Mir Sojawiener, dir Tofuwurst

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Der aktuelle Fleischskandal lässt die Kassen in Naturkostläden um bis zu 60 Prozent öfter klingeln. Auch das Vegetarier-Dasein erfreut sich wachsender Beliebtheit. Ob der fleischlose Trend jedoch die momentane Krise überdauert - und ob er überhaupt gesund ist - bleibt umstritten.

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Der aktuelle Fleischskandal lässt die Kassen in Naturkostläden um bis zu 60 Prozent öfter klingeln. Auch das Vegetarier-Dasein erfreut sich wachsender Beliebtheit. Ob der fleischlose Trend jedoch die momentane Krise überdauert - und ob er überhaupt gesund ist - bleibt umstritten.

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Der Wunsch ist oftmals Vater des Gedankens: "Hochgerechnet 2,44 Millionen Deutsche sind wegen der BSE-Krise und anderen negativen Nachrichten aus der Lebensmittelproduktion zu Vegetarieren geworden", verkündete der Fernsehsender RTL Ende Jänner vollmundig. In einer Umfrage hätten vier Prozent von 500 Befragten angegeben, wegen der aktuellen Meldungen kein Fleisch mehr zu essen. Die Schlussfolgerung, dass deshalb vier Prozent der deutschen Bevölkerung zu eingefleischten Vegetariern geworden wären, ist freilich kühn: Nicht jeder, dem kurzfristig der Appetit auf Rind und Schwein vergeht, wird zum konsequenten Fleischkost-Verächter, weiß auch Primarius Meinrad Lindschinger vom Institut für Ernährung und Stoffwechselerkrankungen in Lassnitzhöhe (Steiermark): "Das Vertrauen ist sicher beeinträchtigt. Es gibt auch vermehrt Nachfragen von Leuten, die Vegetarier werden wollen. Aber das wird wieder abflachen."

Das Misstrauen der Konsumenten bekommt indes der heimische Lebensmittelhandel ordentlich zu spüren: Die BSE-Krise und der Antibiotika-Skandal bei Schweinen haben zu einem Umsatzeinbruch von 150 bis 200 Millionen Schilling geführt. Rund die Hälfe weniger Rind- und 15 bis 20 Prozent weniger Schweinefleisch wandert seither bei den drei größten Lebensmittelketten über den Tresen. Wackeln in der Fleischwarenindustrie bis zu 3.000 Arbeitsplätze, so haben die Verkäufer in Österreichs 200 Bio- und Naturkostläden alle Hände voll zu tun, freut sich Ralph Liebing, Geschäftsführer des Dachverbandes des österreichischen Naturkostfachhandels (VNÖ): "Wir haben enorme Absatzsteigerungen, zwischen 25 und 60 Prozent, nicht nur im Fleischbereich." Gesteigerte Nachfrage herrsche auch nach vegetarischen Alternativen wie Käse, Soja- und anderen Produkten mit pflanzlichem Eiweiß. Nicht überall wo Bio drauf steht, ist freilich auch Bio drin, warnt Liebing vor Etikettenschwindel: Nur Waren mit dem Wortlaut "aus biologischer/ökologischer Landwirtschaft/Landbau" sowie einer Bio-Kontrollnummer samt Ländercode (etwa AT für Österreich) seien garantierte Bioprodukte. Nicht nur BSE und Schweinefleisch-Skandal, auch die jüngst bekannt gewordene krebshemmende Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen (etwa die in Soja vorhandenen Phytoöstrogene oder die in vielen Obst- und Gemüsesorten vorkommenden Carotinoide) machen den Konsumenten vermehrt Appetit auf fleischlose Kost. Gibt es zwischen Vegetariern und Fleischessern hinsichtlich der Gesamtsterblichkeit keine Unterschiede, so ist die Herzinfarktrate bei den "Vegis" immerhin um 24 Prozent niedriger. Überzeugte Vegetarier führen für ihre Fleischverweigerung jedoch nicht nur gesundheitliche, sondern vor allem ethische Gründe ins Treffen, erklärt Erwin Lauppert, Obmann der vom Lebensmittelchemiker Julius Fleischanderl im Jahr 1970 gegründeten Österreichischen Vegetarier Union. Der 68-jährige Lauppert, der nach eigenen Angaben "seit einem halben Jahrhundert" vegetarisch und seit geraumer Zeit sogar vegan (ohne Milch, Milchprodukte und Eier) lebt, geht in seiner Argumentation denkbar weit: "In unserer Art der Nutztierhaltung ist das Milch trinken und Ei essen genau so tiertötend wie das Fleisch essen", ist er überzeugt und nennt die gängige Tötung männlicher Küken nach der Geburt ebenso als Beispiel wie die "Herodes-Prämie", die zwischen 1996 und 1999 im Rahmen eines EU-Programmes zur Tötung männlicher Kälber bezahlt worden war. Ein Programm, an dem sich übrigens weder Österreich noch Deutschland beteiligt hatte.

Die große Zeit der Vegetariervereine ist freilich vorbei, nimmt Erwin Lauppert halb ernüchtert, halb erfreut zur Kenntnis: "Als wir begonnen haben, galten Vegetarier noch als nicht ganz normal, als harmlose Deppen." In der Zwischenzeit ist der Vegetarismus gesellschaftsfähig geworden. Historisch geht die pflanzliche Lebensweise bis auf den Philosophen Pythagoras im 6. Jahrhundert vor Christus zurück. Etwa 1840 setzte die vegetarische Bewegung in England und den USA ein, unter anderem ausgelöst durch die kulinarischen Empfehlungen von Reverend Sylvester Graham, dem Vater des Grahambrotes, und John Harvey Kellogg, der für sein Frühstück auf Getreidebasis berühmt werden sollte. Während nach Schätzungen in Österreich rund eineinhalb Prozent der Bevölkerung vegetarisch leben, ernähren sich im BSE-"Mutterland" Großbritannien immerhin neun Prozent rein pflanzlich. In den USA beschränken sich nach Angaben der Internationalen Vegetarier Union (IVU) 2,5 Prozent auf fleischlose Kost.

Während die Mehrzahl der Experten eine ausgewogene (ovo)-lacto-vegetarische Ernährung mit Milch, Milchprodukten (und Eiern) als Dauerkost geeignet sieht, betrachten die meisten vegane Ernährung als ungeeignet. Neben dem geringen Energiegehalt (insbesondere von Rohkost) sei vor allem die Nährstoffversorgung kritisch, warnt Ingrid Kiefer vom Institut für Sozialmedizin der Universität Wien: "Vegane Ernährung ist völlig abzulehnen, gerade für Kinder und Frauen, die zu wenig Kalzium aufnehmen würden. Ihnen kann ich nur raten, Fisch und Milchprodukte zu essen."

Vereinzelte Veganer Ein Ratschlag, den Madeleine Petrovic, stellvertretende Klubobfrau der Grünen und gemeinsam mit ihrem Mann Antun Besitzerin eines 100 Prozent veganen Lokals in Wien, dankend ablehnt: "Mein hervorragendes Blutbild überrascht die Ärzte immer. Ich kann nur sagen, mir tut's gut." Dass Eintopf-Suppen im Demeter-Gebäck, Gemüse-Tofu-Pfannen oder Sojawiener nicht für alle Menschen auf Dauer geeignet sind, weiß freilich auch sie. Oder wie Ernährungsexperte Meinrad Lindschinger sagen würde: "Nicht alles, was der Tante Pepi gut tut, tut allen gut."

Bei vielen Veganern treten nach zweieinhalb bis drei Jahren die ersten Mangelerscheinungen auf, weiß Lindschinger. Kann er sich also für vegane Kost wenig erwärmen, so legt er allesessenden (omnivoren) Menschen durchaus die Lebensweise vieler vegetarischer Zeitgenossen ans Herz: "Sie rauchen nicht, sie trinken nicht und sie machen mehr Bewegung. Meine Empfehlung lautet also nicht: Esst wie die Vegetarier! Sondern: Lebt wie sie!"

Weitere Informationen unter der Ernährungshotline des Fonds Gesundes Österreich und des Vereins für Konsumenteninformation (0810 810 227) sowie unter: www.oekoland.at/vnoe, www.vegetarier.at, www.vegan.at und www.ivu.org

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