn Jahren, daß alle heute lebenden Menschen Nachfahren einer einzigen Frau waren, die vor rund 200.000 Jahren in Afrika geboren wurde. Rund 12.000 Generationen trennen dieser Urmutter von den Menschen des 20. Jahrhunderts. Die Berechnung basiert auf der Tatsache, daß die für die Mitochondrien (bestimmte Organellen der menschlichen Zellen) zuständigen Gene stets von der mütterlichen Eizelle beigesteuert werden. Durchschnittlich in jeder 200sten Generation kommt es bei der Vererbung zu kleinen Kopierfehlern im entsprechenden Erbgut. Vergleicht man die Mitochondrien-Gene zweier beliebiger Menschen, so läßt sich anhand der vorhandenen Unterschiede gut abschätzen, vor wie vielen Generationen die beiden einen gemeinsamen Vorfahren hatten.

Zu diesen Ergebnissen paßt der vom Linguisten Joseph Greenberg von der Stanford University erstellte Sprachenstammbaum: Denn zusammen mit den einzelnen Gruppen der Steinzeitmenschen verbreitete sich auch die Sprache über die Erde. So wie aus dem Latein die romanischen Sprachen wurden, entwickelten sich aus einer vermuteten Ursprache verschiedene Idiome. Während Sprachen aus verschiedenen Ecken Afrikas keinerlei Verwandtschaft mehr miteinander aufweisen, gehören drei Viertel der Menschheit zur nostratischen Sprachfamilie. Japanisch, Spanisch, oder die Idiome der Eskimos und patagonischen Ureinwohner hatten in ihrer Entwicklung nicht genügend Zeit, um sämtliche Gemeinsamkeiten zu verlieren; das ist den afrikanischen Sprachen untereinander und gegenüber den nostratischen Sprachen passiert - ein weiteres Indiz dafür, daß der homo sapiens in Afrika entstand.

Der Sprachenstammbaum lieferte auch neuen Zündstoff für eine der umstrittensten Fragen der jüngeren Menschheitsgeschichte: die Besiede-lung Amerikas. Die traditionelle Lehrmeinung lautet: Amerika wurde vor rund 12.000 Jahren von sibirischen Völkern besiedelt, die über die damals verlandete Bering-Straße auf den Kontinent gelangten, und sich anschließend bis Feuerland ausbreiteten. In der Tat stammen die ältesten gesicherten archäologischen Funde am amerikanischen Kontinent aus jener Zeit. Einige Archäologen glauben jedoch, daß die Besiedelung Amerikas schon vor etwa 40.000 Jahren einsetzte. Die brasilianisch-französische Forscherin Niede Guidon glaubt sogar, in südamerikanischen Höhlen Überreste von 50 Jahrtausenden alten Feuerstellen entdeckt zu haben.

Sie kamen in Wellen

Aus dem Sprachenstammbaum Gre-enbergs geht nun hervor, daß die asiatischen Sprachen und die südamerikanischen Indio-Idiome vor 35.000 Jahren aus einem gemeinsamen Vorläufer entstanden sind - Wasser auf die Mühlen jener, die nicht glauben, daß Amerika erst vor 12.000 Jahren vom Menschen erobert wurde.

Auch jüngste Funde geben den Bebellen Auftrieb: So hat Anna Roose-velt von der Universität von Illinois in Chicago Überreste einer 11.000 Jahre alten, seßhaften Kultur im Amazonasgebiet entdeckt, die um einiges fortgeschrittener war, als die damals in Nordamerika lebenden Großwild-

Wie es scheint, ist Amerika in mindestens zwei Wellen besiedelt worden: Südamerika vor 50.000 bis 35.000 Jahren und Nordamerika von den vor 12.000 Jahren über die Beringstraße kommenden Völkerscharen. Eine solche wellenförmige Besiedlung ist nichts ungewöhnliches: Auch in Europa wanderten vor rund 10.000 Jahren abermals neue Stämme, aus Kleinasien kommend, in Europa -und auch hierzulande - ein und verdrängten oder assimilieren die alteingesessenen Jäger und Sammler. Die Neuankömmlinge errichteten feste Häuser, bauten Getreide an und betrieben Vorratswirtschaft - damit endete die Altsteinzeit in Österreich.

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