Hauptnahrung für 3 Milliarden

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Die Vereinten Nationen haben 2004 zum "Internationalen Jahr des Reises" erklärt. Ein Produkt unter das Motto eines Jahres zu stellen, ist einmalig in der Geschichte der UNO.

Die Entscheidung der UNO, 2004 zum Jahr des Reises zu erklären, basiert auf der Jahreskonferenz 2001 der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), in der auf die dramatische Versorgungslage bei Reis hingewiesen wurde. Für rund drei Milliarden Menschen, also für mehr als die Hälfte der Menschheit, insbesondere für die rasch wachsende Bevölkerung in den Entwicklungsländern, ist Reis das Hauptnahrungsmittel. Im Durchschnitt liefert der Verzehr von Reis pro Person und Tag etwa 700 Kalorien und für ca. zwei Milliarden Menschen sogar 60 bis 70 Prozent der täglichen Nahrungsenergie.

Schon allein aufgrund der zu erwartenden Bevölkerungszunahme in den Hauptkonsumländern müsste bis 2025 die Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit rund 570 Millionen Tonnen geschätzte Weltproduktion um 190 Millionen Tonnen gesteigert werden. Diesem Ziel stehen aber folgende Fakten gegenüber:

* Für Reis kultivierbares Land ist in der Hauptkonsumregion Asien nicht nur erschöpft, sondern Agrarland wird weiterhin von den wachsenden Städten, ausgelagerten Industrien und den Verkehrssystemen in Anspruch genommen. Das Becken von Bangkok - einst eine der "Reisschalen" Asiens, jetzt zum Großteil unangepasst industriell verwüstetes Land, von einer Abgasglocke überdeckt - ist hierfür ein drastisches Beispiel.

* Nach der sehr oft unangepasst praktizierten "Grünen Revolution" mit neuen Sorten, intensiver Düngung und "harter" Schädlingsbekämpfung zeigt die Produktion in den Haupt- und Intensivproduktionsgebieten Einbrüche. Die Spezialisten der FAO beklagen eine Verschlechterung der Bodenqualität und damit der natürlichen Fruchtbarkeit, genetische Verarmung, Zunahme von epidemischen Pflanzenkrankheiten, Beeinträchtigung der Umwelt durch den Intensivreisbau und nicht zuletzt soziale Notstände, weil sich die kleinen, armen Reisbauern die teuren Produktionsmittel nicht leisten konnten (können) und von den unangepasst wirtschaftenden, aber die Preise unterbietenden, größeren Betrieben übernommen wurden (werden). Ökologische und soziale Unangepasstheit gingen (gehen) also Hand in Hand.

Behutsame Produktion

Bei einem Weitertreiben-Lassen der Entwicklung könnte es zu schweren sozialen Missständen und politischer Destabilisierung kommen. Schon allein aus diesem Grunde - abgesehen vom Imperativ der Internationalen Solidarität und Gerechtigkeit - hat die UNO in ihrer Resolution die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Reisproblem gelenkt und im Rahmen ihrer Spezialorganisationen geeignete Maßnahmen eingeleitet.

Gelenkt durch die Internationale Reis-Kommission (IRC) erfolgt eine kombinierte Anstrengung nachstehender Abteilungen der FAO: Acker- und GrünlandService, Pflanzenschutzdienst, Saatgut und Genetische Ressourcen, Land- und Pflanzenernährungsmanagement, Management der Wasservorräte, Entwicklungsdienst.

Im Rahmen des Reis-Entwicklungsprogrammes und eines Subprogrammes "Thriving with rice" werden die genetischen Ressourcen erhoben und bewahrt, sowie integriertes Fruchtmanagement, die natürliche Bodenfruchtbarkeit, biologische Schädlingsbekämpfung und angepasste Düngung mit maximalem Einsatz von eigenem Dünger gefördert. Mit einem Wort: Es wird die Rückkehr zu einer behutsamen, die natürlichen Synergien ausnützenden Produktionstechnik, die sich aber nicht den Erkenntnissen der Wissenschaft verschließt, angestrebt.

Daneben werden zur Erhöhung der Wertschöpfung im Familienbetrieb und zur Kreislauforientierung der Stoffströme insbesondere folgende Maßnahmen gefördert: kombinierte Reis- und Fischproduktion in der Wasser-(Sumpf-)Reisproduktion, Züchtung von Speisepilzen auf Reisstroh, Verwendung der Reisschalen als Brennstoff zum Kochen, Kompostierung des Reisstrohs (eigener organischer Dünger), Fütterung von Hühnern und Enten mit abfallenden Qualitäten und anderem Abfall.

Dem industriellen Streamlining der großflächigen "Grünen Revolution" mit ihren negativen ökologischen und sozialen Folgen wird also nunmehr eine möglichst vielfältige, gärtnerisch behutsame und daher trotz der notwendigen Intensität ökologisch angepasste Produktion, die alle natürlichen Vorteile des Standortes ausnützt, gegenübergestellt.

Das Programm umfasst daher angepasste Reisproduktion von den Berggebieten (Bergreis) bis in die Küstenregionen (Sumpfreis) sowie angepasste Sorten für die Gebiete Afrikas südlich der Sahara und für Inlandsümpfe.

Soziale Faktoren

Bei all den agrartechnischen Anstrengungen sollten aber die Produktionsfaktoren Bildung, sozial gezügelte Marktwirtschaft und gerechte Eigentumsstrukturen nicht vergessen werden. Gerade letztere stiften Identität und geben Anreiz zu nachhaltigen Produktionsweisen. Die institutionelle Gesellschaftsverfassung ist einer der wichtigsten, aber auch einer der in der Regel missachtetsten Produktionsfaktoren.

Zu dieser kommt noch der notwendige handelspolitische Rahmen. Bei dem gegenwärtig direkt und indirekt mehrfach subventionierten Weltverkehr und einem Freihandelsregime, das die Produktionsmethoden nicht hinterfragt, können geringe unterpreisige und nicht nachhaltig produzierte Mengen eines Stapelproduktes den gesamten Weltmarkt stören bzw. zerschlagen. Dies gilt auch für den Reismarkt. Zur Abwendung dieser Gefahr wurden in der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts Rohstofflenkungsabkommen geschlossen - mit dem Ziel einer längerfristigen Ausbalancierung und demokratischen Steuerung der Märkte. Solche Abkommen mit gleichen Stimmvolumen der Produzenten- und Konsumentenländer waren auch für die nach dem Zweiten Weltkrieg geplante Welthandelsorganisation (ITO - International Trade Organisation) vorgesehen. Diese kam jedoch wegen des Vetos der USA nicht zustande. Die 1994 aus der Taufe gehobene WTO (World Trade Organisation) bleibt in diesem Punkt ebenfalls abstinent.

Sieht man auf diesem Hintergrund das Aufbrechen der Reisökonomien Japans und Südkoreas durch die USA, deren Interesse es ist, nicht nachhaltig produzierte Großmengen in diese kaufkräftigen Länder zu exportieren und damit den dortigen heimischen Reisanbau zu deroutieren, dann wird der Zweck dieser Abstinenz offenbar - aber auch die Notwendigkeit der Änderung der "Internationalen Institutionellen Verfassung".

Der Autor ist Honorarprofessor an der Universität für Bodenkultur in Wien.

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