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Menschenhände zaubern...

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Das Gebiet, wo heute, etwa 100 Kilometer südlidi von Colomb Bechar, das Wadi Guir auf die große Transsahararoute stößt, war einst, nach den Beschreibungen des Suetonius Paulinus aus dem Jahre 47 n. Chr., dicht bevölkert ' von Elefantenherden, Panthern, Löwen und Reptilien. Eine tropische, üppige Vegetation herrschte vor 1900 Jahren da, wo heute nicht ein Grashalm aus der unendlichen Sandwüste sproßt.

Und diese Wüste wächst. Für den Moslem ist ihr todbringendes Weiterschreiten „Kismet“, unabwendbares, gottgewolltes Schicksal... Der okzidentale Mensch jedoch betrachtet es als eine Gefahr und eine Sünde, der wir mit allen Mitteln unserer wissenschaftlichen Errungenschaften zu begegnen verpflichtet sind.

Während amerikanische Wissenschaftler und Techniker an gigantischen Projekten für. Bevi ässerungsanlagen in den Wüsten Saudi Arabiens und des Mittleren Ostens arbeiten, ist Frankreich in den letzten Jahren zum Wüstenpionier größten Stils geworden. Die rapide Ausdehnung der algerischen Sahara, zufolge der seit den zwanziger Jahren fortschreitenden Klimaveränderung und das koranbedingte Verhalten der Moslems, hatte eine Abwanderung von über 600.000 Wüstennomaden in die dichtbesiedelten Küstengebiete zur Folge und wurde zu einer ernsthaften sozialen und politischen Gefahr. Im Bestreben, diesen gefährlichen Folgen zu begegnen, erinnerte man sich im französischen Kolonialministerium wieder eines Mannes, dessen Plan für eine großzügige Bewässerung der Sahara man Jahre zuvor als Utopie verlacht und abgelehnt hatte. Dieser Mann, Geologieprofessor an der Universität Algier, heißt: Justin Savornin.

Seine These, mit der sein ganzes Projekt stehen oder fallen mußte, ist allerdings phantastisch genug. Professor Savornin behauptet nicht weniger und nicht mehr als: unter den Sand- und Felsmassen der Sahara liegt ein längst versunkener See von unvorstellbaren Ausmaßen!

Was Wunder, wenn man in Paris diese Behauptung anfänglich nicht ernst nahm, die Eingabe belächelte und... ad acta legte?

Jahrzehntelang durchstreifte der heute mehr als 70jährige Gelehrte die Südhänge des mehr als 2000 Meter hohen Atlasgebirges, und schon früh fiel ihm auf, daß die Regen-und Schneeschmelzwasser plötzlich in den Felsspalten der Tiefhänge verschwanden und nirgendwo wieder zutage traten. Diese Tatsache ließ dem regen Forschergeist keine Ruhe, und als er im Laufe der Jahre immer wieder auf Versteinerungen von Süßwassertieren und andere Zeichen stieß, daß das riesige Gebiet des heutigen Sandmeeres in grauer Zeit von den Wassermassen eines gigantischen Binnensees bedeckt gewesen sein muß, verdichtete sich der längst gehegte Verdacht zur festen Ueberzeugung: dieser See muß noch heute unter den unermeßlichen Sand- und Gesteinsmassen der Sahara existieren. Diese Erkenntnis spornte den nimmermüden Geologen zu neuen Forschungen an. Messungen und Berechnungen wurden angestellt, Bodenproben analysiert, bis endlich ein fertiger Plan vorlag und ein bis in alle Details ausgearbeitetes Bewässerungsprojekt in Paris unterbreitet werden konnte. Aber den Herren in Paris erschienen damals diese Pläne des algerischen Professors als Ausgeburt eines von der afrikanischen Sonne verwirrten Gehirns..., so große Sorgen ihnen das stete Vordringen der tödlichen Sanddünen in Südalgerien seit langem auch bereitete.

Erst viele Jahre später, als die Sorgen in Nordafrika anfingen, ausweglos zu werden, erinnerte man sich im Pariser Kolonialministerium wieder des „verrückten Professors“. Vielleicht war gerade diese Utopie eine Probe wert? Aber es dauerte noch geraume Zeit, bis man auch in Paris seinem „Wissen“ glauben konnte. Um dieses theoretische Wissen des Professors in Algier wenigstens einer Prüfung zu unterziehen, entschloß sich die französische Regierung zur Ausrüstung von hydrologischen Expeditionen. Nach dem Scheirern der beiden ersten Versuche riskierte man einen letzten. Erst dieses dritte Experiment glückte: Bei Ghardaja in Südalgerien wurde in über 500 Meter Tiefe ein scheinbar unerschöpflicher Brunnen erbohrt, der, wie eine Fontäne, mit ungeheurem Druck das köstliche Naß aus den Tiefen unter dem Sandmeer in die hitzegeschwängerte Oberwelt springen ließ!

Perspektiven eröffneten sich, die sich anhörten wie die märchenhaften Geschichten eines Jules Verne. In Paris träumten nüchterne Beamte von einem goldenen Zeitalter, von Palmen, die zu Milliarden über Nacht aus cjen heißen Sandmassen der 8 K> Millionen Quadratkilometer umfassenden Sahara emporwuchsen. Und, wenn man den Uebertrei-bungen eines Traumes Rechnung trägt und den zeitmäßigen Ablauf ins richtige Verhältnis zur Wirklichkeit setzt, so mögen diese Träume wphl Wirklichkeit werden.

Denn allein, was in der algerischen Sahara seit Ende der vierziger Jahre geleistet wurde, stellt eine Rekordleistung dar und übertrifft alle Erwartungen. Nach dem Erfolg von Ghardaja schwand die Skepsis gegenüber der Savorninschen „Utopie“. Großzügige Vorbereitungen für die Verwirklichung dieser Bewässerungspläne wurden getroffen, aber der zweite Weltkrieg stoppte das Werk. Ein Jahrzehnt sollte vergehen, bis Frankreich unter äußersten Anstrengungen an die Verwirklichung des Titanenwerkes schreiten konnte.

Um die Halbjahrhundertwende war man so weit: Brunnen um Brunnen wurde erbohrt, Brunnen um Brunnen wird weiterhin unter Einsatz aller Kräfte erbohrt, gefaßt, Wehre werden errichtet, Stauseen füllen sich, Pumpwerke werden installiert, Verteilungssysteme gebaut, Wassermengen auf den Hektoliter genau berechnet, Palmen gepflanzt, Siedlungen gebaut: eine Welt wird neu geschaffen, eine tropische Vegetation aus dem Sandmeer der Sahara gezaubert!

Der erste Bauabschnitt eines Zehnjahresplanes begann in der wasserlosen Hölle des M'zab. Von hier aus werden als erste Plari-etappe etwa 200 Oasen sozusagen eine künstliche „Allee“ von zehn Kilometer Breite quer durch die ganze Sahara führen. Im Laufe dieser ersten zehn Planjahre aber soll an 1500 Stellen der tatsächlich existierende unterirdische See angebohrt werden, dessen Wasser unter ungeheurem Druck liegen und sich in 500 bis 600 Meter Tiefe vom Südfuß des Atlas bis nach Französisch-Aequatorial-afrika, in östlicher Richtung bis zur Lybischen Wüste ausbreiten.

1500 künstliche Oasen werden nach zehn Jahren von eineinhalb Millionen Menschen bevölkert sein. Und jede dieser Oasen wird eine nach einem Standardmodell errichtete Siedlung mit einer Moschee umschließen, in deren jeder etwa 200 Familien eine neue Heimstatt finden werden. Jeder Siedlerfamilie wird ein Hektar bewässertes Land für den Anbau von 120 bis 150 Dattelpalmen zur Verfügung gestellt.

Auf dem 30. Breitengrad liegt, weit in die Wüste vorgeschoben, 200 Kilometer südlidi von Colomb Bechar, das berühmte Fort der Legion: Beni Abbes, einst die Garnison des berühmten Kamelreiterkorps „Weiße Schwadron“. Heute stehen dort unter der glühenden Sonne modernste Laboratorien, bevölkert von einem großen Stab von Wissenschaftlern: Geologen, Geophysiker, Entomologen, Botaniker, Mediziner! Tausende von Quadratkilometer endloser Wüste bilden ihr Arbeitsfeld. Verschiedene Suchkolonnen sind von dieser Basis aus dauernd unterwegs, um jene Stellen im Sandmeer der Sahara festzustellen, die für neue Brunnenbohrungen Erfolg versprechen.

Noch immer wächst die Wüste, aber immer zahlreicher werden die Stellen, wo der Mensch dem Sandtod Halt gebietet. „Kismet“ sagte der Eingobrene, wenn vom unaufhaltsamen Vordringen des Sandmeeres die Rede war. „Kismet“ ist es auch für ihn, wenn, wie durch Zauberhände, plötzlich Wasser aus den Tiefen springt und Palmenhaine aus der Wüste sprossen.

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