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Der Biß der mythischen Schlange

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Den Ureinwohnern der Insel Taiwan widmet sich eine Ausstellung im Wiener Völkerkundemuseum

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Den Ureinwohnern der Insel Taiwan widmet sich eine Ausstellung im Wiener Völkerkundemuseum

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Ahnenpfosten aus schwerem Eisenholz tragen Motive von Menschenköpfen oder -körpern, ihnen sind manchmal Schlangen oder andere Tiere, aber auch geometrische Muster zugefügt worden. Die Köpfe verweisen auf die Tradition der Kopf jagd, Schlangen sind Sinnbilder für Abstammungslegenden. Die Hundert-Schritt-Schlange

(Akistrodon acutus) gilt als mythischer Ahne jedes Menschen. Das Tier hat seinen Namen von der Wirkung des Giftes: Hundert Schritte nach dem Biß ist das Opfer tot.

Zeugnisse der Kultur der Paiwan sind zur Zeit im Wiener Völkerkundemuseum (Wien 1., Neue Hofburg, bis 30. Juni) zu sehen. Die Paiwan gehören nebst neun anderen ethnischen Gruppen zu den Ureinwohnern der Insel Taiwan. Sie sind der Völkergruppe der Austronesier zuzurechnen, die von Madagaskar bis zu den Osterinseln und Hawai ihre Siedlungsgebiete hatten. Zu ihnen gehörten die Indonesier wie die Melanesier, die Mikronesier und die Polynesier. Keine andere Gruppe von Völkern hat auch nur annähernd einen solchen Expansionsdrang gehabt, wie die Austronesier. Ihre ursprüngliche Heimat war Hinterindien.

Der bedeutende Wiener Ethnologe Robert Heine-Geldern hat sich jahrelang mit der Erforschung dieser Volksgruppe beschäftigt und festgestellt, daß in neolithischer Zeit die Träger der austronesischen Sprachen (Malaio-Polynesier) sich von den Trägern der austro-asiatischen Sprachen (Mon-Khmer- Völker) getrennt haben. Heine-Geldern setzte seine Sprachforschungen mit den Ergebnissen archäologischer Untersuchungen in Zusammenhang. So wurde das Schaftzungenbeil, das außer auf Formosa auf keiner südostasiatischen Insel gefunden wurde, bei den Mundavöl-kem im zentralen Vorderindien gefunden. Dorthin muß es vor Eindringen der Arier, also allerspäte-stens gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends gelangt sein.

In Taiwan leben derzeit etwa 300.000 Angehörige der Ur-Ein-wohner. Stämme, die im westlichen Flachland lebten, wurden von den chinesischen Einwanderern (7.-17. Jahrhundert) assimiliert. Auf den vorhin genannten Ahnenpfosten finden sich zum Teil chinesische Schriftzeichen, was den Einfluß nachhaltig belegt. Im zentralen Bergmassiv und an der Ostküste lebende Ur-Einwohner konnten jedoch zum Teil ihre Eigenheiten bewahren. Heute noch sind zehn verschiedene Stämme unterscheidbar, die eigene Sprachen sprechen,

wobei jede Sprache wieder in Idiome zerfällt.

Die Paiwan siedeln im südlichen Zentralgebirge. Ihre Dörfer reichen bis zu einer Höhe von 1.500 Metern. Auf Brandrodungsfeldorn bauen sie vor allem Hirse, Taro (Knollenfrucht), Bohnen und Süßkartoffel. Ihren Fleischbedarf dek-ken sie durch Jagd auf Hirsche und Wildschweine, auch durch Fischerei.

Während der japanischen Besetzung Taiwans (1890-1945) waren die Paiwan nicht nur mehreren Umsiedlungsaktionen ausgesetzt, sondern sie wurden auch gezwungen, Kopf jagd und traditionelle Begräbniszeremonien einzustellen. Diese Maßnahmen haben tiefgreifende Veränderungen der Gesellschaft zur Folge gehabt. Danach wurden diese Völker intensiv christlich missioniert, wobei verschiedene Konfessionen miteinander wetteiferten.

In der Ausstellung gezeigte Kunstwerke wie die Ahnenpfosten -sie stammen aus der Zeit der Jahrhundertwende - sind repräsentativ für eine Kultur, die von Ahnenkult und Mythen durchdrungen ist, die sozial auf einem System der Atltersklassen basiert. In manchen Darstellungen treten zu den traditionellen Motiven japanische Soldaten mit Gewehren, was eine genaue zeitliche Zuordnung der Objekte gestattet.

Die Kultur der austronesischen Minderheit in Taiwan ist gefährdet, obwohl versucht wird, alles aufzuzeichnen, was die Einmaligkeit dieser Völker betrifft. Um Abenteuerreisende abzuschrecken: Der Besuch der Minderheit in Taiwan ist nur mit einer Sondererlaubnis möglich!

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