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Im Garten Allahs

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DIE SAHARA IST NOCH IMMER eine Welt voll Schrecken. Die romantischen Vorstellungen, die man sich gerne von ihr macht, entsprechen der Wirklichkeit nicht, und die geheimnisvoll anmutenden Namen Ahaggar, Tibesti, Tanesruft, Tėnėrė bedeuten nichts anderes als „Land des Schreckens “, „Land der Steine“, „Land des Durstes“, „Land des Hungers“. So haben die Nomaden ihre bitteren Erfahrungen ausgedrückt. Die Sahara ist ein Viertel kleiner als Europa; kaum eine Million Menschen bewohnen sie, von denen der überwiegende Teil ständig in ihr herumzieht. Bei den Arabern heißt sie „el Khela“, die Leere, aber auch der „Garten Allahs“; sie glauben, Allah habe, um sich ungestört in ihr ergehen zu können, ihr alles Überflüssige genommen.

Die Sahara ist ein unendliches Sandmeer; so glauben viele. Aber sie ist weit mehr: Sandberge, wandernde Dünen, Steinwüste, Gebirge von der Höhe der Alpen. Was tot zu sein scheint, lebt: Ein paar Wassertropfen locken aus dem Nichts große, bunte Libellen herbei. Libellen! Sie sind da — mitten in der Wüste. Die steile Düne, die aussieht wie eine Woge aus Sand, wird von Fischen bewohnt. Der Sandfisch — man sagt wirklich „Sandfisch“ — ist eine Eidechse, die im Sande schwimmt wie ein Fisch im Wasser. Verfolgt man sie, krabbelt sie in den Sand und schwimmt davon, mitten durch die Düne.

Den Mittelpunkt der Sahara bilden zwei riesige Gebirtgsstöcke, der Hog- gar im Süden Algeriens und das Tibesti im Süden Libyens. In diese Berge hat sich die vorgeschichtliche Tier- und Pflanzenwelt der Sahara zurückgezogen, und in ihnen haben auch zwei Rassen Zuflucht gefunden, die bis heute eine ganze Reihe von Rätseln aufgeben, die Tibbu und die Tuareg.

Der Name der Tibbu oder auch Tubbu wird von „Tu“: Berg und „Bu“: Mensch, Felsenmensch, hergeleitet. Daraus entstand Teda, Tuda, Tibbu. Im Tibesti leben an die fünfzehntausend, aber ebenso viele durchwandern die Weiden im Süden und den weiten Sand. Sie sind klein, zartknochig und mager. Eine schmale Nase und dünne Lippen geben ihnen beinahe ein europäisches Aussehen, aber ihre Haut ist sehr dunkel. Uber allen steht der „Derde“, der Sultan von Tibesti. Sein Amt ist nicht erblich, aber nur auf eine Sippe, die Tomagra, beschränkt. Ihr Islam ist kaum mehr als ein Lippenbekenntnis, die Bodenarbeit wird verachtet; die Blutrache ist üblich, aber sie kann abgegolten werden durch Kamele.

AUFRECHT SCHREITET DER großgewachsener Tuareg durch die Wüste und schaufelt mit den „Nails“, den breiten Sandalen, den Sand. Die weiten Hosen sind verborgen unter der wogenden Draperie, die ihm eine hoheitsvolle Würde gibt. Uber einer weißen Gandurah aus Baumwolle trägt er eine zweite, weitere in Indigoblau. Sie wirft er über die Schultern zurück. Die Arme sind nackt; einziger Schmuck: ein Ring aus geschnittenen Steinen, der im

Notfall auch als Schlagring benutzt wird. Der „Taguelmust“, der Schleier, bedeckt Genick, Stirn, Nase und Mund. Er ist über den Hinterkopf kunstfertig in der Form eines Helmes gebunden. Die Augen, im Schatten des Schleiers und mit Kohle geschwärzt, scheinen durch ein schmales Visier zu blicken.

Den Schleier trägt nur der Mann. Der Jüngling erhält ihn mit achtzehn Jahren bei einer kleinen Feier, nun ist er erwachsen. Nie mehr in seinem Leben wird er ihn ablegen, und muß er ersetzt werden, geht er in eine Zeltecke, damit niemand sein entblößtes Antlitz sähe. Er trägt den Schleier im Zelt und im Bett. Über den Schleier der Tuareg gibt es unzählige Legenden.

Früher trug der verarmte Ritter der Wüste noch einen weißen, viereckigen Schild, einen ziselierten Dolch am linken Vorderarm, eine schlanke Lanze und ein „Takuba“, das Langschwert. Von alldem gibt es heute nichts mehr. Man hat die Tuareg schlechthin als die Wüstenbewohner betrachtet. Das galt solange, solange sie noch die Herren der Sahara waren und ihre Raubzüge das ganze Gebiet unsicher machten. Es gibt von ihnen heute vielleicht 150.000, von denen sehr viele in den Salzsteppen am Südrand der Sahara und um die 30.000 im Hoggar leben. Ihr Leben ist schwerer geworden, seit die Franzosen die Sahara befriedeten. Aber noch immer gilt die Teilung zwischen Adeligen, Vasallen und Sklaven.

Trotz Islam hat sich das alte Mutterrecht erhalten: Nicht der leibliche Vater ist der nächste Anverwandte und der Beschützer der Familie, sondern der Bruder der Mutter, und die Kinder gehören stets dem mütterlichen Stamm an. Heirat ist nur innerhalb der eigenen Kaste möglich. Die Frauen pflegen die Überlieferungen, verstehen zu schreiben und sind die großen Dichterinnen. Ihre Autorität ist so groß, daß ein Wort von ihnen den ganzen Hoggar in Aufruhr zu bringen vermag. Jeder Mann hat nur eine Frau, die ihn jederzeit aus dem Zelt werfen kann. Die Frauen veranstalten in den schwarzen Schluchten den „Ahal“, die Minnehöfe der Tuareg. Zu ihnen kommen die jungen Männer auf ihrem schönsten Kamel festlich gekleidet, wenn die Nacht windstill ist. Zum „Ahal“ gehört das kleine Feuer, um den grünen Tee zuzubereiten, und die „Imsad“, die einseitige Violine, auf der die Frauen ihr Lied begleiten.

Als die ersten Prospektoren vor mehr als zehn Jahren in den Hoggar kamen, und als vom Himmel herab Wasser, Nahrung und Geräte schwebten, sahen die Tuareg neugierig zu. Grausen erfüllte sie, als die Europäer Löcher in die Felsen sprengten. Inzwischen haben sie gelernt, den Geigerzähler in die Hand zu nehmen. Die alte Gesellschaftsordnung löst sich langsam auf. Noch lebt die Verachtung für körperliche Arbeit, aber der Wunsch nach Arbeit bei den neuen Unternehmen und darnach, etwas zu erlernen, um die Zukunft zu meistern, wird ständig stärker.

Was mögen sie wohl gedacht haben, als über der Tanesruft die Rauchpilze der französischen Atomversuche in den Himmel stiegen? Was mögen sie von der neuen Freiheit halten, die auch über die Wüste hereingebrochen ist? Die aus Ozeanen von Sand herausragende Felseninsel des Hoggar ist längst im Süden von einer republikanischen Staatengrenze umzogen; die Tuareg werden nicht mehr von Paris, sondern von Algier aus regiert.

Man weiß nicht, ob die „Verschleierten“ wirklich die Nachfahren der Garamanten sind, deren Transsaharastraße bei Leptis Magna begann und in Timbuktu endete. Vielleicht haben ihre Ahnen die Sahara mit Wagen und vier Pferden in dem von den Felsbildern her berühmten „Fliegenden Galopp“ befahren.

Wer weiß, vielleicht werden die Tuareg eines Tages eine eigene Republik bilden, eine Tuaregrepublik vom Nigerknie in Mali bis zum Rande von Ghadames in Libyen.

FÜR DIE NOMADEN DER SAHARA scheint das Ende zu kommen. Sie spüren es selbst. Sie ahnen, daß sie eines Tages zwischen dem Gewerbe des Fremdenführers, der

Arbeit des Taglöhners oder der des Viehzüchters und Ackerbauern wählen müssen. Die großen Nomaden — die Mauren, die Tuareg, die Peuln — verlieren dabei noch dlie letzten Grundlagen ihrer Existenz: die Sahara trocknet weiter aus, die langsam zu Tode gehetzt. Die Noma- Karawane wird vom Lastwagen den werden an den Rand der Wüste gedrückt; sie wandern den Palmoasen zu: Ghadames, Ghat, Murzuk.

Wie ihnen, so geht es auch manchen der einst berühmten Städte am Südrand der Wüste, denn die Wanderung geht nach Norden, wo die Zukunft zu liegen scheint.

In den Zelten der Sahara wird der Name Timbuktus noch immer geflüstert. Zwischen ihnen und der sagenumwobenen Stadt am Rande des löwengelben Sandes liegt eine Durststrecke von Monaten. Von ihrem alten Glanz ist wenig übriggeblieben; sie macht einen grauen und eintönigen Eindruck. Das einstige „Rom des Sudans“ ist heute arm und klein.

Wer dieser lärmenden Grenzstadt zwischen Sahara und Dschungel etwa näherkommen will, muß am Abend an den Stadtrand gehen. Dort weht der Sand heran, der wie das Sirren eines Banjos an die alte Lehmmauer schlägt. Der Horizont, der nach Kamelreitstunden berechnet wird, ist verdeckt. Nur der Himmel steht samtweich und nahe. Uber dem Spitzbogen des riesigen Königspalastes glänzt das Kreuz des Südens. Es ist totenstill. Gestört wird die Ruhe nur vom Trampeln der Kamele und dem monotonen Gesang des Vorreiters. Er singt zum Loba Allahs.

DAS ERSTE FAHRZEUG DER SAHARA war das einhöckrige Kamel, das jüngste ist das Flugzeug.

Das Kamel hat die Wüste besiegt, aber nicht durch seine Intelligenz, Beweglichkeit, Willfährigkeit oder Anspruchslosigkeit, da es in Wirklichkeit widerspenstig, übellaunig und langsam ist.

Die Araber sagen, seine sprichwörtliche Arroganz, seine selbstzufriedene Miene käme daher, daß von den 100 Namen Allahs der

Mensch nur 99, das Kamel aber den hundertsten kenne.

Das Kamel wird vom Auto „abgelöst“. Aus den ersten, vereinzelten Autos wurde inzwischen eine „ganze Rasse“ von Wüstenfahrzeugen. Teerstraßen kriechen nach Süden, Westen und Osten; das blau-schwarze Band, das sich unter Schaufeln, Dampfwalzen und Teermischern entrollt, wird von Tag zu Tag länger.

ES BLEIBT DER SAND. Es stellte sich inzwischen heraus, daß er doch nicht so wertlos ist, wie es einst schien. Im Jahre 1951 kamen die ersten Prospektoren; 1954 wurde das große Erdgasvorkommen bei Berga entdeckt; zwei Jahre später folgte die Entdeckung der algerischen Ölfelder und des riesigen Erdgasvorkommens von Hassi R’mel; in den Jahren darauf fand man die enormen libyschen Ölvorkommen. Seit 1956 stehen Bohrtürme in der Wüste. Ingenieure, Techniker und Arbeiter leben in Fertighäusern, in denen die Klimaanlage eine Selbstverständlichkeit ist. Was gebraucht wird, bringt das Flugzeug.

Jährlich werden an die 500 Millionen Dollar investiert, und noch ist ein Ende nicht abzusehen. Alles ist organisiert, das alles ist unerhört teuer.

Das öl brachte auch Geld unter die Oasenbewohner. Kolonnen sind auf den Ölfeldem und beim Straßenbau tätig. Sie besitzen glitzernde Uhren, Transistoren und Motorräder. Aber für die Arbeit in den kleinen Oasengärten sind sie nicht mehr zu gebrauchen. Diese Entwicklung hat die Oasen in einen harten Existenzkampf gestürzt; die Lebensquelle der Wüstenbevölkerung, die Dattel, ist in Gefahr- Der Aufprall der kapitalistischen auf die Tauschwirtschaft der Sahara ist wie ein Dammbruch.

DIE INGENIEURE GLAUBEN, DASS SIE DIE WÜSTE besiegt haben; für die Konzerne ist die Sahara eine gute Investition. Erdöl, Erdgas, Eisen, Kupfer, Asbest, Kohle, Wolfram, Uranium, Diamanten: die Wörter haben einen magischen Klang. Dabei verwechselt man jedoch allzu leicht Geologie mit Wirtschaft und nimmt Hoffnungen für Tatsachen. Man vergißt gerne, daß es manchmal sogar zu kostspielig ist, anzuhalten und Schätze Im Sand aufzulesen und daß Erze nur verkauft werden können, wenn sie konkurrenzfähig sind. Man unterschätzt die ungeheure Schranke, die die Wüste vor ihrem Reichtum aufge- richtet hat: die endlose, leere, unfruchtbare, gefährliche Weite, in der noch immer der Tod lauert. Die so gut arbeitende Luftbrücke hat an der Entfernung nichts geändert.

DAS GROSSE EXPERIMENT, das heute im Gange ist, wird die Sahara nicht von heute auf morgen grundlegend verändern. Die paar Vorposten der modernen Zeit, die durch Sandmeer, Geröllfelder und Gebirge 1000 und mehr Kilometer voneinander getrennt sind, haben ihrem Antlitz noch kein neues Aussehen gegeben, und es bleibt fraglich, ob sich ein modernes Wirtschaftsleben in einem Ausmaße in ihr entwickeln wird, wie es sich manche Planer erträumen. Die Sahara wird trotz Erdöl, Erdgas und Erzen in absehbarer Zeit nicht dichter bevölkert sein, als sie es in Jahrhunderten war.

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