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Die Bahnhofe der Karawanen

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In der Sahara, die gekennzeichnet ist durch klimatische Extremwerte, existiert der Mensch seit Jahrtausenden. Er lebt dort, wo es Wasser gibt — die Voraussetzung des Lebens schlechthin. Doch Wasser ist rar in der größten Wüste der Welt — zumindest an ihrer Oberfläche. Nur in der Tiefe dieser weiten Landschaft gibt es Wasser genug, vielfach jedoch unerreichbar für die Technik der Saharabewohner.

So ist nur dort, wo der Grundwasserspiegel verhältnismäßig hoch ansteigt oder Wasser sogar austritt, die Existenz einer Oase gewährleistet — nicht jedoch gesichert. Ohne vorbeugende Maßnahmen durch den Menschen kann eine blühende und fruchtbare Oase bald wieder der Wüste zum Opfer fallen: durch Wanderdünen, Flugsand, Bodenversal-zung, Austrocknung infolge versandender Bewässerungskanäle, durch Überschwemmungen hochwasserführender Wadis.

Seit dem Einbrudi der Neuzeit in die Sahara kommt eine neue Gefahr hinzu: die moderne Technik, die in die Wüste vordrang, um sie zu erobern und zu verändern. Und damit stehen die saharischen Oasenstädte vor einem neuen Problem. Während einige wenige Zentren in der Sahara verstädtern und verindustrialisieren, verödet die Mehrzahl der kleineren Siedlungen: Sie sind der sozialen Umstrukturierung und der Abwanderung von potentiellen landwirtschaftlichen Kräften nicht gewachsen, das Sterben der Oasenstädte hat eingesetzt.

Dazu kommt, daß es kaum noch Karawanen gibt: Der klassische Transsaharahandel ist zum Erliegen gekommen. Die Europäer brachten ihre Autos mit, sie bauten Pisten und Straßen und setzten das Flugzeug ein. Schiffsverbindungen rund um Westafrika, Konvois von dreiachsigen Zehntonnern und schnittige Jets haben das behäbige, geduldige, doch in der Sahara bis dato unentbehrliche Dromedar verdrängt.

Mit der Veränderung des saharischen Handels wechselte auch die Bedeutung der einzelnen Oasenstädte. Die Karawansereien, Bahnhöfe der Transsaharakarawanen, starben. Das Verkehrskonzept von Jahrtausenden begann sich aufzulösen. Wichtige alte Karawanenzentren verarmten und sanken zur Bedeutungslosigkeit herab — das libysche Murzuk etwa oder das nigerische Agadez. Andere Städte hingegen wurden zu Zentren für das moderne Großlastfuhrwerk: Salah, Ouargla, Zinder, Touggourt.

Eine ganze Reihe saharischer Oasen, die bis in unser Jahrhundert vom Transsaharahandel profitiert hatten, wurden durch die geänderten Transportbedingungen dem Untergang geweiht. Vor allem die südtunesischen Siedlungen und jene Oasen, die weitab vom Saharaboom der Neuzeit liegen — abseits der riesigen ölreserven, die seit den fünfziger Jahren erschlossen sind.

Die Struktur der Sahara hat sich geändert — und mit ihr die Struktur der Wohnplätze. „Le Sahara ro-mantique“ ist tot — und daher sollten wir uns nochmals vor Augen halten, was das Wesentliche der saharischen Siedlungen vor dem Einbruch der Europäer war: ein Refu-gium zu sein inmitten absoluter Lebensfeindlichkeit, ein Feldzeichen im Kampf gegen die Wüste und ein Beweis menschlicher Überlebenskraft.

Leibeigene bewirtschafteten die Oasengärten, während sich die reichen Besitzer mit Handelseinkünften aus der Oasenwirtschaft und dem Karawanenverkehr reicher und besitzender machten.

Die Sklaven oder Haratins, wie sie auch genannt wurden, lebten in diesem System trotzdem nicht schlecht.Sie waren zwar unfrei, doch für ihren Lebensunterhalt war gesorgt. Der Gedanke an Unfreiheit konnte erst gar nicht aufkommen — bedingt durch die Lehre des Islam, die den Begriff der menschlichen Freiheit nicht kennt, und bedingt auch durch die Gesetze der Natur. Wo sollte ein Sklave, erfüllt vom Gedanken der Freiheit, diese suchen? Bodenbesitz und Wasserrechte befanden sich seit jeher in den Händen weniger, ein Ausweichen in andere Gegenden war illusorisch.

Dies sind freilich Konsequenzen, die dem europäisch-christlichen Denken zuwiderlaufen, anderseits aber Folgen einer unerbittlichen Natur, die mit dem Herr-Knecht-System den Menschen die einzige Überlebenschance bot. Es gab keine echte Armut wie heute, man lebte ohne Hunger, und der Herr war eben der Besitzende, der Reiche; Allah hatte es so eingerichtet — und es war gut so...'

Außerdem wußten sich die Oasenbauern zu wehren. Sie legten Schutzdörfer und -bürgen an, die berühmten Ksur, befestigte Kastelle, von denen aus man räuberischen Nomaden Einhalt zu gebieten wußte; mit oder ohne Erfolg — das war eine Frage der Geschichte und des Kriegsglücks.

Dann kamen die Europäer. Leibeigenschaft und Sklaverei paßten nicht ins christlich-abendländische Weltbild der Franzosen, Italiener, Spanier und Engländer. In Gebieten, die unter europäischer Oberhoheit geben. Einschlägige Gesetze entließen daher den ehemaligen Haratin in die Selbständigkeit und Selbstverantwortung. Der vorher unfreie Oasenarbeiter wurde quasi über Nacht in die Freiheit gestoßen, die er nicht kannte.

So reinigte eben niemand mehr die versandenden und einstürzenden Foggarakanäle. Das Wasser versiegte. Doch die neue Technik glaubte, auch dieses Übel beheben zu können. Artesische Brunnen wurden gebort, Windräder pumpten das Grundwasser in die Gärten, Diesel-motore versorgten die Dattelpalmen mit dem nötigen Naß.

Aber der gute Wille der Europäer scheiterte am Fatalismus der Eingeborenen. Mit der eingeleiteten Änderung der sozialen Struktur war das Todesurteil für die Oasenstädte geschrieben.

Schließlich kamen die Erdölfunde noch zur rechten Zeit. Viele der nun freien, aber weiterhin besitzlosen Oasenbewohner zogen in die neuen Zentren der zukunftsträchtigen Industrie. Diffizile technische Anlagen brauchen Betreuer, Bohrlöcher wollen gebohrt werden, Pipelines gewartet, Pisten geglättet und Flugplätze unterhalten sein. Man brauchte Arbeiter, ungelernte und gelernte Hilfskräfte, Lastwagenchauffeure, Mechaniker und Bedienungspersonal.

Die arbeitslose Jugend der siechen Oasenstädte bot sich da von selbst an; sie begnügte sich nicht mehr mit harter Arbeit in den Oasen, dürftigen Erträgen und geringer oder keiner Bezahlung. Im Norden, in Hassi Messaud, in Amenas, Hassi R'Mel und Marsa al Bregha, in Edjeleh und Serir ließ sich mehr Geld verdienen.

Aber nur wenige Oasenstädte sind infolge ihrer günstigen Lage aufgeblüht. Tuggurt zum Beispiel, Ghar-daia, Biskra oder Ouargla. Aber dies sind auch die einzigen alten Saharaoasen, die sich gegen die Neuzeit behaupten und sich in ihr sogar entwickeln konnten. Das Heer der anderen Oasen, einst mächtige und wichtige Stützpunkte, hat jedoch seine Bedeutung im Karawanenverkehr verloren und ist somit seiner Lebenskraft beraubt.

Statt dessen dröhnen Dieselmotore in der einst stillen Sahara und fördern für Europa das so nötige Schwarze Gold. Wo bleibt „Allahs Garten, das Paradies, daraus der Herr alles Laute entfernte, damit es einen Ort gebe, darinnen er in Ruhe wandeln kann .. .'•?

Der Saharabewohner allerdings hat zu träumen begonnen. Nicht mehr von beschaulicher Ruhe und einem koranerfüllten Leben, sondern von einem Dasein, das ihm der Europäer vorlebt, das er erreichen und kopieren möchte, zu dem ihm aber meist die Vorbildung oder die Einstellung fehlt.

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