6666208-1960_35_09.jpg
Digital In Arbeit

KUnstler im Steinbruch

Werbung
Werbung
Werbung

Es geschieht nicht allzu häufig, daß sich Künstler um einer Idee willen zu gemeinsamem Tun versammeln. Van Gogh hatte davon geträumt, das Bauhaus konnte manches verwirklichen. Ein neuer Versuch in dieser Richtung fand bekanntlich vergangenen Sommer im Steinbruch von St. Margarethen im Burgenland statt. Elf Bildhauer aus acht europäischen Staaten hatten sich zusammengetan, um dort im Verlauf von zehn Wochen Plastiken nach eigenen Ideen zu schaffen. Vorwürfe blieben ihnen nicht erspart. Diese Aktion fügte sich so wenig in das aus dem 19. Jahrhundert übernommene Kiischee vom Künstlertum. Wie hatte man sich schon an das Bild des Künstlers gewöhnt, der seine Genialität in Alkohol konserviert und aus seinem ausschweifenden Lebenswandel heraus künstlerische Meisterwürfe setzt. Ja Not und Elend galten und gelten als unumgängliche Wurzeln jedes künstlerischen Schaffensprozesses, und es läuft doch heute noch landauf landab die Meinung, ein Künstler sei und bleibe ein Hungerleider. Literatur und Film tun ihr übriges. Die Ursprünge dieser Anschauung sind wohl in jenen Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts zu finden, als die Gesellschaft im industriellen Aufbruch noch keinen Platz für den Künstler hatte und umgekehrt dieser keine Funktion in der neuen Gesellschaft finden konnte. Den Verlust der bürgerlichen Position quittierte der Künstler durch Flucht in verlorene Paradiese oder durch aggressive Kraftmeierei. Und als Hüter der verlorenen Paradiese wurde er späterhin auch von der Gesellschaft wieder anerkannt. Er durfte all die kleinen Dinge darstellen, die schon längst aus unserem Alltag verschwunden sind, an die man sich aber mit einem wehmütigen Lächeln zu erinnern müssen glaubt. Die zahllosen Bilder mit Landschaften, die nicht mehr unsere Landschaften sind, die Stilleben, die nicht mehr uns gehören. So gut sich aus den Gemälden des 15., 16. oder 17. Jahrhunderts die materielle Kultur jener Zeit entschlüsseln läßt, so wenig ist dies für die heutige Zeit möglich Wir brauchen aber die Propheten und Chronisten einer neuen,tapferen Welt. Letzten Sommer wurde es für ein großes Publikum beunruhigend sichtbar: der moderne Künstler ist gar nicht so ein fremdes und unverständliches Wesen; er ist verheiratet, hat Kinder, zahlt Sozialversicherung und empfängt Kinderbeihilfe und versucht in harter Arbeit Antworten auf neue Lebenssituationen zu finden.

Die im Scherz geäußerte Behauptung einer Steinbruchbesucherin, daß die dort geschaffenen Plastiken vielleicht für den Mond bestimmt seien, hat einen bitterernsten Unterton. Der Mond ist nicht mehr der gleiche, als den ihn unsere Eltern sahen. Es hilft uns nichts, den Kopf in den Sand zu stecken vor den Satelliten über unseren Scheiteln, wir müssen für unsere gefährdete Individualität neue Daseinsformen in und aus der Kunst finden jenseits auch des bedeutungslosen Tauziehens zwischen den Modeströmungen und Ismen. Darum kamen elf Bildhauer in einem Steinbruch zusammen und arbeiteten. Es fehlte nicht an Stimmen, die sagten, wenn die Kunst der Zukunft so aussieht, dann freue sie das Leben nicht mehr. Es würde zu tief in das Dickicht der verschiedensten Probleme führen, weitläufig dazu Stellung zu nehmen. Es geht auch letztlich gar nicht um das einzelne Kunstwerk oder — wenn der Ausdruck „Kunst“ in diesem Zusammenhang mißfällt — um die einzelne Schöpfung. Deren Wert oder Unwert wird die Zeit gnadenlos entscheiden.

Wir haben schon davon gesprochen, daß unsere Veranstaltung vom vergangenen Sommer ein Versuch war und er trug alle Möglichkeiten eines Mißerfolges in sich. Der Erfolg ist nicht zuletzt der doh relativ eng umgrenzten Zielsetzung zuzuschreiben. Diese Zielsetzung wird bedauerlicherweise nicht immer klar erkannt. Fragestellungen werden für endgültige Lösungen genommen, von Bildhauern im Aufbruch wird die Bilanz einer reifen Lebenserfahrung erwartet. Es taucht natürlich die Frage auf, welchen Wert dann solche Veranstaltungen überhaupt haben. Ein wesentlicher Grund war, Bildhauern die

Möglichkeit zu geben, Steinplastiken nicht nur im Modell zu konzipieren, sondern im Material zu verwirklichen. Großplastiken in Stein werden heute relativ selten ausgeführt. Vielen Künstlern fehlt der geeignete Arbeitsraum, der Transport ist umständlich und die finanziellen Ausgaben nicht unbeträchtlich. Anderseits ist der Stein das erste vom Menschen bearbeitete Material und mit seiner Hilfe wurden von jeher metaphysische Bezüge postuliert. Die Gründung einer neuen Siedlung erfolgte durch eine Abfolge kultischer Handlungen, in denen oft Steine (Grund- oder Opfersteine) im Mittelpunkt standen. Die Tibeter trugen und tragen noch heute Steine auf die Paßhöhen, um die Götter gnädig zu stimmen. Die Megalithen unserer vorgeschichtlichen Ahnen wurden bis in das Mittelalter von der Bevölkerung mit Aberglauben umhegt, und der Rat von Nantes war sicher nicht der einzige, der die Verehrung von Steinen verbieten mußte.

Kulturlandschaft im weiteren Sinn ist eine Landschaft, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell aufgeschlossen worden ist. In der Vergangenheit gingen für gewöhnlich wirtschaftliche und kulturelle Erschließung einer Landschaft Hand in Hand oder waren überhaupt unlösbar ineinander verschränkt. Als die Menschheit vom Nomaden- und Jägertum zum seßhaften Ackerbau überging, wuchs für sie das Bedürfnis*, durch kultische und künstlerische Gestaltung ausgezeichneter Punkte in der Landschaft ihren Lebensbereich mit einem Beziehungssystem zu durchdringen. Wir brauchen doch nur mit offenen Augen zu beobachten, mit wieviel sicherem Gefühl für landschaftliche Proportionen unsere Vorfahren ihre Kapellen, ihre Heiligen und ihre Gnadenbildstöcke aufgestellt haben. Seit dem Barock setzt die große Landflucht der Kunst ein, sie wurde zum großen Teil Monumental- und Museumskunst. Plastiken brauchen Raum, um zu wirken. Die Kleinplastik die Räumlichkeit der tastenden Hand, Großplastiken das Ausmessen ihrer Körperlichkeit aus der Distanz und aus dem geistigen Tastnachvollzug durch das Auge. Wie deplaciert wirken ägyptische Riesenskulpturen in unseren Museumssälen aus dem 19. Jahrhundert. Plastiken wieder den notwendigen Raum und das notwendige Bezugssystem zu geben, ist ein weiteres Anliegen der Bildhauer im Steinbruch.

Ein Experiment, wie es im vergangenen Sommer stattfand, läßt sich nun nicht in jedem beliebigen Steinbruch mit beliebigen Künstlern wiederholen. Eine entscheidende Rolle zum Gelingen ist dem Steinbruch zugedacht, und der Steinbruch von St. Margarethen konnte diese Rolle souverän erfüllen. Dort, wo sich der sanft abfallende Hang vom Leithagebirge zum Neusiedler See zwischen Eisenstadt und Rust noch einmal zu einem Hügelrücken bauscht, klafft zwischen Heide und Weingärten gewaltig der gelbliche Stein auf. Viele hunderttausend Kubikmeter Gestein mußten bewegt werden, bis das heutige Panorama eines gigantischen Naturtheaters aus den Felsen wuchs. Römische Bildhauer entdeckten die Qualitäten des Materials für ihre Zwecke. Eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse ist ein Drususkopf im Museum Car-nuntum zu Deutsch-Altenburg. Römer waren es, die aus den fernsten Provinzen ihres Imperiums die Straße von Aquilea über Steinamanger und Ödenburg längs des Neusiedler Sees zu den Kastellen an der Donau zogen. Und sie ließen ihre Spuren in der Bevölkerung zurück, wie die Glok-kenbecherleute vor ihnen und später Slawen und Madjaren. So ist heute das Burgenland ein bunter Teppich von verschiedenstem Menschentypus und Volksgut.

Es ist ein günstiger Boden, aus dem Bildhauer ihre Skulpturen schlagen. Und wenn diese Ideen heute schon da und dort in anderen Ländern Wurzeln gefaßt haben, so ist der Ursprung doch in Österreich, im Burgenland, zu suchen. Dort wurde etwas gesät, das im stillen wächst und heranreift, das noch nicht klar zu umschreiben ist, eine Besinnung auf kulturelle Werte, Toleranz und Verständnis gegenüber der Andersartigkeit, daß die Sinne wacher werden für die Fäden und Ströme, die oberirdisch oder untergründig von Land zu Land, von Mensch zuMensch laufen. Vielleicht gelingt es auch, durch Veranstaltungen ähnlicher Art den sterbenden Akademien noch einmal neue, belebende Impulse zu vermitteln.

Die Zahl der Staaten, von denen Teilnehmer nach St. Margarethen kommen, wächst von Jahr zu Jahr. Waren es im vergangenen Sommer Bildhauer aus Belgien, Deutschland (Berlin), Frankreich, Italien, Jugoslawien, Niederlande, Schweiz und Österreich, so haben sich heuer auch Bildhauer aus Israel, Japan und Polen eingefunden. Aus der Bereitschaft, zu werden, schaffen sie die steinernen Male und Zeichen unseres Hier-sems.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung