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Die Seltsame Logik des guten Geschmacks

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Schon am Nachmittag, wenn 1 die Sonne noch steil über den frühsommerlichen Ka-stanienbäumen steht, stra-l ■ fen die Österreicher bundesweit die1 Trendforscher Lügen. Bitter-süß duften verschütteter Hopfen und Malz in den Gasthausgärten. So mancher leert zwischen Dienstschluß und „Zeit im Bild" ein paar Halbe von den rund 115 Litern Bier, die ihm pro Jahr laut Statistik zustehen. Die neuen, sogenannten „Energy-Drinker" mit den aufmunternden Zusatzstoffen fallen da kaum ins Gewicht, obwohl die schlanken Dosen in Osterreich - mit 2,8 Liter pro Kopf und Jahr - europaweit am stärksten boomen. Ist gesund, was wir trinken? „Was der Österreicher trinkt," rügt der Wiener Ernährungswissenschafter Ibrahim Elmadfa, „ist eine sekundäre Frage". Wichtiger sei es zu wissen, warum der Mensch überhaupt Flüssigkeit braucht:

Der Wassergehalt eines Erwachsenen liegt konstant um 60 Prozent seines Körpergewichts. (Ein 80 Kilo schwerer Mensch besteht demnach zu 48 Kilo aus Wasser). Scheidet er mehr als 0,5 Prozent seines Gewichtes (400 Gramm) an Flüssigkeit - über Niere, Haut oder Lunge - aus, so entsteht das subjektive Gefühl von Durst. „Ungefähr 2,5 Liter pro Tag an Wasserzufuhr genügen," meint Elmadfa, „mindestens 1,5 Liter davon in Form von Flüssigkeit". Ob der Mensch hier vielleicht des öfteren zum falschen Tropfen greift?

Die Wissenschaft seufzt, Modetrends und Urteile - ob gut oder schlecht - sind nicht ihr Metier. „Wir verlieren Elektrolyte, Salze und Mineralstoffe," erinnert der Wissenschafter an das Wesentliche, „aber das Defizit besteht nicht an einem bestimmten Getränk, sondern an Flüssigkeit an sich." Leitungswasser wäre per se dazu bestimmt, dem komplizierten Signal nachzukommen, das vom Durstzentrum im Hinterhirn ausgeschickt wird. „Wasser ist das beste Lebensmittel, das wir haben," sagt

Wasser ist das

beste Lebensmittel, das wir haben, sagt die Ernährungswissenschaft. Nicht jedem schmeckt der natürliche Durstlöscher.,

Elmadfa, „es wird auch am besten kontrolliert. Aber es schmeckt den Leuten eben nicht."

Warum welches Getränk gewählt wird, ist ein komplexer Vorgang. Der Sozialhistoriker Reinhard Sieder ortet mehrere Motive bei der Selektion des Trinkobjektes: die Selbsterhaltung, den Genuß, die Sicherung der kulturellen Identität und die soziale Unterscheidung.

Von der „sozialen Logik des Geschmacks" berichtet auch die Chronik der Anna Hartmann aus dem Wien der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts: „Kaffee war damals noch wenig bekannt, es gab daher die Morgensuppe. Das Gesinde bekam Brot-und Einbrennsuppe, die Familie Milchsuppe und in manchen Häusern der Vater Eiersuppe. Bei den Herrschaften waren Choklad (sie) und Weinsuppe gebräuchlich ..." Auch die Ernährungsexpertin Hanni Rütz-ler untersucht (1994) Speisen und Getränke auf ihre „sozialen Gebrauchsweisen". So ist Bier hinsichtlich Menge und Häufigkeit noch Domäne der Männer, die alkoholfreien, insbesondere Tee, jene der Frauen. Appelle von Ernährungswissenschaftern und eine intensiv gelebte Sportkultur brachten eineJWende im Trinkverhalten. „Die Werbung bewirkt," meint die Psychologin Sofie Karmasin, „daß die Österreicher mehr trinken." Manche

Bevölkerungsgruppen immer noch nicht genug, warnt allerdings Ibrahim Elmadfa: vor allem ältere Menschen vergessen häufig auf ihre 2,5 Liter Flüssigkeitszufuhr. Badikale Schlankheitsfanatiker, zumeist weiblich, denken gar, sie könnten durch Verzicht auf Liquides ein halbes Kilo Eigengewicht einsparen.

Insgesamt gesehen ist Ungesundes jedoch out. „Pseudomännliche hard-drinks" zum Beispiel. „Wenn schon Alkohol", sagt Sofie Karmasin, dann „light", mit Limonade gemischt oder in exotischen Modekombinationen. Fruchtsaftproduzenten profitieren vom wachsenden Ernährungsbewußtsein. Non-Alkoholika werden -relativ gesehen - zunehmend billiger! „Stille" Limos, etwa Eistee oder andere Säfte ohne Kohlensäure, gelten als Wachstumsmarkt. Leicht und transparent soll es sein, das sportliche Getränk; kuriose Mischungen - die „fancy drinks" - erfüllen Erwartungen, die an das jugendliche Getränk

gestellt werden. Tropische Geschmacksrichtungen in abenteuerlichen Kombinationen sollen Fernweh stillen. Eine Art Globalisierung der Geschmackspapillen breitet sich in den Regalen aus. Cocktails aus dem Süden, „Pina colada", zum Beispiel, ein merkwürdiger Fertigmix aus Ko-kos- und Bumgeschmack suggeriert Urlaub - allein es fehlt die Palme.

Insgesamt, so urteilen die Fachleute, ist unser Trinkverhalten aber in Ordnung. Zumindest, solange der Gesamtwasserhaushalt des Körpers ausbalanciert ist.

Eine Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln stellt ein Bericht des Instituts für Kulturstudien über „Ernährungsweisen, Eß- und Trinkkulturen" in Österreich fest: etwa zwei Drittel der Einwohner sind informiert über gute Ernährung. Am besten wissen die leitenden Angestellten Bescheid. Sie allerdings trinken auch den meisten Alkohol ...

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