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Viel Wald-oder keiner

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Vermutlieh ist der Regenwald auch dann nicht außer Gefahr, wenn das Abholzen und Abbren- nen sofort gestoppt wird.

Fast jeder kennt schon diese Skiz- zen: Die Regenwälder vor 50 Jah- ren, die Regenwälder heute, die Regenwälder um die Jahrtausend- wende oder zehn Jahre danach, wenn es so weitergeht. Die Schau- bilder des zu erwartenden Endzu- standes sind aber viel zu optimi- stisch. Wenn es so weitergeht, wird es eines nahen Tages überhaupt keine Regenwälder mehr geben, abgesehen von winzigen, klimatisch begünstigten Inseln.

Dem Regenwald droht nämlich eine weitere Gefahr, die von den Medien noch nicht zur Kenntnis genommen wurde. Josef H. Reich- holf, der in München Evolutions- biologie, Tiergeographie und Öko- logie lehrt und dem Vorstand des deutschen World Wildlife Fund (WWF) angehört, macht in einem Kapitel seines jüngsten Buches („Der tropische Regenwald") dar- auf aufmerksam.

Bei einem weiteren Abholzen der Regenwälder droht diesen ein kli- matischer Kippeffekt. Sobald er eintritt, gibt es keine Rettung, sie sterben dann von selbst beziehungs- weise verwandeln sich in ein völlig anders geartetes Biotop mit einer ganz anderen Tier- und Pflanzen- welt: in sogenannte Saisonregen- wälder.

Der echte Regenwald ist nicht nur als Klimafaktor, sondern auch durch seinen Artenreichtum eine Ressource von unschätzbarem Wert für die ganze Menschheit. Er spei- chert in der Kronenregion außeror- dentliche Wassermengen. (Daß es in den mittelamerikanischen Wäl- dern viele Meter über dem Boden richtige Froschteiche gibt, wurde beispielsweise erst vor einigen Jahren entdeckt.) Das Wasser, des- sen Verdunstung das Blattwerk kühlt und das eine Grundvoraus- setzung des ungeheuren Artenreich- tums ist, steigt als Wasserdampf auf und kommt als Regen zurück. Ohne ergiebige tägliche Nieder- schläge kann der Regenwald nicht überleben.

Dabei gibt es den kleinen (Rück- kehr des im Regenwald verdunste- ten Wassers als Regen) und den großen Wasserkreislauf (Wasser, das von über dem Meer entstande- nen Wolken über größere Entfer- nungen herangeführt wird). Und bis vor einigen Jahren gab's eine tröstliche Expertenmeinung, der große Kreislauf könnte die Haupt- rolle spielen. Dies würde heißen, daß auch kleine Regenwälder, Re- ste von einigen zehntausend Qua- dratkilometern, als Regenwälder überleben könnten.

Seit Eneas Salati und Peter B. Vose vor gut fünf Jahren ihre For- schungsergebnisse vorlegten, weiß man, daß diese Hoffnung trügt. Nur ein Viertel dessen, was auf den Regenwald herabregnet, versickert. Drei Viertel verdunsten, kehren als Regen zurück und halten den Kreis- lauf in Gang. Die Passatwinde lie- fern nur ein Viertel des Wassers. Viel zu wenig zum Überleben.

Im Klartext: Nur durch die ge- waltige Größe des sich selbst erhal- tenden, mit Wasser versorgenden Systems haben die nach der Eiszeit entstandenen Regenwälder bis heute überlebt. Entstehen könnten sie unter heutigen Bedingungen nicht. Ist der Kippeffekt eingetre- ten, sind sie verloren. Eine „Wie- deraufforstung" zerstörter Regen- wälder ist gänzlich ausgeschlossen.

Leider weiß niemand, wo der „point of no return", ab dem es nur noch abwärts geht, liegt. Nach aktueller Expertenmeinung bei 40 bis 50 Prozent der ursprünglichen Flächen. Die Katastrophe steht also unmittelbar bevor.

Das Ende heißt Karst. Die durch Vernichtung der Regenwälder „gewonnenen" Flächen sind land- wirtschaftlich wertlos. Die Humus- schicht des Regenwaldes ist hauch- dünn, er ist ein Biotop zwischen Himmel und Erde. Einige Ernten, und die Landlosen, die abbrennen, was die Männer mit den Sägen zurücklassen, sind dort, wo sie waren. Nur die Holzhändler haben ihren fragwürdigen Gewinn.

DER TROPISCHE REGENWALD - Die Öko- biologie des artenreichsten Naturraums der Erde. Von Josef H. Reichholf. Deutscher Taschenbuch- verlag, München 1990.208 Seiten, öS 100,-.

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