Die gute Ökobilanz des edlen Verzichts
Mit einem Beitrag über die Umweltenzyklika von Papst Franziskus (FURCHE Nr. 29/16.7.2015) ist Bernd Lötsch zum viel gefragten Vortragenden in kirchlichen Kreisen geworden. Nun stellt er zwölf "fleischliche Thesen" im Sinne des Fastengedankens vor.
Mit einem Beitrag über die Umweltenzyklika von Papst Franziskus (FURCHE Nr. 29/16.7.2015) ist Bernd Lötsch zum viel gefragten Vortragenden in kirchlichen Kreisen geworden. Nun stellt er zwölf "fleischliche Thesen" im Sinne des Fastengedankens vor.
Grundlegende Zusammenhänge der Ökologie hat Bernd Lötsch zuletzt in Pfarren, bei Kirchenveranstaltungen und Religionslehrer-Ausbildungen präsentiert. Hier destilliert der ehemalige Direktor des Naturhistorischen Museums Wien zwölf Punkte, wie eine an ökologischen und gesundheitlichen Grundsätzen orientierte Selbstbeschränkung aussehen könnte.
1. Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen sind nur über das Tier nutzbar, vor allem Grasland in Berglagen, Steppen und ähnlichen Gebieten. Entscheidend für die Beurteilung ist, dass Tierproduktion nur dort stattfindet, wo das Tier nicht zum Nahrungskonkurrenten des Menschen wird und tiergerecht leben kann. Wobei es den Menschen, der Zellulose nicht aufschließen kann, ergänzt, und zwar als bewundernswerter Bio-Reaktor der Veredelung unverdaulicher pflanzlicher Gerüstsubstanz zu hochwertigem Eiweiß. Rind, Schaf oder Ziege können in der Vegetationsperiode fast wie Wildtiere leben. Dies ist aber kein Freibrief für die Zerstörung artenreicher Relikt-Natur - etwa letzter Auen und Hochmoore in einer übernutzten Biosphäre, wie es der geniale Umweltjournalist Horst Stern schon in den 1970er-Jahren scharfzüngig angriff: "Wir drainieren (entwässern) die letzten Moore und düngen ihre Orchideen zu Tode,um Kühe draufzustellen, für die wir dann Prämien kriegen,wenn wir sie im Schatten der Butterberge wieder schlachten."
Als optimal gelten dagegen bewirtschaftete Almen; ökologisch positiv sind auch die richtig dimensionierten Herden der Nomaden in der Serengeti und auf den Hängen des Himalaya. Ebenso wie die Schafherden Spaniens auf ihren -königlich garantierten - breiten, unglaublich artenreichen Wanderrouten zwischen den Winter-und Sommerweiden im Tiefland und den Hochlagen der Iberischen Halbinsel ("Transhumanz").
2. Tierhaltung ist sinnvoll, wo Tiere zu nützlichen Abfallverwertern des Menschen wurden -statt mit Quadratkilometern öder, "herbizidschwangerer", bodenzehrender Maismonokulturen und Eiweißfutterimporten industrialisiert zu werden. Das ist übrigens die Urfunktion des Schweines.
Gewiss wird das wünschenswerte Recycling von Speiseresten und Nahrungsabfällen heute durch fallweise überzogene Hygienevorschriften zur Tierseuchenprävention erschwert. Man findet im kleinen Maßstab aber immer wieder einfallsreiche Verwertungswege: Das "Center of Alternative Technology" in Wales etwa hält Hühner offen und weitläufig auf Stroheinstreu unter einem ausgedehnten Flugdach. Frische Speisereste werden flächig aufs Stroh verteilt, die Hühner holen sich emsig alles Verwertbare. Die Einstreu landet schon kurz darauf am Kompost.
3. Zur Vermeidung von Tierleid und Chemie sind Überdichten zu ächten: Permanentes "Crowding" verstößt gegen das fundamentalste Grundgesetz der Ökologie, das der Dichtebegrenzung: Dichtestress schwächt die Immunabwehr. Stoffwechselprodukte führen zu Selbsthemmung, zu erhöhtem Infektionsdruck mit Zwang zum Antibiotika-Einsatz. Grausame Verhaltensstörungen und Massen von Exkrementen als quasi industrielle Abfallbelastung sind hinlänglich bekannt und wesentliche Motive für Fleischverzicht.
4. ÖkoDiät nutzt über Jahrhunderte bewährte und heute wissenschaftlich verstandene Nahrungsmittelkombinationen aus Getreiden bzw. Knollen einerseits mit proteinreichen Nüssen bzw. Leguminosen andererseits, aber auch optimal sparsam dosierten Tier-Eiweißen wie Eiern und Milch -Ei wie Milch nicht aus Legebatterien und Rinderboxen auf Spaltenböden. Die rein pflanzlichen Kombinationen tradierter Ethno-Gerichte wie Reis und schwarze Bohnen (Gallo pinto), Weizenfladen und rote Bohnen (Foul) oder Kichererbsen (Humus) enthalten ein optimales Angebot aller acht essentiellen Aminosäuren, wie man sie sonst nur in Tierprodukten wähnte.
5. Umso größere Aufmerksamkeit verdient die hinreichende Zufuhr an Protein bzw. essentiellen Aminosäuren weltweit für Kinder nach dem Abstillen. Es gibt für Weltbürger mit globalem Gewissen keine schlimmere Unterlassung, als während der Phasen lebensentscheidend stürmischer Hirnentwicklung Hunger mit einseitigem Proteinmangel zuzulassen. Es droht ein Hungerödem, unter Umständen mit lebenslanger geistiger Beeinträchtigung als Langzeitfolge.
6. Es ist nicht zu leugnen, dass der Mensch hinsichtlich Gebiss und Darmlänge, seiner Verhaltensausstattung als Jäger und Sammler und vor allem wegen des Proteinbedarfs seiner enormen Hirnentwicklung als "teil-fleischfressender Allesfresser" einzustufen wäre. Unsere nächsten Verwandten, die zwei Schimpansenarten, mit denen wir mehr als 98 Prozent der DNA gemeinsam haben, haben allerdings nur ein Drittel unseres Hirngewichts und galten längere Zeit als Vegetarier, als Blatt-, Früchte-und gelegentliche Insektenfresser. Doch haben die Studien von Jane Goodall und dramatische Filmdokumente von Hugo van Lawick und Bert Haanstra offengelegt, wie Schimpansenhorden geradezu von einer Art "Blutrausch" der Fleischbeschaffung erfasst werden: Sie ergreifen dann einige der ahnungslosen Pavian-Jungen, mit denen die Schimpansenkinder sonst oft friedlich spielen, und beginnen sie zu zerfleischen und aufzufressen. Dies geschieht einige Male im Jahr und scheint von Bedeutung für die Ernährung zu sein.
7. Der Nutzflächen-Bedarf der Menschen steigt stark mit dem Fleischanteil der Nahrung: Kommt etwa die traditionelle Kleinbauernwirtschaft Thailands (Gartenbau mit Kleinvieh) bei traditioneller Thai-Kost auf 680 Quadratmeter pro Person, steigt der Flächenbedarf beim Übergang zu fleischstarken amerikanischen Essgewohnheiten fast auf das Vierfache, nämlich 2300 Quadratmeter pro Kopf -ganz zu schweigen vom erhöhten Risiko für Gicht, Fettsucht, Erkrankungen des Gehirns und sehr wahrscheinlich auch Dickdarmkrebs.
8. Internationale Vergleiche zeigen eine Korrelation zwischen Luxusfleischkonsum und Dickdarmkrebs, wobei es ungeklärt bleibt, ob dafür die Fleischmenge an sich (etwa durch spezifische Fäulnisprodukte im Darm) oder die fehlende pflanzliche Rohfaser (als heilsame "Darmbürste" für Stoffwechselgifte) die Hauptrolle spielt.
9. Eine durch ökologische und gesundheitliche Grundsätze verringerte, aber ausreichende essentielle Proteinversorgung durch extensive Haltung von Weidetieren als Zelluloseverdauer (andere wie Huhn und Schwein als Abfallverwerter) könnte den ökologischen Fußabdruck deutlich verringern, schon durch den geringeren Flächenverbrauch: Die Soja-Importe für Viehfutter der EU etwa beanspruchen in Brasilien eine Anbaufläche wie die Gesamtfläche Deutschlands. Weitere Entlastungen wären reduzierte Methan-Emissionen und verringerter Medikamentengebrauch, verbunden mit dem Ethos verringerten Tierleids. Dies würde auch den Fleischkonsum vom gedankenlosen Alltagsverzehr wieder zum Genussereignis aufwerten -Stichwort "Sonntagshuhn" und "Festtagsbraten".
10. Andererseits bräuchten sich die bergbäuerliche Viehwirtschaft und die bäuerlichen Mischbetriebe nicht um ihren Absatz zu sorgen: Der deutlich seltenere Genuss kann dann seinen Preis haben, ohne das bisherige Familienbudget für Ernährung zu überschreiten.
11. Mit einem Fleischverbrauch von durchschnittlich 65-70 Kilogramm pro Person und Jahr verzehren die Österreicher jährlich eine Menge wie ihr Körpergewicht. Dies erfordert Lebensstiländerungen.
12. Laut jüngsten Erhebungen vergrößert Fleischernährung den ökologischen Fußabdruck in bisher ungeahntem Ausmaß. Das macht weltweit bereits gleich viel oder sogar mehr aus als das gesamte Verkehrs-und Transportwesen, und zwar wegen der enormen Methan-Emissionen aus Rindern, der Gülle der Mastviehbetriebe und der großen Flächen, die für expandierendes Weide-und Ackerland zwecks Viehfutter beansprucht werden. Dies war in den letzten Jahrzehnten der wichtigste Faktor der Tropenwaldzerstörung. Größte Sorge bereitet die steil steigende Fleischnachfrage in Indien und China, den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt. Zentralisierte Viehmastbetriebe verursachen ein zusätzlich gesteigertes Transportaufkommen. Die bisher als "unnötige Extremposition" milde belächelte "vegane Lebenshaltung" verdient als Teil zukunftsfähiger Alternativen zumindest, ernster genommen zu werden - weil auch Milchprodukte und Eier in quasi industrieller Produktion erschütterndes Massentierleid verschulden.
Laut jüngsten Daten vergrößert Fleischernährung den ökologischen Fußabdruck in bisher ungeahntem Ausmaß. Größte Sorge bereitet die steigende Fleischnachfrage in China und Indien.
Tiergerecht
Tierproduktion sollte u. a. nur dort stattfinden, wo das Tier auch artgerecht leben kann. Ökologisch optimal sind etwa bewirtschaftete Almen, so der Biologe Bernd Lötsch in seiner ersten "fleischlichen These".