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Wettlauf zwischen Storch und Pflug

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Gegenwärtig wird Getreide an Tiere verfüttert, mit dem etwa 2,5 Milliarden Menschen ernährt werden könnten. Fast ein Drittel der Milchproduktion wandert in Futtertröge.

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Gegenwärtig wird Getreide an Tiere verfüttert, mit dem etwa 2,5 Milliarden Menschen ernährt werden könnten. Fast ein Drittel der Milchproduktion wandert in Futtertröge.

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„Was sich in Wien derzeit abspielt, ist für mich heller Wahnsinn. Die Partei in Wien steht in der Tat vor einer Existenzkrise. " Ö VP-Klubobmann Heinrich Neisser nimmt sich in einem FURCHE-Interview (Seite 4) kein Blatt vor den Mund. Für ihn ist Heinrich Wille, „von all den Kandidaten, die bisher ins Spiel gebracht worden sind, die weitaus beste Lösung" als künftiger Obmann der Wiener Volkspartei.

Im Zusammenhang mit der ÖVP-Reform wird nach Meinung des Klubobmannes die Frage der Bünde „eher hochstilisiert". Obwohl er ein überzeugter Verfechter des Föderalismus sei, registriere er in den letzten Jahren besorgt eine zentrifugale Entwicklung in der ÖVP. Den Landesparteien sei „in jedem Fall das Hemd näher als der Rock" der Bundespartei.

Nicht nur sommerliche Temperaturen sind dafür ausschlaggebend, daß den Agrarpolitikern Schweißperlen auf der Stirne stehen, sondern vor allem die steigende Unruhe der Bauern. Die subventionierte Unvernunft, eine fast weltweite Erscheinung im Landwirtschaftssektor und im Agrarhandel, weitet sich langsam zu einem agrarpolitischen Flächenbrand aus.

• In den USA leistet der Staat Zahlungen an die Landwirte, damit sie kein Getreide anbauen;

• in der Europäischen Gemeinschaft werden den Bauern dafür hohe Preise bezahlt, obwohl sie Uberschüsse produzieren;

• in Japan erhalten die Reisbauern das Dreifache des Weltmarktpreises für ihr Erzeugnis. Sie produzieren soviel, daß ein Teil der Ernte als Tierfutter verkauft werden muß, allerdings zur Hälfte des Weltmarktpreises;

• die Landwirte der EG erhielten 1986 4,60 Schilling für ein Kilogramm Zucker, der auf dem Weltmarkt dann für 1,10 Schilling pro Kilogramm verkauft wurde; gleichzeitig führte die Gemeinschaft das Kilogramm Zucker für rund 4,60 Schilling ein.

• Die Milchpreise werden fast in jedem Industrieland hoch gehalten, das Resultat sind Produktionsüberschüsse: Die kanadischen Farmer zahlen zum Beispiel für das Recht, die Milch einer Kuh zum offiziellen Stützpreis verkaufen'zu können, bis zum Achtfachen des Preises einer Kuh.

• Die Vereinigten Staaten subventionieren die Bewässerung und Kultivierung von Land und gewähren den Farmern dann Beihilfen, damit sie den Boden nicht landwirtschaftlich nutzen.

• Zur Bekämpfung der Uberschußproduktion wird — auch in Österreich — die Besteuerung von importierten Futtermitteln erwogen, gleichzeitig werden aber Wachstumsförderer für die tierische Veredelungsproduktion zugelassen.

Während der internationale Agrarhandelskrieg also muntere Blüten treibt, setzt sich der dramatische Wettlauf zwischen Storch und Pflug fort. Der fünf-milliardste Erdenbürger wurde vor kurzem geboren. Schon im Jahre 2000 wird, verläßlichen Prognosen zufolge, die Weltbevölkerung über sechs Milliarden Menschen betragen.

Immer deutlicher zeigt sich, daß die weltweite Hungerkatastrophe nicht die unvermeidbare Folge einer ausweglosen Urarmut ist, sondern ihre Ursache oft in Unvernunft und Ungerechtigkeit hat und hatte. In den meisten Entwicklungsländern werden nämlich auf guten Böden nicht Produkte für den lokalen Verbrauch, sondern für Genußmittel zum Export produziert oder Futtermittel hergestellt, die für die IndustrieStaaten bestimmt sind.

Gegenwärtig wird Getreide an Tiere verfüttert, mit dem etwa 2,5 Milliarden Menschen ernährt werden könnten! 40 Prozent des Weltgetreides, fast die Hälfte des Fischfanges, 70 Prozent der Ölsaaten und fast ein Drittel der Milchprodukte wandern nach dem neuesten Weltentwicklungsbericht in die Futtertröge von Rindern und Schweinen. Die FAO - Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der UNO, deren Finanzierung immer mehr in Frage steht, gab kürzlich bekannt, daß jährlich mindestens 50 Milliarden Dollar notwendig wären, um die landwirtschaftliche Produktion so zu fördern, daß bis zum Jahre 2000 der Hunger in der Welt weitgehend beseitigt werden könnte. Ein Hunger, von dem mindestens 600 bis 700 Millionen Menschen betroffen sind.

Täglich wird also in ungewöhnlich dramatischer Form sichtbar, wie eng die Zusammenhänge in der internationalen Agrarpolitik und wie groß die ökonomischen und handelspolitischen Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Staaten sind.

In Österreich hat der mit Elan gestartete, seit einem halben Jahr tätige Landwirtschaftsminister Josef Riegler größte Mühe, den Eindruck abzuwehren, daß neben der verstaatlichten Industrie auch der Agrarbereich zu den Sprengsätzen der Koalition und zu den vordringlichsten Sanierungssektoren zählt. Die agrarpolitischen Probleme signalisieren aber eine harte Herbstarbeit. Es gilt, das Koalitionsabkommen mit dem Ziel, in der Agrarförde-rung zu sparen, einzuhalten.

Die Zeit für Reformen ist aber schwierig. Uberall fehlt das Geld, die Auseinandersetzungen der Wirtschaftsgruppen untereinander werden härter. Einiges wurde aber in Österreich bereits auf den Weg gebracht. Der verstärkte Anbau von pflanzlichen Alternativkulturen zeigt Erfolge. Auch die Erkenntnis, daß die Landwirtschaft mehr Flexibilität im Bereiche des Agrarmarktes braucht, hat sich endlich durchgesetzt.

Die österreichische Ernährungsindustrie mit einer Wertschöpfung von fast 88 Milliarden Schilling und 43.500 Arbeitsplätzen kann nur dann konkurrenzfähig bleiben, wenn inländische Rohstoffe wettbewerbsfähig zur Verfügung gestellt werden.

Der Autor ist Leiter der Abteilung für Agrarökonomie im Landwirtschaftsministe-rium.

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