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Glitzerkugeln & Glühmost

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Das Gesichtchen erscheint einmal verzerrt und nach innen gebogen, dann wieder mit kleinen weißen Kristallen geschmückt. Kleine Hände versuchen das Geheimnis der gewölbten Christbaumkugel zu ergründen. Das Splittern des Weihnachtswunders vor einem der Stände am Christkindlmarkt löst Verwirrung und Tränen bei einem vierjährigen Mädchen aus. Schnell tröstet ein riesiger Bausch rosafarbener Zuckerwatte über die zerbrochene Illusion hinweg.

Wie viele Christbaumkugeln jährlich neugierigen Händen, ungezogenen Hauskatzen oder den natürlichen Verfallserscheinungen vertrocknender Christbäume zum Opfer fallen, steht in keiner Statistik. Tatsache ist, daß in Österreich Dutzende kleine Betriebe das ganze Jahr über mit dem Basteln von Christbaumschmuck, dem Ziehen von Kerzen und dem Schnitzen von Krippen beschäftigt sind. Den Großteil des industriell erzeugten Weihnachtsbaum-Zubehörs liefert eine Fabrik in Graz.

Die Maschinen der Schokolade-Hersteller müssen auch nicht verändert werden, denn wer ist noch nicht draufgekommen, daß der des Stanniolpapiers entkleidete Weihnachtsmann aufs Haar dem Osterhasen gleicht. Spätestens beim Verkosten bleibt diese Erkenntnis nicht aus.

Da verläßt man sich schon besser auf die Hausmannskost, die in einigen Buden des Christkindl-markts am Michaelerplatz in Wien angeboten wird. „Wir machen Bäckerei für unsere Konditorei“, erklärt eine rotbackige ältere Frau, .jetzt können S' einen Mohn-Karotten-Kuchen, einen Mohn-Rehrücken und ein Bischofsbrot haben.“

Für Verächter von Kalorienbomben bietet sich der Stand daneben an, in dem ein junger Biobauer Haustees und Kräuterkosmetik anpreist. Das Jahr über stellt er seine Produkte selber her und verkauft sie in einem eigenen Geschäft. Selbstverfertigt sind ebenso die blauen Weihnachtsmänner und altrosa Sterne aus Holz. Schwer an Arbeitsplätze vermittelbare Jugendliche haben im Rahmen eines Sozialprogramms ihr handwerkliches Können und ihre Phantasie mit diesen Bastelarbeiten bewiesen.

Für die Freunde profaner Genüsse bietet sich ein Glühmost mit Schuß an, der noch ganz unprofessionell und zur Freude für Gaumen und Nase mit offenem Gewürz zubereitet wird. „Das, was I Ihnen da hineinschütt', is was B'sonderes. Des ist ein Holunderschnaps. I derf nur net Holunderschnaps dazu sagen, Sie wissen eh', die Bürokratie“, er-, klärt der Inhaber des hochprozentigen Standes. Uber seine Profession schweigt er sich aus, aber seine bereits blaue Nase läßt ein eher „schwarzes“ Gewerbe vermuten, und die klare Flüssigkeit aus der Limonadenflasche macht die Runde über die Glühmost-Becher.

Bei den ersten Ständen des Naschmarkts umschmeichelt einem kein dezenter Zimtgeruch mehr, dort „f ischelt“ es. Erweist sich der Österreicher das Jahr über als Fisch-Muffel, so entdeckt er zu Weihnachten seine traditionelle Vorliebe für den Karpfen. Von den jährlich 1.700 Tonnen des Teich-Bewohners werden zum Fest der Feste dreißig bis vierzig Prozent verschlungen. 1.200 Tonnen davon stammen aus heimischen Gewässern.

„Wissen S“\ erzählt ein Fischhändler, „die Leute kaufen zwar viel Lachs und andere teure Fische, aber am Weihnachtsabend gibt's den Karpfen.“

Die Karpfenzucht hat in Österreich eine lange Tradition. Manche künstlich angelegte Teiche im Waldviertel sind 700 bis 800 Jahre alt. Da der Karpfen ein Einzelgänger ist und er zum Wachsen unbedingt auch Naturfutter benötigt, liegt der Ertrag pro Hektar Wasserfläche bei nur 400 Kilogramm. Zusätzlich füttern die Züchter Erbsen- und Gerstenschrot und Mais.

„Die Fische brauchen drei brs vier Jahre, bis sie verkaufsfähig sind“, plaudert Thomas Kainz aus Waidhofen an der Thaya, einer der größten Karpfenzüchter, aus der Fisch-Schule, „außerdem werden sie jedes Jahr in einen anderen Teich umgesetzt, bis sie etwa zwei bis drei Kilogramm wiegen.“

Mehr Umsatz als sonst gibt es auch in den Teegeschäften. Einer der renommierten Stände am Naschmarkt benötigt im Dezember sogar eine Arbeitskraft mehr. Meistens bessert ein Student sein Einkommen damit auf.

Die Christbaum-Verkäufer erzählen von verschiedenen Kundentypen: Die Vorsorglichen haben ihre Bäume bereits unter größeren oder kleineren Transportschwierigkeiten nach Hause geschafft. Der Nadelregen am Heiligen Abend bestraft allerdings für unsachgemäße Aufbewahrung im zu warmen Keller.

Für die Käufer in letzter Minute gibt es zwar meist Preisnachlässe, im nachhinein hat sich aber schon so mancher Käufer über die „Staud'n“ geärgert. An eine Auswahl ist am 24. Dezember nicht mehr zu denken. Einer der Verkäufer arbeitet den Rest des Jahres auf dem Markt, ein anderer meint: „Ich bin normalerweise Taxler, aber für die paar Wochen sind die Christbäume eine Abwechslung.“

Eine Abwechslung sind die Tage vor dem Heiligen Abend auch für einen Sandler. Gierig trinkt er die Reste aus den Glühmost-Bechern. Ein paar achtlos weggeworfene Bratkartoffeln und Maroni sind sein Fest-Essen.

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