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Sahara-Tramp

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Eine Reportage aus der Wüste.

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Eine Reportage aus der Wüste.

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WIE DURSTIGE KAMELE stehen sie um den vertrockneten Brunnen. Die blechernen Schnauzen dem Brunnen zugewandt, die langen Leiber, Plateaus, auf denen neue Maschinen grotesk in die Sonnenglut gezeichnet sind, Zisternen, in denen das Erdöl fast zu kochen beginnt, weisen in die Richtung, aus der sie gekommen sind und in die sie nicht mehr zurückkönnen. Mit jedem Tag versinken die Räder tiefer in den Sand. Und es gibt Camions, die schon bis zu den Achsen versunken sind. — Sie stehen und warten länger als eine Woche.

Man ahnt das Wasser, das hier hunderte Meter unter dem Sand ein kleines Meer bildet. Aber von der Ahnung wird man nur um so durstiger. Und von der Ahnung lassen sich nicht die Kühlmäntel der Motoren, die Reservetanks an den Sahara-Transportern füllen. — Der kleine Pumpzylinder ist gebrochen, der Schlauch, durch den das Wasser sonst in die Behälter rinnt — es soll sehr kalt und gut sein —, liegt mit ausgetrocknetem Mund im Sand. Die Pumpe — sie gehört einer Erdölgesellschaft — liegt zweitausend Kilometer in der Sahara, zwischen Fort Allemand und Fort Flatters, und steht dem Sahara-Transport nach den fernen Erdölfeldern von Edjeleh zur Verfügung. Nur hat der Sahara-Transport seit zehn Tagen nichts davon. — Der Pumpzylinder ist geborsten. — Wie durstige Kamele stehen fast zwei Dutzend schwere Sahara-Transporter um die Quelle, Point 23 85.

Aber — ein Kamel kann man antreiben, fast über seine Kräfte hinaus. Von einer Kamelherde, die man ins Verdursten treibt, bleiben vielleicht zwei oder drei am Leben und tragen die Last. Die Laster fahren nicht, wenn das Wasser für den Kühler fehlt, mit dem man gerechnet hatte. Und die Chauffeure liegen tagelang wie tot unter ihren schweren Fahrzeugen, wo es Schatten gibt. Die meisten von ihnen sind Muslims, es ist aber auch Hans Leichter hier, Volksschullehrer aus Stockerau, seit 28 Jahren Sahara-Fahrer, Fritz Werngrad, Gerichtsassessor aus Bonn, seit acht Jahren Sahara-Fahrer, Sandor F., Leiter der Verkehrskommission, Szeged, 14 Tage Vorsitzender eines Revolutionsrates und seither viele Monate, die Jahre werden können, Sahara-Fahrer. Wir alle liegen unter den Wagen im heißen Sand. — Die Nächte sind hier kaum kühler als der Tag, und der Tag hatte 70 Grad. Es gibt keinen Schatten. Auch die Tiere haben sich darauf eingestellt, daß es, hier Wasser gibt, seit die Kompanie den Brunnen grub. Wilde Kamelherden streichen um die schweren Wagen herum. Der Durst macht Gazellen ganz zahm. Vögel, die sich am Flug in die Sahara verirrten, suchen Schutz bei uns im Schatten der Lkw. Wenn wir von dem Wasser, das wir noch haben, kleine Becher abfüllen, trinken sie davon. Dann fallen einige tot zusammen, andere fliegen müde und schwerfällig fort„ dem sicheren Tod entgegen.

Es ist eine große Panne. Und als das Flugzeug mit dem Ersatzmotor an Bord kam, das von der nächsten Erdölsonde angefordert worden war, sind zwei alte Sahara-Fahrer im Delirium, und von den Kamelen, die um den Brunnen liegen, können sich viele nicht mehr erheben. — „Ein Garten ist die Sahara geworden“, sagt mir mein Chauffeurgefährte Assad, „— und die Pisten durch den Sand sind harmlos wie Laubengänge. Nur manchmal bleibt einem der Fuß im Sand stecken. Man glaubt, es ist eine Kleinigkeit und man muß ihn nur ein bißchen schütteln — bis man merkt, daß es die große alte Kraft der Wüste ist. die ihn hält.“ Und wie er es sagt, trinken wir den letzten Rest warmen Wassers aus dem Kühler unseres Berliez.

GEBLEICHTE GERIPPE von Kamelen, manchmal von Menschen, zeichneten die Karawanenstraßen durch die Sahara in der Vergangenheit. Heute sind es ausrangierte Autoreifen und ausgehöhlte Karosserien und Motorhauben. Der grinsende Tod hat seine Funktion als Wegweiser in der Sahara verloren, an seine Stelle ist das Mahnmal der technischen Destruktion getreten. Wo früher Kameltreiber und Kamele vor dem nahen Tod standen und ihn nicht aufzuhalten vermochten, stehen heute Ketten von schwerer Lkw. um den havarierten und können doch oftmals auch nicht verhindern, daß in zwei Monaten nur noch eine leere Hülse von all der Pracht übrig ist, die heute 40 Tonnen trägi und 17 Millionen Francs kostet.

Dutzende von Pisten durchziehen die Sahara heute, auf ihnen fahren Hunderte von schweren Lastern. Fahren oder havarieren. Oder bleiben irgendwo stecken, wo früher eine Piste war und über Nacht eine Düne sich aufbaute. Harmlose Landstraßen sind die Sahara-Pisten, und ich sah einen MG von Laghouart nach Tamaraset fahren, auf dem hinten „just married“ stand. — Aber tückisch wie Moore können sie werden, wenn ein vent-sable, ein Sandsturm, die gelbe Nacht der Wüste über Mann und Auto wirft, und am nächsten Morgen Sanddünen sind, wo die Piste lief, Berge, wo Täler waren. Eine Flitterwochenfahrt zwischen Venedig und Rom, zwischen einer sandüberschütteten Hügellandschaft kann die Reise auf der Sahara-Piste sein. Und dann merkt plötzlich einer von denen, die seit zehn oder zwanzig Jahren auf den Sahara-Pisten fahren, daß er einen Gast in der Kabine hat, der die Hand schwer auf das Steuer legt.

Alles das gibt es noch im Sterben auf der Sahara-Piste, was man in alten Büchern liest. Man muß nur lang genug die Pisten befahren, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. — „Ich habe Fata Morganas gesehen, das waren große Tankstellen mit Bars, auf denen Plakate .Trink Coca-Cola' klebten“, erzählte einer. — „Ich habe die Nerven verloren, nachdem mein Wassertank auf einer wenig befahrenen Piste zwischen Insalah und Tamaraset leckte, und fuhr kilometerlang einem Zisternenwagen nach, den ich überholen wollte. Erst als ich in einer Düne steckenblieb, erkannte ich, daß der Zisternenwagen Halluzination oder Luftspiegelung war. Aber in den vier Tagen, die ich warten mußte, bis die ausgesandten Flugzeuge mich fanden, kam er noch oft zu mir.“ .

WIE EIN SCHWARZES BAND liegt die Asphaltstraße über dem gelben Sand der Sahara. Immer weiter versuchen sie, mit Beton und Asphalt, in die Wüste vorzudringen. Bald kann es so sein, daß die Sahara-Pisten nur noch Seitenstraßen sind, wie bei uns die Landesstraßen, und als Hauptstraßen von Nord nach wirklich auf Jahre standhält. Unter der Hitze leidet der Beton, und der Asphalt wird eine schwarze Suppe wie im Teerkessel. Im Sommer kann man auf einer Asphaltbahn durch die Sahara steckenbleiben, wie auf einer dünen-überwehten Piste.

Wie verschwenderisch die Natur mit Tod und mit Leben ist! Der dampfende Asphalt der Sahara-Straße ist zentimeterhoch von toten und sterbenden Heuschrecken bedeckt. Der Geruch des Asphalts lockt Schwärme aus der hoffnungslosen Weite des Sandes. In ihren kurzen und todgeweihten Flügeln landen sie auf dem dunklen Streifen fast kochenden Asphalts, der so anders riecht und so anders aussieht als die Welt des Verdurstens, in der sie geflogen waren Sie wollen von dem flüssigen Asphalt trinken und werden dabei selbst aufgesaugt von der schwarzen Masse, die unter der Sonne Leben gewann. Die nächsten Schwärme kommen schon artgeflogen und klammern sich an den noch zuckenden Körpern im Asphalt fest Sie nagen an ihnen — einzige Nahrung, die sie auf hunderte Kilometer finden —, bis sie vollgefressen und schwer, von dem nächsten Lastauto zermalmt, zum Futter für den nächsten Schwärm gemacht werden.

Wilde Kamelherde

Gazellenpaar, eine wilde Kamelherde streicht durch den Erg, um zu neuen Futterplätzen zu kommen, und eine Nomadenfamilie steht plötzlich am Straßenrand. Kein Nomadenstamm auf Kamelen, nicht einmal Eselnomaden; ein Mann, zwei Frauen und drei Jungen. Mit einem Esel. Sie treiben das Handelsvieh von Nomadenstamm zu Nomadenstamm. Sie selbst gehören keinem an. Sie sind die ärmsten, die Paria der Sahara, die nur in diesem Teil der Sahara, der zu tot ist, um von den großen Nomadenstämmen durchzogen zu werden, leben dürfen. Sie halten den Wagen auf und bitten um Wasser. Sie bekommen das Wasser in ihren Schafsack gefüllt, der alt ist und räudig.

Wie sie hindurchkommen durch die hunderte Kilometer des Todes, trage ich Assad. Er weiß es nicht. Und als er die Frau fragte, die unver-schleiert war und diese kleine Familie der Armut zu führen schien, lächelte sie nur; wenn sie es wußte, konnte sie es nicht erklären. Ich wollte den Kindern frisches Wasser aus einer Thermosflasche geben, die später zerbrach. Assad hinderte mich daran. — ,;Die Kinder hier haben niemals in ihrem Leben kaltes Wasser getrunken. Entweder, der Trunk, den du ihnen gibst, wird ihnen nicht schmecken, das wäre nicht so schlimm. Oder das Wasser, das sie später trinken müssen, wird ihnen nicht schmecken. Das jedoch wäre eine Katastrophe.

Verschwenderisch ist die Natur hier mit dem Tod und mit einem kargen Leben, das selbst dort noch ist, wo sich kein Mensch mehr Leben vorstellen kann.

HANS LEICHTER, LEHRER AUS STOCKERAU. — „Acht fahre war ich in der Fremdenlegion, 28 Jahre bin ich Chauffeur in der Sahara. Mein erstes Auto unterschied sich noch nicht sehr von einem Kamel. Heute habe ich Geld auf der Bank und ein kleines Haus am Genfer See Ich werde in diesem kleinen Haus wohnen, in fünf Jahren, vielleicht in zehn. Aber hier, auf dem heißen Sand, schläft man sehr ruhig ein.“ — Lind er dreht sich um im Schatten unter seinem Wagen und schläft. Er schläft fast die ganze Zeit über, bis das Flugzeug kommt mit dem Pumpenmotor.

Hunderte Hans Leichter fahren auf den Pisten der Sahara. Mit einem Holländer sprach ich, der sich vor vier Jahren ein Haus auf Tahiti bauen ließ. Jedes Jahr nahm er sich vor, im nächsten sich zur Ruhe zu setzen, in seiner Villa auf Tahiti. — „Und wenn es einmal soweit ist, werde ich nicht landen können in Tahiti, wo meine Villa steht, denn die Luft und das Wasser werden strahlungsverseucht sein öder ein Atomversuch hat die Insel in die Luft geblasen. Das weiß ich schon heute.“

Kommunisten traf ich, die nicht mehr wußten, vor welchem Kerker sie geflohen waren. Karl S. traf ich, aus Stuttgart, ehemaliger Hauptsturmführer der SS. — „Ich habe für jedes Jahr, das ich in der SS war, mit einem Jahr Fremdenlegion bezahlt. Die Kilometer, die ich auf der Sahara-Piste in 70 Grad Hitze fahre, sind bereits Draufgabe.“ — Und es war eine Nacht, die uns sehr kurz erschien, ihm, dem ehemaligen SS-Hauptsturmführ'er, und mir, auf dem Weg entlang der versteinerten Formen des Mer du Sud, zwischen seinem Wagen und dem meinen.

Hier hat das 20. Jahrhundert sein letztes Strandgut abgestreift, auf den Pisten und auf den Erdölfeldern der Sahara. — Letzte der weißen Nomaden, letzte der großen Abenteurer, Don Quijote vergangener Ideologien, Gestrandete der neuen Ideologien. Große, klobige Stücke Strandgut, nicht Spreu, die in der Zeitlosigkeit der Wüste und aus der Verfahrenheit ihres Lehens Handlanger an den Baustellen für das nächste Jahrhundert geworden sind.

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