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Brüderlein, trink!

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Die Österreicher sind ein Volk von Trinkern geworden — Trinker freilich nicht im Sinne der Charakterisierung notorischer Alkoholiker, sondern als Bezeichnung für Leute, die gerne und viel trinken. In der Tat haben steigender Lebensstandard und daraus resultierendes verändertes Konsumverhalten in den letzten Jahren eine bedeutende Steigerung des Getränkeverbrauchs hervorgerufen.

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Die Österreicher sind ein Volk von Trinkern geworden — Trinker freilich nicht im Sinne der Charakterisierung notorischer Alkoholiker, sondern als Bezeichnung für Leute, die gerne und viel trinken. In der Tat haben steigender Lebensstandard und daraus resultierendes verändertes Konsumverhalten in den letzten Jahren eine bedeutende Steigerung des Getränkeverbrauchs hervorgerufen.

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Sorgenkind der heimischen Durstindustrie ist derzeit das Bier. Die Brauer sprechen offen von Stagnation, obwohl Österreich mit einer Pro-Kopf-Quote von zirka 100 Litern Jährlich im Spitzenfeld der Weltrangliste zu finden ist. Zwischen Jänner und Juni dieses Jahre« sank der Bierausstofl gegenüber dem ersten Halbjahr 1969 um drei Promille, nachdem vorher bereits das Braujahr 1968/69 ein Minus von drei Prozent zu verzeichnen hatte. Der Sättigungsgrad des Marktes ist jedoch nicht überall in der Alpenrepublik identisch. Während Bierhersteller in Bregenz, Innsbruck oder Salzburg noch hoffen dürfen, Ist die Lage in Wien weit trister. Das West-Ost-Gefälle hat eine einfache Erklärung: höherer Lebensstandard und mehr Fremdenverkehr (besonders durch die Wintersaison). Resultat: Im letzten Jahr betrug der ProKopf-Verbrauch in Wien 76 Liter, in Tirol und Salzburg mehr als 120 Liter. Darüber hinaus ist der Konsumplafond in den östlichen Bundesländern bereits erreicht, während die Experten für den Westen ein weiteres Anschwellen von Touristenströmen und damit weitere Marktchancen für den Gerstensaft prognostizieren.

Eine weitere Umstrukturierung erfuhr zudem der Absatz. Viele löschen ihren Bierdurst nicht mehr beim Wirt um die Ecke, sondern zu Hause vor dem Fernsehapparat. Nutznießer des Heimtrends ist der Lebensmittelhandel, der in ländlichen Gebieten 40 bis 50 Prozent, in Großstädten bis zu 70 Prozent dar Bierproduktion umsetzt. Analog ist ein Trend vom Faß- zum Flaschenbier zu beobachten. Im ersten Halbjahr 1970 wanderten achtzig von hundert Litern Bier in die Flaschen. Mehr noch als der gesättigte Markt bereitet das Damoklesschwert eines EWG-Arrangements der Bierbranche schlaflose Nächte. Noch liegt der Importanteil bei 1,2 Prozent, doch er steigt ständig. Gegenüber dem Vergleichszeitraum 1969 stieg er im ersten Halbjahr 1970 um 10,7 Prozent auf einen Wert von 23,4 Millionen Schilling (Flaschenbier). Besonders offensiv agieren hier die deutschen Biergiganten, die trotz enormer Exportbelastung und konziliantester Konditionen um einen festen Platz in ■ Österreichs Kühlschränken ringen. Ziel ist eine möglichst günstige Auslandsposition für den „Ernstfall“ eines österreichischen Ubereinkommens mit dem Gemeinsamen Markt. Die heimische Brauindustrie hat nur begrenzte Möglichkeiten, um sich den geänderten Strukturen anzupassen.

Und Dr. Peter Wahl, Vorst andsmitglied der Brauerei Schwechat AG, meint: „Die österreichische Brau-industrie hegt selbstverständlich Befürchtungen, wenn es zu einem Arrangement kommt und keine Sondervereinbarungen für das Produkt Bier getroffen werden, besonders, weil die Ertrags- und Finanzlage der deutschen Brauindustrie eine stärkere ist als die der österreichischen.“

Derzeit scheinen die alkoholfreien Getränke, besonders Erfrischungsgetränke und Limonaden, das Geschäft der Zukunft zu sein. Heuer stieg der Absatz um 13,5 Prozent, für die nächsten fünf Jahre wird ein Ansteigen um 15 Prozent vorausgesagt. Das Vordringen der Anti-alkoholika hat verschiedene Ursachen: Schon ihre Bezeichnung definiert eine der wichtigsten. Alkohol ist auf dem Weg, ein „liquor non gratum“ zu werden. Der Staat gibt sich, wiewohl er daran verdient, als Alkoholgegner, Volksgesundheit ist bereits ein Schlagwort, die „Erfolgsgeneration“, so hofft man, trinkt Milch, und dem Motorisierten droht der Alkotest. Außerdem ist das Gebiet zwischen Badensee und Neusiedlersee noch Entwicklungsland für alkoholfreie Durstlöscher.

Konkurrent für Bier und für antialkoholische Getränke ist der Wein. Auch hier scheint der Markt Expansionschancen zu haben, wenn auch nicht so explosionsartige wie bei Limonaden und ähnlichen Erfrischungsgetränken. Der Österreicher trinkt pro Jahr 32 Liter Wein; in Italien (135 Liter) und Frankreich (190 Liter) ist der Verbrauch weitaus größer. Alles spricht für eine Zuwachsrate, die im letzten Jahr fünf Prozent betrug, jedoch noch in die Höhe klettern dürfte. Voraussetzung ist allerdings ein konsumgerechtes Marketing. Nicht mehr der „Doppler“ ist Favorit, der Kunden, die Tendenz geht zum Markenwein in der Ein-literflasche. Der Ruf nach Qualität hängt nicht zuletzt mit dem gesellschaftlichen Leben in den eigenen vier Wänden zusammen.

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