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Der Jordan fließt durchs Tor des Lebens

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NIEMAND ARBEITETE AN DIESEM TAG IN DER STADT EILATH, die an der Bucht von Akaba liegt. Hinter dem Jeep, auf dem an anderen Tagen das Wasser auf die Baustellen in der Wüste gebracht wird, schiebt sich der Träuerzug über die weite Strecke Sand dem Friedhof zu, der dicht am Meere liegt. Der Tod ist noch ungewohnt in dieser Stadt, die erst neun Jahre alt ist.

Neun Jahre kannte Eilath keinen Tod.

Die ersten Siedlungshäuser entstanden auf glühendem Sand.

Mit Flugzeugen mußte das Wasser aus Beer Sheba gebracht werden, und nur die Kinder bekamen mehr als einen Becher voll im Tag.

Nächtens rissen Fadayen die Pflanzen aus, die man tagsüber in den unwilligen Sandboden gepflanzt hatte.

Die ersten Fernlaster mit Gemüse und Werkzeugen kamen über die 300 Kilometer straßenloser Steinwüste aus Beer Sheba, und sie hatten Einschußlöcher. Die Wadis, durch die sie sich durchkämpften, sind kaum mehr als einen Schuß weit von der feindlichen Grenze entfernt.

Neun Jahre war die Stadt Eilath ein Traum, der dem heißen Wind aus der Wüste Araba abgerungen wurde. Ein gefährlicher Traum. Aber es starb niemand in Eilath in diesen Jahren.

Dann wurden die sanitären Anlagen gebaut und der Friedhof abgesteckt. Es starb der erste an Lungentuberkulose, und einige Tage später mußte ein zweites Grab ausgehoben werden, für das junge Mädchen, das getötet wurde von dem Mann, der erst vor zwei Wochen aus Nordafrika nach Israel gekommen war. Junge Palmen wurden um die Gräber gesetzt, und die Gärtner der Stadt kämpften an jedem Tag gegen den heißen Wind und gegen den heißen Boden um das Leben jeder einzelnen Pflanze. Aber in den Tropennächten fallen die schmalen Blätter ab und liegen welk auf den frischen Gräbern.

Von den Gräbern sieht man über die Bucht von Ąkaba und die Steinberge, die in der kurzen Dämmerung wie glühendes Eisen aufleuchten und am anderen Ufer als dunkle Flecken tief in die Felswüsten Saudiarabiens und Jordaniens ziehen. In der Mitte der Bucht vor den Steinblöcken, die einmal die Mauern der Essen von Ezzeon Geber waren, bleibt die Küste frei und unbebaut: für die große Vision, für das schäumende Wasser des Jordan, wenn es, aus den Felstälern des Negev brechend, in das Rote Meer mündet. „Das Tor nach Asien“ nennen die Israelis diesen flachen Küstenstreifen, Ein Tor des Lebens soll die Mündung des Jordan werden:

Gärten um die Quellen des Jordan im Norden des Galii, wo aus den mörderischen Sümpfen die glasklaren Chule-Seen wurden.

Ein Getreidemeer in den breiten Tälern des mittleren Laufes.

Palmenhaine, neue Städte, Wasserspeicher, aus denen Kraftstrom bis in die weitesten Dörfer Arabiens fließt, im Süden des Landes, wo die dunkle Mondlandschaft der Bergwüste Araba heute nur Starre und Tod in die flimmernde Luft zeichnet.

Und Schiffe, die das Erz des Negev aus den breiten Mündung des Flusses Jordan bei Eilath in alle Häfen Afrikas und Asiens bringen.

In den Wellen der großen Meere Wasser aus dem großen Fluß, als Gischt über die Felsen und als Flut über dem Sand aller Küsten der großen Kontinente.

Im Toten Meer mündet der Fluß Jordan und verdunstet. Im Roten Meer soll er münden und das Leben und den Geist Israels über alle Meere tragen.

HIER WAR FIEBER, hier waren wenige Menschen, und hier war Hunger. Todbringendes Gespensterland waren die dunklen Moore im Norden des Galii, aus denen das Wasser aus den Jordanquellen verseucht und schlammig aufstieg und als Regen aus Fieber und ewiger Müdigkeit niederging.

Hier sind weite Gärten, von Juden aus Marokko, aus Deutschland, aus Rußland, aus dem Jemen gepflegt. Jahre dauerte es, bis die Kanäle durch die Sümpfe des nördlichen Galii gezogen waren und bis Hektar auf Hektar Ackerland sich aus dem Morast hob. Fieber, Nebel und Verderben über grundlosem Moor war das Wasser des Jordán dort. Diamantklare Luft über Kanälen und Stauseen, durch die sprudelndes Leben den Boden von Monat zu Monat mehr verzaubert, ist das Wasser des Jordan heute.

Wir saßen am Ufer eines Sees im Chule- Gebiet. Ein Bauer, der vor vier Jahren aus den Slums von New York nach Israel gekommen war, Pastor Johann Schädlin aus Basel und ich. Der Pfarrer zieht die Schuhe aus, krempelt die schwarze zerschlissene Hose hoch und steigt langsam in das Wasser, das sehr frisch ist.

„Ich kam beruflich nach Israel. Ich bin Professor der Theologie und Liebhaber der Archäologie. Ich wollte unter der Erde nach Zeugen der Bibel suchen. Das ist heute modern geworden. Aber — zwei Monate bin ich nurr hier und habe nicht einen Zentimeter tief gegraben. Ich fand alles, was ich suchte, über der Erde. In den Menschen in Israel und ihren Plänen.“

Immer weiter geht der kleine Pastor in den See hinein. Und es macht ihm nun gar nichts mehr, daß seine Hose naß wird. Er wendet sich dem Ufer zu, schöpft das Wasser mit der hohlen Hand und läßt es durch die gespreizten Finger rieseln. Obwohl es Abend ist und kühl, beugt er den Kopf, um das Gesicht mit dem Wasser zu befeuchten. Später, am Ufer, holt er zwei Flaschen aus der abgetragenen Aktenmappe und wirft sie in den See.

„Ich sollte Jordanwasser für Freunde in der Schweiz mitbringen. Ich werde berichten, daß es keinen Sinn hat. Sie müssen, selbst kommen, wenn sie Jordanwasser haben wollen. Nur hier ist es wirkliches Jordanwasser, weil es lebt. In Flaschen gefüllt ist es schal und brach.“

WIR SCHLIEFEN IM HAUSE DES ISRAELISCHEN BAUERN aus dem New-Yorker Slum. Es lag noch Reif auf den Pflanzen um das Haus, wie bei uns im April, als der Israeli aufstand und seine Gebetriemen anlegte.

„Es ist viel Arbeit hier“, sagt er nach dem Gebet, „aber kein Glaube. In Tel Aviv ißt man Schweinefleisch, das aus dem Kibbuzim geliefert wird. Lind die Jüdischkeit stirbt aus in diesem Land, in das so viele Juden kommen.“

Der kleine Pastor — er muß zum Gebet des Juden seinen speckigen Hut nicht erst aufsetzen, denn er trägt ihn immer auf dem Kopf, außer wenn er selbst betet, ist nicht sehr einverstanden mit diesen Worten. Aber die Antwort auf das, was der israelische Bauer sagt, wird er erst vier Wochen später vor dem Stadtrabbiner in Eilath bekommen, in der Nacht in der Bucht von Akaba.

„Einmal lag der Glaube schwer und unbeweglich über diesem Land, als es noch unfruchtbar und nichts als geheiligte Erinnerung war", sagt Rav Fuchs aus Eilath. „Und jetzt glaubt man, daß er verschwunden ist, weil er nicht wie dunstige Luft lastet. Aber er hat nicht aufgehört, er hat sich nur aufgelöst im Wasser des Jordan. Mit dem Wasser fließt er durch die Getreidefelder im Negev, im Jordanwasser wird er junge Palmen bei Beer Sheba benetzen. Hier durch diese Bucht wird er strömen, wenn der Strom fließt, mit den Meeren sich vereinigen. Man weiß aber noch nicht, wann, vielleicht auch wie und an welchen Ufern er sich wieder absetzen wird.“

DER JORDAN FLIESST DURCH DEN J5EE GENEZARETH, der in Israel heute See Ken- nareth genannt wird. Die Kibbuzim an seinem Ufer sind Fischergemeinschaften, die sich rasch industrialisieren. Sie haben Kraftwerke und errichten Konservenfabriken für die Fische aus dem See. „Lake Kennoreth Tinneries“, und sie sagen dort, „kein Treffen Wasser soll ungenützt bleiben. Es wird sich einmal herausstellen, daß es nicht nur Israel ist, sondern der gesamte trockene Boden rundherum, für den wir Antwort zu stehen haben.“

Aber das Fischen im See Kennareth läßt sich nicht industrialisieren und ist im großen und ganzen auch heute noch so, wie es im See Genezareth vor etwas mehr als 1900 Jahren war.

Nachts ist der reichste Fischzug. Und der kostbarste Fisch ist einer, den es nirgends anderswo geben soll als im See Kennareth. E ist derselbe Fisch, den man vor diesen mehr als 1900 Jahren im See Genezareth genau so schätzte. Er hält sich am liebsten am Nordufer in dichten Scharen im warmen Wasser der Quellen auf, die aus dem Stück Land kommen, über dem eine arabische Mühle steht und die Kapelle zu Ehren von Petris Fischzug. Wenn die Dunkelheit gekommen ist, fahren sie vom Kibbuz Genosa auf vier Booten an das Nordufer heran. Von drei Booten werden Netze geworfen, so daß die kleine Bucht unter der Kapelle abgesperrt ist. Das muß sehr leise geschehen, denn die Fische sind noch hellhöriger geworden in diesen mehr als 1900 Jahren, seit dem Fischzug an dieser Stelle. Wenn die Netze dann gespannt sind, sollen Feuer auf dem Boden der Boote entzündet werden und mit hölzernen Hämmern trommelt man auf die Planken, da- mit die Fische erschrecken und sich in den Netzen verfangen.

Heute kann man keinp Feuer entfachen, denn das Ostufer des Sees ist syrisch und die Versuchung ist immer sehr groß, auf die hellerleuchteten Boote am nächtlichen See vielleicht sogar naiv verspielt Schießübungen zu halten. So bleibt nur das Trommeln auf die Schiffsplankeri. Die Araberhunde bei der Mühle beginnen zu heulen und hören die ganze Nacht nicht auf. Das vierte Boot verhält sich ruhig und liegt von den anderen etwas entfernt. Auf ihm sind vier Männer, zwei Maschinengewehre, Granaten und ein militärisches Sendegerät.

„BEER SHEBA LIEGT AM UFER DES JORDAN — noch nicht, aber in unseren Träumen. In unseren Träumen stirbt der Jordan nicht mehr im Toten Meer. Er fließt schon durch die Wadis des Negev."

Die Leute hier sind Spezialisten darin, wie man Träume in Wirklichkeit macht. Jeder Kibbuz auf dem steinigen Boden des Negev ist ein Traum, der gegen jede Vernunft gezwungen wurde, Wirklichkeit zu werden. Die Bergwerke in den Felsen des Negev waren schon Träume des Königs Salomo gewesen und sie blieben dann Jahrtausende lang vergessen, bis sie jetzt wieder geträumt wurden und verwirklicht werden. Zweihunderttausend Menschen in dieser steinernen Mondlandschaft, in der es seit Beginn der Zeit nur biblische Geschichte gab, dann kurze Episoden, in denen das Leben sich festzusaugen schien an einige Quadratrrieter, aus denen Kupfer gewonnen wurde. — Bis die heißen Sandstürme die Essęn wiederum ausbliesen und zudeckten. Das ist der Traum des Ben Gurion.

Und an den neuen Ufern des Flusses Jordan wird der Negev südlich von Beer Sheba zum Erzlager des Orient. Ueber den Strom tragen die schwerbeladenen Schiffe dieses Erz durch das Tor des Lebens. Und überall, wo Meer ist, ist das Wasser des Jordan.

Das sprechen der Rav von Eilath und der Schweizer Pfarrer Schädlin in einer Nacht an der Küste bei Eilath. Es ist sehr spät, wenn die Kühle vom Meer herkommt. In dem Gespräch, das die ganze Nacht währt, sitzt der Pastor auf dem Boden und ist ein dunkler schwerer Fleck am hellen Kies. Aber der Rav steht auf und stößt mit seiner ganzen hageren Länge weiter als die Berge des Negev in den Himmel hinein.

Als die Kühle kam, begannen die Felsen der Küste, die einmal Edom war, im Morgen rot zu werden. Nach der Stadt zurück gingen sie an dem Stück Sand vorbei, der für den Friedhof abgesteckt ist. Schon gesetzt und noch sehr klein sind die Palmenpflanzen, deren Blätter bald auf den ersten Gräbern von Eilath liegen werden.

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