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Charles de Foucauld und der Islam

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Je tiefer der Mensch mit Geist und Wille eindringt in die Schächte des Kosmos, desto offenbarer wird ihm auch, was er selber ist und sein soll, und desto unheimlicher enthüllt sich sein eigenes innerstes Geheimnis, das seiner Freiheit. Aufstieg oder Untergang, Leben oder Tod, Ordnung oder Chaos, Aufbau oder Vernichtung, es liegt nicht in den Kräften der Natur, nicht in einem sinnlosen, zwangsläufigen Schicksals- oder Zufallsausbruch, sondern am jeweiligen Griff des freien Menschen in die Schöpfung. Der lockenden, rufenden Stimmen der Natur und ihrer dienstwilligen Kräfte nach dem rechten, guten Griff des Menschen sind genug. Genug jedenfalls, um die dunklen versucherischen Stimmen zum Mißbrauch, zum falschen verbrecherischen Griff zum Schweigen zu bringen. Hinter all dieser Doppelstimmigkeit aber klingt der eine göttliche Entscheidungsruf an die menschliche Freiheit: „Siehe, ich lege in deine Hände Leben oder Tod, so wähle!“ Daß dieser Mensch in seiner sittlichen Würde, Größe. Verantwortlichkeit und Freiheit durch das Sprachrohr der Natur, auch durch fundamentale Bestandsgesetze und -kräfte des Kosmos vom Unendlichen her stets an- und aufgerufen sei, ist aller verheißungsvollen wie verhängnisvollen Menschheitssituationen letzter Sinn. Denn es steht keine Wache Gottes vor ihnen, es sei denn der theonome, gottgesetzte Mensch, der Ziel, Herr, Sinn und Krone aller Schöpfung und in allem der Beauftragte des Schöpfers ist.

Johann B. Wiedemann: „Die Wache Gottes“ in „Stimmen der Zeit“, Heft 1, 1946

Vor längeren Jahren erklärte der Professor für Missionswissenschaft an der Universität Würzburg P. Philpp Ohm O. S. B., in einem Aufsatz in der „Schöneren Zukunft“, daß die diristlichen Missionen in Japan und in den mohammedanischen Ländern die schwierigsten seien. Für beide Gebiet erfreut sich Professor Ohm durch längere Studienreisen nach Ostasien und nach Ländern mit muselmanischer Bevölkerung einer beachtlichen Kompetenz des Urteils. Seit Ende des zweiten Weltkrieges dürften dank der weitsichtigen und klugen Politik des höchsten Leiters der amerikanischen Okkupationsmacht in Japan, General MacArthurs. dort die Aussichten sich für eine allmähliche Ausdehnung der christlichen Missionen verbessert haben. Auch der angesehene Kenner von Ostasien und bekannte ehemalige deutsche Japanmissionär, P. Dorotheus Schilling O. F. M., jetzt Professor an der Hochschule Antonianum der Franziskaner in Rom, neigte in einem Vortrag, den er im vergangenen Winter in der päpstlichen Hochschule des Laterans hielt, der Meinung zu, daß bei der Vermeidung von künftigen Fehlern in der Missionierung bei der Bevölkerung des Landes der aufgehenden Sonne die Sympathien für den Katholizismus, die bisher vor allem in einer geistigen und gesellschaftlichen Eliteschicht aufgetreten waren, sich noch verbreitern und vertiefen könnten. Dagegen gehört nach wie vor die Islammission zu den dornenvollsten und verwickeltsten Aufgaben. In Rom hat besonders der deutsche Jesuit de V r i e s in den letzten Jahren die Lage des Christentums und vor allem der katholischen Religion in den mohammedanischen Staaten zum Gegenstand verschiedener, durch örtliche Kenntnis der Länder und ihrer Verhältnisse bestens belegter Vorträge gemacht. Dabei hütete er sich vor dem Fehler der Verallgemeinerungen und behandelte zum Beispiel die Stellung der christlichen Kirchen und Riten in Ägypten und in der Türkei gesondert unter Heranziehung aller Faktoren über die öffentlich-rechtliche Stellung der Christen, das Schulwesen, die Karitas usw. bei jenen morgenländischen Nationen. P. de Vries führte überzeugend aus, daß eine Vorbedingung zu einem Wachstum des Christentums in den Ländern des Nahen Orients eine Vermeidung der staatsbürgerlichen Isolierung der Christen von ihren islamitischen Mitbürgern sei, eine Isolierung, die für die Fremden durch die sogenannten Kapitulationen, das heißt eine Sondergerichtsbarkeit für dieselben, bis in die neueste Zeit wesentlich war.

Das islamitische Missionsproblem ist seit den Zeiten des großen Apostels von Nordafrika, Kardinal Charles Lavigeries, der 1868 die Gesellschaft der Weißen Väter und der Missionsschwestern U. L. Frau von Afrika gründete, niemals aus dem Blickfelde verschwunden. Man kann darüber verschiedener Meinung sein, ob neueste Forsdiun-gen, auf die ein hervorragender theologischer Islamkenner unlängst im „Osservatore Romano“ Bezug nahm und die ergaben, daß Mohammed nicht unwesentliche Lehren des Christentums, insbesondere über den Heiland und seine Mutter, mit einer gewissen Ehrfurcht in sein ursprüngliches Lehrgebäude miteingefügt hat, den Tatbestand in der Kontroverse mit dem Christentum wirklich künftig vereinfachen oder gar erschweren. Der Artikelschreiber im vatikanischen Blatt hoffte etwa auf das erstere. Dem Schreiber dieses Aufsatzes wurde indessen im Mai 1939 in der Hagia Sophia in Istambul von einem mohammedanischen Intellektuellen gesagt, daß die „Schuld“ am Christentum liege, welches Mohammed nicht als Propheten anerkennen wolle, während dieser Christus einen so hohen Rang eingeräumt habe!

Wir werden nie ein Erlebnis in der vatikanischen Basilika vergessen. Wir bemerkten dort zwei Ordensschwestern in einer weißen, uns unbekannten Gewandung, die französisch sprachen. Auf unsere Frage, welcher Genossenschaft sie angehörten, erwiderten sie, daß sie zu den nordafrika nischen Missionen des „Eremiten der Sahara — Charles de Foucauld“ gehörten und berichteten, daß dieselbe im Aufblühen begriffen sei. Der Name Foucauld war mir keineswegs unbekannt, denn schon vor 25 Jahren erzählte mir mit wrrmer Begeisterung der Elsässer Dr. Joseph Froberger,der bekannte Literaturhistoriker und Polyglott, der als Weißer Vater viele Jahre in Nordafrika gewirkt hatte, von dem heroischen Islammissionar Foucauld. Wenn jetzt in El-Goleah in der Wüste des schwarzen Erdteils sein einsames Grab durch eine neue Inschrift auf einem mächtigen Traver-tinblock geziert wurde, so ist dies eines der vielen Zeichen, daß man dieses großen Apostels in Ehrfurcht und Dankbarkeit gedenkt.

Jüngst machte nun der berühmte Islamkenner der ficole de France, Professor Louis Mossignon, der als eine internationale Autorität auf dem Gebiete der arabischen

Forschung gilt, den Eremiten der Sahara zum Gegenstande einer Konferenz in Rom mit dem vielverheißenden Titel „Wie wurde das muselmanische Problem von Charles de Foucauld angesehen?“ Mossignon führte aus: Um die Berufung von Charles de Foucauld (1858 bis 1915) zu verstehen, muß man das Milieu, das heißt die Wüste mit ihrem großen Schweigen und ihrem eigenen Gepräge, kennen. Diese Umgebung war gleichsam einer Seele angepaßt, du in ihrem früheren Leben, das glanzvoll und bewegt war, nicht die Möglichkeit gefunden hatte, bis zur Tiefe ihres inneren Reichtums vorzudringen. Foucauld sucht- nach einem Ort, der seinem Drang nach spiritueller Versenkung entsprechen könnte und wählte dafür die Einsamkeit der Wüste aus. Daher sein erster Versuch einer gefahrvollen Forschungsreise nach Marokko, die er verkleidet unternahm, weil es damals noch den Europäern verschlossen war. Sein innerliches Leben klärte sich auf dem Wege der Erfahrung immer mehr; so während seines Klosterlebens als Trappist in Alexandrette und später während seiner Tätigkeit als Klosterknecht bei den Klarissen in Naza-reth. Aber damals zog ihn bereits Afrika mit dem Zauber der unermeßlichen Einsamkeit der Sahara an. Sein Freund de Castries führte ihn noch besser in die muselmanische Gedankenwelt ein, und er begann sie genau zu beobachten und zu studieren, indem er wie ein Eingeborener unter den Eingeborenen in großer Demut lebte. Der Islam machte auf ihn einen gewaltigen Eindruck, so daß, wer ihn nicht genau kannte, sich die Meinung bilden konnte, als ob er zum Glauben des Propheten übertreten wolle. In Wahrheit schätzte er als früherer französischer Offizier die militärischen Tugenden, die der Islam seinen Anhängern einprägt. Professor Mossignon, der Jahre über mit dem Eremiten der Sahara in ständigen freundschaftlichen Beziehungen und im Briefwechsel stand, entwarf vor seiner römischen Zuhörerschaft ein feines Pastellbild des inneren Wesens Foucaulds mit seinem hohen Begriff von Ehre, mit seinem Sinn für die Poesie der Wüste und endlich mit seiner edlen Einfachheit. Foucauld setzte in seiner Missionsarbeit eine ganz genaue, auf psychologischen For-cbungen beruhende Kenntnis der religiösen Elemente im Islam und eine Vertrautheit mit den Charakterzügen der Berber voraus. Daran schloß sich die Frage, ob die Berber wirklich vollständig, wie sie sich heute zeigen, vom Islam erfaßt sind, ein Problem, das einer ganz genauen Ermittelung bedurfte, die Foucauld zu interessanten, mit den landläufigen Ansichten nicht immer übereinstimmenden Auffassungen führte. Er gab sich die Mühe, vollkommen Berber zu werden, um ganz und gar in die Gesinnung der Eingeborenen einzudringen und gleichzeitig damit vertiefte philologische Studien zu verknüpfen. Professor Mossignon führte aus, daß in dem Eremiten der Sahara sein feines Gewissen und seelsorgerisches Verantwortungsbewußtsein die Oberhand gegenüber seiner Gesinnung als früherer Kolonialoffizier gewonnen habe. Der heldenmütige Eremit opferte sein Leben für seine Mitmenschen völlig auf. Er fühlte sich gerade in der Verlassenheit der Wüste als „frere universel“. Sein ganzes Denken galt der Gewinnung der Muselmanen, und seine Jünger folgen ihm darin in der Art eines

Mönchtums nach, das auch der gewöhnliche Islamit nicht nur dem Wesen, sondern ich der Methode nach erfassen kann. Gott muß seiner selbst wegen und in seiner erhabenen Überweltlichkeit geliebt werden. Deshalb wählte Charles de Foucauld das Eremitenleben, und er schloß sich in seine Zelle ein, um Gott den Herrn in seiner erhabenen Größe lieben zu lernen, lieben zu lernen aber auch in seinen Geschöpfen.

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