Afrikaabteilung in Ethnological Museum - © Foto W:kipiededai/Bnimi Garten (cc by-sa 3.0); Bidlbearbeitung:Rainer Messerklinger

Koloniale Raubkunst

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1897 wurde das bis dahin unabhängige westafrikanische Königreich Benin von britischen Truppen zerstört. Die Restitution der damals erbeuteten Kunstschätze ist bis heute nicht erfolgt, möglicherweise steht eine Zäsur in der Kulturpolitik der ehemaligen Kolonialmächte aber unmittelbar bevor.

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1897 wurde das bis dahin unabhängige westafrikanische Königreich Benin von britischen Truppen zerstört. Die Restitution der damals erbeuteten Kunstschätze ist bis heute nicht erfolgt, möglicherweise steht eine Zäsur in der Kulturpolitik der ehemaligen Kolonialmächte aber unmittelbar bevor.

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Am 24. Juli 1897 bekam Felix von Luschan unerwarteten Besuch. Im Berliner Museum für Völkerkunde erschien ein Vertreter der „Elfenbein-Firma Theodor Francke“ und berichtete dem erstaunten Anthropologen, dass demnächst in London „angeblich 600 (sechshundert!!!) Centner Elfenbein zur Auction kommen würden, das die Engländer in Benin erobert hätten […] alles grosse Zähne mit uralten Schnitzereien, Männern, Reitern, Thieren etc. etc. bedeckt“. Die zum Verkauf kommenden Stücke, meinte der Vertreter, seien größer und prächtiger als alles, was das Berliner Museum an Elfenbein aus Afrika in seinem Besitz habe. Überdies kämen die kostbaren Artefakte zu Preisen unter den Hammer, die den Wert von Rohelfenbein kaum überstiegen.

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Der Bericht des Händlers versetzte Luschan derart in Erregung, dass er schnellstmöglich von Berlin nach London reiste. Dort erlebte er, wie er im Rückblick schrieb, „die größte Überraschung, die bis dahin der Völkerkunde zuteil wurde“.

Zerstörung der Hauptstadt

Im Februar 1897 waren britische Soldaten in das Königreich Benin an der Küste Westafrikas einmarschiert, dessen Herrscher, der „Oba“, sich hartnäckig dem Fortschritt der Zivilisation widersetzt hatte, indem er auf den Altären seines Palastes Menschen opfern ließ und immer wieder den freien Handel einschränkte. So jedenfalls dachten britische Kaufleute, die im heutigen Nigeria aktiv waren, und rührige Beamte des Foreign Office. Auf ihr Betreiben entsandte die Admiralität ein Expeditionskorps nach Benin, das die uralte, von Erdwällen geschützte Hauptstadt des Reiches am 18. Februar 1897 in Schutt und Asche legte. In den Trümmern der Stadt lasen die Eroberer nicht nur zentnerweise Elfenbeinobjekte, sondern auch tausende Plastiken aus Metallguss auf, Figuren von Menschen und Tieren, Büsten, Reliefs, Gefäße und Schmuck, hergestellt mit einer Kunstfertigkeit, die man einer „entarteten Rasse von Wilden“ – so die Londoner Presse über das Volk von Benin – nicht zugetraut hätte. Auch die Offiziere des Expeditionskorps nicht. Was diese ganz allgemein über Afrikaner dachten, verrät die Äußerung eines britischen Leutnants über seine einheimischen Träger: „Ihre einzige heilsame Eigenschaft ist ihre Furcht und ihr Respekt vor dem weißen Mann sowie die Tatsache, dass man sie so oft verprügeln kann, wie es einem gefällt. Nach einer Weile hört man auf, sie als Menschen zu betrachten, [und beginnt stattdessen] sie für etwas Niedrigeres als Esel zu halten.“

Die Soldaten konnten kaum einschätzen, was sie da in den Ruinen von Benin-Stadt gefunden hatten. Nach archaischem Brauch sahen sie in den exotischen Bildwerken vor allen Dingen Trophäen, die sie als Andenken mitnahmen, oder um sie zu verhökern. Die meisten versilberten ihre Beute noch in Lagos. Von dort fanden die Objekte ihren Weg nach London und – vermittels hanseatischer Kaufleute – nach Hamburg, wo sich umgehend Antiquitätenhändler, Museumskuratoren und private Sammler für sie zu interessieren begannen.

Es war die große Ära der organisierten Sammelwut. Überall in Europa konkurrierten Personen und Museen darum, wer die wertvollsten und größten Kollektionen an Gemälden, Mineralien, alten Knochen oder was auch immer sein eigen nannte. Auch die Völkerkundler sammelten wie im Fieber, angetrieben von der nicht unbegründeten Sorge, dass viele Völker außerhalb Europas schon bald verschwunden sein würden, dahingerafft vom unaufhaltsamen Fortschritt der Zivilisation. Daher musste man von ihrer materiellen Kultur so viel wie irgend möglich retten, bevor es zu spät war. So wurde auch Felix von Luschan auf die Elfenbein- und Metallobjekte aus Benin aufmerksam.

Für die Nachkommen der Oba und ihr Volk sind die in Benin erbeuteten Kunstwerke essentieller Teil ihres kulturellen Erbes.

Christian Jostmann

Luschan stammte gebürtig aus Hollabrunn bei Wien, hatte Medizin studiert und sich als vielseitiger Forscher auf den Gebieten der Anthropologie, Archäologie und Ethnologie einen Namen gemacht. Im Berliner Völkerkundemuseum, wo er seit 1885 als Direktionsassistent angestellt war, vertrat er de facto dessen Gründer und Leiter Adolf Bastian, der oft auf Reisen weilte.

Glanzvolle Geschichte

Als Luschan, angestachelt durch den Besuch des Elfenbein-Händlers, Anfang August 1897 nach London eilte, erkannte er schlagartig den wissenschaftlichen Wert dieser „Kriegsbeute“, vor allem der zahlreichen, großteils jahrhundertealten Plastiken und Reliefs aus Gelbguss. In den figürlichen Darstellungen nahm die glanzvolle Geschichte des Königreichs Benin Gestalt an, das in der Frühen Neuzeit eines der mächtigsten in Westafrika gewesen war und dessen Herrscher lange Zeit auf Augenhöhe mit den Europäern verkehrt hatten. Aber Luschan erkannte in den „Benin-Altertümern“ nicht nur wertvolle historische Objekte, sondern auch – als einer der ersten – Kunstwerke von einzigartiger Qualität. „Benvenuto Cellini hätte sie nicht besser gießen können und niemand weder vor ihm noch nach ihm, bis auf den heutigen Tag“, sollte der Anthropologe rückblickend schreiben und sich damit den vorherrschenden Urteilen über die Minderwertigkeit afrikanischer Kunst entgegenstellen. Für Luschan war die Kunst aus Benin ein Beweis dafür, dass es in Afrika „keine Wilden“ gab – außer ein paar wild gewordenen Weißen.

Ab dem Spätsommer 1897 und in den folgenden Jahren setzte Luschan alle Hebel in Bewegung, um möglichst viele Objekte aus Benin an Land zu ziehen. Mit der Nachfrage stiegen auch die Preise, doch die Erfolge seiner Mühen können sich bis heute sehen lassen. Von mindestens 2400 „Benin-Bronzen“, die ab 1897 nach Europa kamen, befinden sich 580 nach wie vor im Besitz des Ethnologischen Museums in Berlin. Die Nachfolge-Institution des Museums für Völkerkunde hält damit eine der weltweit größten Sammlungen dieser Art.

Was Luschan nicht für sein eigenes Haus erwerben konnte, versuchte er an Kollegen in Leipzig, Stuttgart, Köln und anderswo zu vermitteln, so auch an Franz Heger, den Leiter der anthropologisch-ethnographischen Abteilung im Wiener Naturhistorischen Museum. Das ist der Grund, warum heute das Weltmuseum „Kunstschätze aus dem Königreich Benin“ zu seinen „wertvollsten Beständen“ zählen und mit ihnen Publikum in die Hofburg locken kann.

Für die Nachkommen der Oba und ihr Volk, die Edo, von denen die meisten heute in Nigeria leben, sind die 1897 in Benin erbeuteten Elfenbein- und Metallgussartefakte allerdings nicht nur Kunstwerke, sondern essentieller Teil ihres kulturellen Erbes, dessen Rückgabe sie seit Jahrzehnten einfordern. Wie kürzlich Bénédicte Savoy in ihrem Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ gezeigt hat, haben europäische Museen diese Forderung über lange Zeit abgeblockt und systematisch hintertrieben. Erfüllt ist sie bis heute nicht. Unterdessen sind die „Benin-Bronzen“ zum Emblem für koloniale Raubkunst geworden, prominente Gegenstände einer Debatte über den Kolonialismus und seine historische Aufarbeitung, die immer weitere Kreise zieht.

Ein Wendepunkt?

In diesem Zusammenhang ist die „Erklärung“, die hochrangige deutsche Kulturpolitiker und Museumsvorstände Ende April abgaben, international als Zäsur wahrgenommen worden. Die Unterzeichner „bekräftigen“ ihre „grundsätzliche Bereitschaft zur substantiellen Rückgabe von Benin-Bronzen“. Kritiker monierten allerdings, dass das Papier zwar Absichtserklärungen, aber weder ein deutliches Bekenntnis zur vollständigen Restitution noch konkrete Aussagen enthalte, welche Objekte wann und wem zurückgegeben werden sollen. Ob die „Erklärung“ vom 29. April tatsächlich der „Wendepunkt in unserem Umgang mit der Kolonialgeschichte“ ist, den der deutsche Außenminister Heiko Maas hernach verkündete, muss sich daher noch erweisen. Auf jeden Fall erhöht sie den Druck, sich einem schwierigen Thema zu stellen, das liebgewonnene Besitztümer in Frage stellt. Auch in Österreich.

Afrikas Kampf Cover - © Foto: C.H. Beck
© Foto: C.H. Beck
Buch

Afrikas Kampf um seine Kunst

Geschichte einer postkolonialen Niederlage.
Von Bénédicte Savoy
C.H. Beck 2021
256 S., geb., € 24,70

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