6583443-1951_31_05.jpg
Digital In Arbeit

Die Felszeichnungen der Sahara

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn der Saharatourist von heute in bequemen Autos oder im Flugzeug in wenigen Tagen die ungeheuren Distanzen der Wüste zwischen Ägypten und dem Atlantik bewältigt, wozu vor wenigen Jahrzehnten noch monatelange und außerordentlich beschwerliche Reisen mit Kamelkarawanen nötig waren, dann ist er nur allzu leicht versucht, an Land und Leute der weiten Sahara moderne, europäische Maßstäbe anzulegen. Halten wir aber Rückschau in die Vergangenheit der Wüste und ihrer Bewohner, so wird das Bild, das wir uns so leicht und schnell machen zu können glauben, überraschend dunkler und rätselhafter.

Wie lange schon ziehen diese genügsamen Nomaden — Araber, Tuareg, Tibbu und Fezzaner — mit ihren Karawanen und Herden durch die Wüste? Beherrschen sie die Sahara seit Anbeginn der I Zeit oder jagten sie diese anderen Völkern und Stämmen ab? Es fehlt zur Beantwortung dieser Fragen jede mündliche oder schriftliche Überlieferung, wenn

wir von den erst in relativ spät in historischer Zeit eingewanderten Araberstämmen absehen, ja selbst die klassischen Schriftsteller der Antike und des Nahen Orients, die sonst als so verläßliche Gewährsleute in den meisten Fragen der Vergangenheit zu werten sind, vermögen nicht das Rätsel der Herkunft der nomadisierenden Wüstenstämme in der Sahara zu lösen. Die Nomaden der Sahara selbst wissen eigenartigerweise nicht das geringste über ihre Vergangenheit! Es interessiert sie auch nicht im mindesten.

Ähnlich wie diese, ist auch eine andere Frage, die sich uns aufdrängt, für die Nomadenvölker von heute belanglos: aus welchen Gegenden nämlich ihre Vorfahren nach der Sahara von heute eingewandert sein mögen, und in welche Zeit etwa die Besitznahme ihrer Weideplätze zu verlegen wäre? Wenn wir absehen wollen von einigen wenigen widersprechenden Abstammungslegenden und Ausgrabungen alter Burgen und Wohn-

anlagen, so fehlt uns auch hierüber, trotz zahlreicher Abstammungstheorien verschiedener Phantasten, jeder ernst zu nehmende Anhaltspunkt in der Geschichte und Vorgeschichte der Sahara.

Endlich kommt uns aber hier sowie bei der Behandlung der vierten grundsätzlichen Frage: ob nämlich die von den heutigen Wüstennomaden unterworfenen Stämme und Völker bereits ihrerseits als „Urbevölkerung“ der Sahara angesprochen werden dürfen, oder ob es vor diesen nicht noch andere Schichten von Menschen dort schon gegeben habe, eben diese Bevölkerung der Vorzeit der Sahara selbst zu Hilfe, indem sie uns einen kurzen, aber aufschlußreichen Blick in die Vergangenheit der Sahara tun läßt.

Es gab nämlich unter allen Völkern der alten Saharagebiete eine recht große Zahl bemerkenswerter Künstler, die in ihrem Schaffensdrang mit Hammer und Meißel, mit Pinsel und Farbtopf eine Unzahl von Felswänden an den verschiedensten Teilen ihres Lebensraumes mit Darstellungen von Menschen und Tieren ihrer Zeit bedeckten.

Diese „Felszeichnungen“, wie wir die bildlichen Darstellungen der Vorzeit kurzweg nennen wollen, gleichgültig, ob sie in Stein gemeißelt oder in Farben gemalt sind, geben uns endlich einen Hinweis zur zeitlichen Festlegung der verschiedenen Lebensperioden der sogenannten „Urbevölkerung“ der Sahara, hinsichtlich der Lebensverhältnisse und Umweltbedingungen dieser Zeiträume und vielleicht auch, sozusagen „zwischen. den Zeilen“, hinsichtlich Rassen und vergangener Kulturen.

über das Vorhandensein von Felszeichnungen im allgemeinen sind wir schon relativ früh durch die ältesten Saharareisenden, wie Dr. Barth, Duveyrier und Nachtigal, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts unterrichtet. Jedenfalls läßt sich heute schon eine gut gegliederte Reihe von aufeinanderfolgenden Kulturperioden an Hand der Technik der Felszeichnungen, ihrer Patina und Stile sowie im Hinblick auf die dort abgebildete Fauna festlegen, über Zeitspannen von Jahrtausenden und mehr, angefangen von einer fernen, fernen Zeit, in der die heutigen Wüstengebiete der Sahara noch tropische Vegetation aufwiesen, so daß dort Giraffen und Elefanten leben konnten, hinübergleitend in die verschiedenen Perioden der allmählichen Austrocknung der Sahara, der Zeiten, in denen diese Gegenden durch Völker beherrscht wurden, die mit ihren pferdebespannten Streitwagen auf verschiedenen nachweisbaren Routen die Sahara durchquerten, während andere wieder mit großen Packochsenkarawanen Handel nach dem Sudan und nach der Mittelmeerküste trieben, bis endlich zu jenem ausschlaggebenden Zeitpunkt in der Entwicklung, da bereits in historischer Zeit das Kamel seinen Siegeszug durch Nord-und Westafrika hält und alles bisherige kulturelle Leben auf eine neue Basis stellt.

Die ganze Bevölkerung der Saharagebiete in ihrer weitesten Fassung, vom östlichen Libyen bis zum Atlantik und von den Südhängen des Atlas bis zum Sudan, gehörte laut Gautier vor dem Auftreten des Kamels im großen ganzen mehr oder weniger genau ausgedrückt der „schwarzen“ Rasse an, und die Schriftsteller der Antike, wie Herodot, dessen Geschichtswerk aus der Zeit um 430 vor Christi Geburt stammt, sprechen von diesen Völkern als von den sogenannten „Äthiopiern“.

Hingegen saßen an den Küsten Tripo-litaniens, des Maghreb und in den Atlasrandgebieten weiße Berbervölker, und der

Fezzan, das Phasania der römischen und griechischen Schriftsteller, war das Land der Garamanten, die nach Duveyrier einer negroiden, den Bornuvölkern verwandten Rasse angehört haben sollen. Sie waren es, die nach Herodot, der auch noch andere Eigentümlichkeiten über sie meldet, auf ihren pferdebespannten Streitwagen den Fezzan und seine Nachbargebiete durchzogen und auf die Äthiopier Jagd machten.

Die Bewohner der Sahara vor der Austrocknung und dem Erscheinen des Kamels in Afrika waren sicher groß-teils „dunkel“ in der Hautfarbe, teilweise aber auch schon oder noch etwas hellere oder heller gewordene Völkerschaften, sie waren anfänglich Fischer, Sammler und Jäger, später Hirten und Viehzüchter und endlich Ackerbauer, vielleicht auch Krieger und Händler, und unter allen diesen unzähligen Völkern der verschiedensten und sich aneinanderreihenden Stufen der

Kultur gab es immer wieder Künstler, die das von ihnen geschaute Wild beziehungsweise ihre Weide- und Nutztiere nebst ihren Mitmenschen mit anfangs sehr exakter Genauigkeit, später aber etwas leichterhin und oberflächlicher, stilisierter, vielleicht auch ungeschickter auf die Felsen ihrer Umgebung meißelten und malten.

Es ist nicht anzunehmen, daß alle diese Fischer, Sammler, Jäger, Hirten, Bauern und Krieger der verschiedensten Zeitepochen einer „gemeinsamen Rasse“ angehörten, die sich über Jahrtausende hin unverändert erhielt. Vielmehr zeigen schon, abgesehen von der Vielfalt der Gräberformen, die Darstellungen von Personen aus den verschiedensten Gegen-

den der Sahara außerordentlich große Unterschiede in Körperbau, in Bekleidung und Bewaffnung, angefangen von den einfachen Strichgravierungen unbekleideter Männer, über die Darstellungen der in doppelter Dreiecksform gezeichneten Menschen, der sogenannten „hommes bitriangulaires“, über die menschlichen Darstellungen mit eigenartigem Kopfputz, mit Federn, deformierten und zoo-morphen Köpfen, bis zu den steatqpygen Darstellungen von Frauen und Kriegern mit genau feststellbaren Einzelheiten in Körperbau, Bekleidung und Bewaffnung, die aus Schwert und Schild, Pfeil und Bogen, Lanze, Wurfmesser und Bumerang bestehen kann.

Mit der Feststellung dieser äußerlichen Einzelheiten sdieint aber unsere menschliche Weisheit von heute ihre Grenze erreicht zu haben, bis zu der es ihr möglich war, in das Geheimnis der „Vorzeit“ und der „Urbevölkerung“ der Sahara einzubringen.

Was wir nach so vielen Jahrtausenden aus den Felszeichnungen noch herauszulesen imstande sind, ist herzlich wenig. Es hat aber den einen großen Vorteil, daß fast alles auf Grund leicht verständlicher Schlußfolgerungen logisch entwickelt und durch die Darstellungen belegt werden kann. Die abgebildeten Themen sind im großen ganzen zu verstehen und zu erkennen und lassen jeweils Schlüsse auf die Tätigkeit und Beschäftigung der Völker zu, aus denen die Steinkünstler gerade stammen.

Aber begnügen wir uns damit, zu erkennen, daß der Mensch der grauesten Vorzeit der Sahara, als es dort noch keine absolute Trockenheit und noch kein kulturwandelndes Kamel gab, ein ausgezeichneter Künstler war, wie die bis zu elf Meter hohen Felszeichnungen aus dem Fezzan beweisen. Und uns technisch so weit entwickelten Menschen von heute bleibt es vorbehalten, bewundernd und staunend vor den meisterhaften riesigen Werken und künstlerischen Schöpfungen einer längst verflossenen Zeit stehen zu dürfen, die wir bisher nur als „primitiv“ leichthin abzu-tun gewohnt waren und die uns trotzdem Tausende von Rätseln zum Lösen überließ . ■

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung