Steine als Orte dichter Gegenwart

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Der Steinbildhauer Karl Prantl erhält am 25. November den mit 30.000 Euro dotierten Großen Österreichischen Staatspreis, die höchste Kunstauszeichnung der Republik. Bereits am 5. November feierte der Künstler seinen 85. Geburtstag. Doppelter Anlass für die Würdigung eines leisen Unbequemen.

Wer dem Wiener Konzerthaus gegenüber an der Wand des Akademischen Gymnasiums entlanggeht, wird auf drei quadratische Granitplatten stoßen. Sie sind in den Gehsteig eingefügt und stammen von der „Großen Straße“ des Reichsparteitaggeländes in Nürnberg. Wunderschöner Granit. Bearbeitet von Gefangenen der Konzentrationslager. Die Platten sind Teil eines Denkmals für jüdische Lehrer und Schüler, die 1938 das Akademische Gymnasium verlassen mussten. Karl Prantl hat die drei Steine zur Verfügung gestellt. Als Künstler und Bildhauer ist er im Hintergrund geblieben. Als Spur eines Wirkens verweisen die drei Steine auf ein Denken, das in großen Zusammenhängen beheimatet ist und Orte dichter Gegenwart zu gestalten weiß.

„Gehen von Stein zu Stein“

Karl Prantl tritt gern in den Hintergrund. Er nimmt sich selbst nicht so wichtig, nicht nur unter Künstlern eine ungewöhnliche Haltung. Die Kunst ist bei ihm Dienerin und Hilfe. Sie steht nicht im Vordergrund. Sie bleibt als Spur von etwas Anderem. Diese Spur ist auf den Feldern von Pöttsching im Burgenland zu finden. Auch an einigen Orten in Wien, beim Juridicum oder an der Oberen Donaustraße. Es gibt drei Altäre in Kirchen, zwei in Oberösterreich und einen in Graz. Es gibt Steine in den Sammlungen von Museen und in Privatbesitz, über viele Länder zerstreut. Die bedeutende Spur auf dem Hügel von St. Margarethen im Burgenland ist immer weniger klar lesbar. Dokumentiert ist sie durch ein von Katharina Prantl herausgegebenes Buch, „Gehen von Stein zu Stein“.

Hier in St. Margarethen fand 1959 das 1. Symposion Europäischer Bildhauer statt. Die Idee kam von Karl Prantl. Die Künstler sollten das Atelier verlassen und am Ort des Steins zusammenkommen. Eine Gemeinschaft von Bildhauern aus Ost und West, damals getrennt von einer unüberwindbar scheinenden Grenze. Bald kamen zu den Symposien auch Künstler aus Israel und Japan. Was in St. Margarethen begonnen hatte und fortgesetzt wurde, wurde an vielen Orten in aller Welt weiter entfaltet. In Europa, in Asien, in Nordamerika trafen Bildhauer zu Symposien zusammen. Sie lebten und arbeiteten einige Monate gemeinsam.

Die Kraft gemeinsamen Tuns

Vieles von dem in den 60er und 70er Jahren Gedachten und Begonnenen ist Fragment geblieben, am Widerstand anderer Interessen gescheitert. Trotz allem strahlt die versöhnende Kraft dieses gemeinsamen Tuns bis heute aus. Als Spuren sind die Steine geblieben. Sie sind Zeugen einer Haltung, die nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts einen neuen Anfang gesucht hat. Nicht indem das Alte vergessen und verdrängt wurde, wie es so oft geschehen ist, sondern durch Bewahren der Erinnerung, Verzicht auf Vergeltung und Bitten um Vergebung.

Die Kunst von Karl Prantl ist mit der Idee des Symposions über das hinausgewachsen, was im gängigen Sinn als Tätigkeit des Künstlers gilt. Sie hat das Atelier verlassen, sie hat die Fixierung auf eine schöpferische Persönlichkeit verlassen.

Widerstand gegen den Kunstbetrieb

Die Geste des Genialischen ist dieser Kunst genauso fremd wie die Vorstellung, sich vom Rest der Welt durch das Hervorbringen eigener Schöpfungen zu unterscheiden. Die Kunst von Karl Prantl besteht im Setzen einfacher Zeichen. Sie besteht in der Gemeinschaft mit anderen, in außerordentlicher geschichtlicher Wachsamkeit, im Bewusstsein von Schuld und in der Suche nach Versöhnung, im Widerstand gegen vieles, was Kunst und Kunstbetrieb in Österreich kennzeichnet. Karl Prantl hat es sich und seiner Umgebung nie leicht gemacht. Begleiter und Hilfe waren ihm seine Frau, die Malerin Uta Peyrer, Tochter Katharina, auch sie Malerin, und Sohn Sebastian, Tänzer und Choreograph.

Karl Prantl zählt nicht zu jenen Künstlern, die litaneiartig in den Medien immer wieder neu als die Größen der österreichischen Kunst gepriesen werden. Das wird niemand wundern, der mit den österreichischen Verhältnissen ein wenig vertraut ist. Mehr als viele, die jetzt im Glanz stehen, zählt er aber zu den Großen der österreichischen Kunst des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts.

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