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Digital In Arbeit

Ein Weltbild aus dem Stein

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Seit zehn Jahren vereint das Bildhauersymposion in Lindabrunn jährlich im Sommer zahlreiche Bildhauer des In- und Auslandes. Sie versammeln sich zu gemeinsamem Schaffen in einer eigenartigen Landschaft, in der der Stein, die Erdensubstanz, zu Tage tritt. Stein ist in Lindabrunn Leitzeichen zur Orientierung der Plastiker. Sie scheinen die Landschaft, in der sie arbeiten, nach Bodenwellen und nach Gesteinslinien zu überblicken. Vielleicht ist ihre Arbeit auch ein Versuch, einen Stein, eine Felswand, einen Block Stein zu bewältigen. Diese Steine auf dem Lindabrunner Heidehügel sind oft in Gleichgewicht gebrachte dramatische Bewegungen. Es sind die Steine, die nach einem langen Kampf ihre neue Ausformung erreicht haben. Jakob Savinsek, der verstorbene slowenische Bildhauer, der schon in Sankt Margarethen mitgearbeitet hat, faßt die schwere Arbeit im Stein und mit Stein als eine dynamische Herausforderung auf. „In diesem Stein muß ich Block gegen Block setzen, Kraft gegen Kraft — wie in einem Drama, und doch muß der Stein seine Einheit bewahren ... So suchen die Menschen unseres Jahrhunderts neue Maße und Werte, ein neues Gleichgewicht.“

Nach italienischer Steinmetztradition umfassen nur drei Finger den Meißel, der Knöchel des kleinen Fingers federt regulierend dagegen. Die Bildhauer stehen in der Lindabrunner Landschaft Stetig und ruhig fällt Schlag für Schlag. Sie alle haben schon mit jedem Material gearbeitet, doch kehren sie immer wieder zu hartem Stein zurück. Vielleicht müssen sie den Widerstand des harten Steins spüren, seinen Kontraschlag fühlen, der sich gegen den menschlichen Schlag, gegen den künstlerischen Angriff wehrt.

Durch die Begegnung heimischer und ausländischer Künstler kommen in Lindabrunn wertvolle Impulse zustande, durch die gemeinsame Arbeit und das gemeinsame Leben entstehen Freundschaften, Anregungen, Projekte. Es ist ein Wille da, durch Arbeit mit dem Stein die Kräfte der Welt entfaltet zu sehen, als eine künstlerisch gewachsene Ordnung, die sich gegen Bedrohung, Zerfall, Kälte wehrt und auch behauptet. Die Künstler suchen aus den Zuständen und Gestalten ihre Formeln zu filtern und nachzuformen. Im Stein entstehen so eigene Visionen und Vorstellungen, die, wenn man den Lindabrunner Plastiken oberflächlich begegnet, nur als „Abstraktionen“ erscheinen. Doch steckt hinter diesen Steinen in Wirklichkeit oft viel mehr, etwas, was man auch „einen Ausdruck des Lebens“, „eine neue Lebenshaltung“ nennen könnte.

Im Mittelalter waren Glaube, Moral, Ethik die Basis für die Lebensform, und auch die Bildhauer waren ein Stein in diesem festen Weltbild. Die Steine auf dem Lindabrunner Heidehügel müssen heute für mehr stehen. Es ist schwer, die Steine so zu formen, daß sie nicht nur ästhetisch schön sind, sondern auch eine essentielle Bedeutung haben, als Meilensteine einer neuen Intensität, als Steine, die groß sind, weil sie „etwas Wichtiges, sonst Verborgenes, Verstecktes, Unentdecktes, Verschwiegenes in sich bergen“.

Die Künstler, die in Lindabrunn ihre Plastiken schaffen, geben uns Antwort auf die Fragen und Herausforderungen unserer Zeit, in verschiedenen Formen, wie es ihrem Temperament und ihrer Lebensschau entspricht. Die Wirklichkeit unserer Existenz, unserer Umwelt, hat sich geändert. So suchen auch die Künstler, die an schweren Steinen im Lindabrunner Steinbruch und am Heidehügel arbeiten, mit den Bohrhämmern unter dem anstehenden Gestein lärmen, zusammen mit Steinbrucharbeitern in einer Landschaft, die mit schwarzen Preßluftschläuchen durchwoben ist, neue Wege und Möglichkeiten.

Es ist das Verdienst des in Vöslau beheimateten Bildhauers Prof. Mathias Hietz, jenes schon zur Tradition gewordene internationale Symposium }n Lindabrunn initiert zu haben, an dem die Bildhauer aus Kanada, USA, Australien, Japan, Belgien, Italien, Deutschland, Ungarn, Rumänien, Polen, Jugoslawien, der Schweiz und Österreich neue Realisierungen suchen. Sie wollen uns helfen, das Leben der Kunst in Zukunft unmittelbarer, in der Öffentlichkeit, in einer Gemeinde, in einer Gemeinschaft, zusammen mit dem Leben der Bevölkerung zu gestalten.

In Lindabrunn wird die Teamarbeit forciert. In diesem Sommer haben einige Bildhauer an Gemeinschaftsprojekten gearbeitet. Gerhard Class aus Kanada, Adolf Ryszka aus Polen und Hiromi Akiyama aus Japan/Frankreich entwickelten im schwierigen Gelände eine spezifische Variante von „land-art“, eine gemeinschaftliche Landschaftsgestaltung. Der Amerikaner Robert Vesely und der Japaner Hidekazu Yokozawa versuchten, das Gelände durch eine wirkungsvolle Struktur des „Steinflusses“ der Landschaft gemäß zu vertiefen, zu erhöhen und zu sensibilisieren. Andere Bildhauer arbeiteten individuell an „ihren“ Steinen, so George Apostu aus Rumänien, Peter Paul Tschaikner aus Österreich oder Barbara Valenta aus Amerika.

Besonders wertvoll ist die zentrale Anlage auf dem Lindabrunner Heidehügel. Sie bedeutet mit archaischem, arenaartigem Charakter eine gelungene Realisierung des Symposiumsgedankens. Hier ist ein Kommunikationszentrum entstanden, hier finden Lesungen von Autoren statt, Konzerte, Feste und andere Veranstaltungen.

Seit 1972 nehmen am Symposium auch Schriftsteller teil, so Doris Mühringer, Hermann Jandl, Peter Henisch, Hans Haid, Josef Mayer-Limberg, der Rumäne Petre Stoica, oder der Holländer Willem Enzinck. Alois Vogel und der Literaturkreis „Podium“ bemühen sich, die Mitarbeit der Autoren zu intensivieren und zu vertiefen. Auch im 184 Seiten starken Buch „Gespräch im Steinbruch“, in dem Mathias Hietz und Alois Vogel über zehn Jahre Symposion Lindabrunn berichten, kommt die eigenartige Synthese aus Steinplastik, Literatur und Landschaft voll zum Ausdruck.

Der japanische Bildhauer Shigeru Shindo berichtet hier über seine Eindrücke: „Ich glaube, wir müssen den üblichen Begriff der Bildhauerei aufgeben und in die verschiedenen Bereiche der Kunst eindringen, um nach neuen Möglichkeiten dieser Kunst zu suchen... Je mehr Aufgaben wir Bildhauer dabei zu lösen haben, je mehr wir schaffen, experimentieren und diskutieren, desto größer ist die Möglichkeit, daß wir den richtigen Weg finden. Spontanität, Vielfältigkeit der Arbeit und Freiheit des Bildhauers ermöglichen die Entwicklung echter Kunstwerke. Ein Symposion stellt den geeignetsten Platz einer solchen Entwicklung dar.“

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