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Digital In Arbeit

Ein Bildhauer

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Zu: Karl Knappe: Das Gesetz heißt Wand, der Ausweg Plastik. Gedanken zur Kunst unserer Zeit. Nach Briefen zusammengestellt und herausgegeben von Helmut Beck. Geleitwort von Otto Bartaing. Stuttgarter Verlag KG. 112 Seiten, 21 Abbildungen. Preis 8.80 DM.

Mit verheißungsvoller Leidenschaft wird die Frage umstritten, ob die Kunst noch einen Weg vor sich habe und welchen sie gehen solle: Es ist nur eine Abwandlung der Frage nach dem Sinn unserer Zeit. Das Gespräch über die Kunst kann von Kunsthistorikern und Kritikern wohl geklärt und bereichert werden; getragen, geführt werden muß es vom Wort der Werke und der Künstler selbst. Zu einem überaus eindringlichen Zeugnis finden sich Bild und Wort in dem vorliegenden Bande Karl Knappes zusammen; es ist die Einheit von Geist und Materie, die für sich selber spricht, oder, wie Otto Bartning in dem einleitenden Briefe sagt: „ die Gebundenheit des inneren Stiles."

Knappe wurde 1884 in Kempten im Allgäu geboren, erhielt 1911 den Rom-Preis, lehrte von 1930 bis 1933 an der Technischen Hochschule in München und arbeitet heute in München-Nymphenburg. Es ist nicht Sache eines Künstlers, eine Kunsttheorie auszubauen; ein Freund hat in liebevoller Hingabe aus Briefen den Text zusammen- gefügt, der in aphoristischer Form mit der Kraft der W’ahrheit und Wahrhaftigkeit die Knappes Werk tragenden Ueberzeugungen ausspricht. Sie sind nicht allein Selbsterklärung und Selbstverteidigung eines Künstlers, der wohl sehr oft unverstanden blieb oder mißdeutet wurde: Dieser eigentümlich-ursprüngliche Gestaltungswille sieht sich zur Kritik der Zeit gedrängt; er muß die Zeit durchbrochen, wenn er in seine Werkstatt gelangen will. „Die große Gefahr unserer Zeit liegt darin, daß nicht mehr g e arbeitet, sondern v e r arbeitet wird. Der Sinn der Arbeit geht verloren, man produziert bis zur Ueberproduktion."

An dem Gegensatz zwischen Bildhauer und Plastiker bestimmt sich das Wesen des hier dokumentierten künstlerischen Willens. In den modernen Museen wurde der Begriff „Plastik" entwickelt; der Plastiker arbeitet nicht in echten Materien, sondern in Lehm und Gips; der Bildhauer dient der Architektur; und auch wenn sich das Tragische ereignet, daß die gemäße Architektur fehlt, so steht der Bildhauer doch „bei jeder neuen Arbeit vor einer wirklichen ,Wand’, die er in einem Steinblock oder einem Stück Holz vor sich hat. Der Plastiker aber steht.,, vor einem Eisengerüste mit Drähten, an das er den Lehm klebt und sofort das Runden beginnt." In Holz und Stein aber ist ein „Wort” beschlossen, in der Bronze ein „Klang"; Holz und Stein, die echte Materie, bergen den Hauch Gottes; Gott hauchte ihnen eine Seele ein; der Künstler kann das nicht; begegnet er aber der echten Materie nicht, so auch nicht dem göttlichen Hauche; der Bildhauer öffnet den Stein, er „schließt ihn auf”, die ägyptischen Figuren sind nicht Rundfiguren, sondern „Tiefenstufungen in der Wand", sie sind nicht „in” Porphyr, sondern „aus" Porphyr gearbeitet; der Bildhauer, der dem Holze, dem Stein begegnet und in ihnen dem „Wort”, weiß nie, „wie die Figur wird”; der Plastiker plastiziert die Idee als Formalist, er punktiert die Form nach dem Gipsmodell; seine Sache ist das Porträt, die des Bildhauers der „Kopf". Der Gegensatz führt auf die entscheidenden Lebens- und Wahrheitsgehalte: der Plastiker bleibt unter dem Zwange seines Materials beim „Künstlerischen" stehen; das Material des Öild- hauers „enthält von selbst die Religiosität bis zum hohen Stil, der stets religiöser Natur war und ist“. Auf hoher Ebene zeigt sich der Gegensatz zwischen Michelangelo, dem Plastiker, der die Pietà in St. Peter formte, und Michelangelo, dem Bildhauer, der in hohem Alter die Madonna Rondanini aus dem Steine schlug.

Es ist die Berührung mit dem Gegenständlichen, Dinghaften, aus der sich die Gestalt entfaltet. Vielleicht darf erläuternd auf das Drama verwiesen werden, das sich in viel höherem Grade aus der Vorstellung des Raumes bildet, als meist gesehen wird; wir kämen dem Lebensgeheimnis der Dramatik Shakespeares — aber auch Calde- rons, der Spanier überhaupt — viel näher als wir sind, wenn wir uns den Raum der englischen — oder spanischen — Bühne vergegenwärtigen könnten; viele der großartigsten, ergreifendsten, berühmtesten Szenen, etwa in „Richard III." oder in „Romeo und Julia", in „Othello" und „Macbeth", muten wie Improvisationen des den szenischen Raum betretenden dramatischen Genius an.

Eines der stärksten Werke Knappes, das „Abendmahl" ins dem Jahre 1942 bezeugt die volle

Bedeutung der Begegnung mit der Materie, der die „geistige Antwort" abzuringen die Aufgabe des Bildhauers ist. Das „Abendmahl" ist aus Lindenholz von 80 cm Höhe, 28 cm Breite und 11 cm Tiefe; ein „Plastiker" hätte, wie der Künstler in einem Privatbriefe schreibt, das Brett horizontal gestellt; ihm gebot sein „architektonisches Gesetz, es senkrecht zu stellen — und nun ist in der Tat die Wahrheit Gestalt: der Herr an der Höhe der Tafel ist Gott; das heilig-unbegreifliche Geschehen fließt von ihm herab; ja es umschließt die Jünger und verwandelt die an der Tafel versammelten in den mystischen Leib.

Es ist nicht möglich, Bilder zu beschreiben; es ist ja schon ein Mangel, auf Abbildungen angewiesen zu sein, das Werk eines echten Bildhauers sich beschreiben zu lassen. Ein solcher aber ist hier offenbar an der Arbeit mit dem vollen Anspruch darauf, daß die Zeit die Begegnung mit seinem Werk und seinem Worte suche; sie verleugnen die Problematik der Zeit nicht, eben weil sie die Zeit selbst nicht verleugnen, weil sie diese Zeit aufschließen wie den Stein mit Meisel und Hammer, „die das richtige Gewicht" haben müssen. Und wie der Bildhauer die Materie „verletzen” muß, aber auf die „richtige Weise”, denn dann „schließt sie sich organisch" und die Heilung ist das „lebendige Wort", so muß der Bildhauer auch die Zeit verletzen. „Form ist Heilung der geschlagenen Wunde." Knappes Werk scheint sich uns an einer Stelle zu erheben, wo die Zeit geheilt ist, wo zum mindesten eine Möglichkeit der Heilung der Zeit — und damit der Kunst — gefunden wurde. Es konnte nur Gestalt werden, weil in aller Gefahr und Verirrung eine „Stunde der Gnade" ist. Und damit ist es, in seinen bedeutendsten, das Problematische überragenden Gestaltungen die überzeugende Bestätigung des Glaubens an die Zeit und an das neue Wort, das sie der Kunst zugetragen hat. Die Kunst vermag es nur aufzunehmen, wenn sie den Weg zum Ursprünge sich erkämpft hat, der hier sichtbar wird. Der Meisel ist „geistige Pflugschar"; er bricht das Verschlossene auf. Knappe hat eine Sendung; er hat ein Werk in die Zeit gestellt, mit dem sie ringen, an dem ihr ernstes Streben sich erwahren muß.

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