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Als wir in Pradl Kartoffel schlten

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Ungefähr Mitte Mai 1943 erging aus Pradl eine .Botschaft an mich.

Es war, gottlob, keine von den damals üblichen Botschaften, die für hunderttausende Daheimgebliebene zwecklose Quälereien und Einschränkungen bedeuteten, sondern sie wurde mir durch ein hübsches, kirschen-äugiges Dirndel überbracht, kam aus einem Pradler Gasthaus und lautete kurz und bündig: „Kimm und hilf, Kartoffel schälen!“

Über die Wirtshäuser in dem alten Innsbrucker Vorort Pradl muß noch ein Wort gesagt werden: Sie liegen wuchtig mit breitausladenden weißen Mauern im Schatten mächtiger Nuß- und Kastanienbäume nahe an der gletschergrünen Sill, die Tannen und Fichten des Paschberges und ober ihnen die weißen Schneeberge blicken auf sie herab. Diese Gaststätten waren früher weitberühmt durch Güte und Größe ihrer Tiroler Knödel, sie schenkten im Herbst einen goldklaren Apfelmost und das ganze Jahr einen herben Tiroler Rötele. In mancher der niedrigen holzgetäfelten Wirtsstuben mit dem efeu-uimrankten Herrgottswinkel lebt noch die Erinnerung an den Speckbacher-Sepp und seine Treuen, die hier in einer Kampfpause bedächtig ihren Halben tranken. Etwas von solchem kämpferischen Geist scheint noch in den Pradler Frauen weiterzuleben. Denn sie gelten als handfeste und zungengewaltige Amazonen, mit denen sich niemand gerne in eine Auseinandersetzung einläßt. Aber diese rauhe Schale birgt ein gutes, hilfsbereites Herz und einen kernigen Humor. Im Bombenhagel, der Pradl besonders hart heimsuchte, mußten die Pradlerinnen ihn bewähren.

Die Wirtin, die mir als alten Bekannten die Einladung geschickt hatte, mußte sich für dieses letzte Aufgebot schon in arger Verlegenheit finden. Man hatte ihr in ihre gar nicht große Herberge dreißig oder mehr Buben einquartiert und dafür fast ihr ganzes weibliches Hilfspersonal in eine nordwestliche Munitionsfabrik abkommandiert. Die Buben hatten einen kaum zu stillenden Hunger und so hieß es eben den ganzen Tag Kartoffel schälen.

Ich machte midi mit Schürze und Schälmesser bewaffnet, auf den Weg, nicht so ganz zuversichtlidi, wie ich gestehen will. Denn, sozusagen als Kriegsdienstleistung unter den kritischen Augen unbekannter Pradler Volksgenossinnen Erdäpfel schälen, ist eine andere Sache als im eigenen Haushalt das Seine tun.

Die Arbeitsstätte war im Gasthausgarten unter blühenden Kastanien aufgeschlagen. Da saßen drei Frauen und sahen mir mit musternden Blicken entgegen, eine behäbige Vierzigjährige, ein blasses, sorgenvoll aussehendes Mädel und ein altes Mütterchen in ländlicher Tracht mit munteren, schwarzen Vogeläuglein unter dem weißen Brauen.

Ich stellte mich vor, verschwieg vorbauend meinen Doktortitel nicht und bat um Nachsicht und Hilfe bei einer nidit ganz gewohnten Verrichtung.

Da erheiteren sich die strengen Mienen der beiden älteren Frauen, das Mädel nahm in ihren — vermutlich Liebeskummer versunken, überhaupt keinen Anteil an dem Gespräch.

„Oh, meine liebe Frau Doktor“, sagte die Jüngere, eine Frau Saldier aus Dreiheiligen“, da ist ja nichts dabei, das Werdens bald heraushaben“. Und die Alte, die Kolderer-Nan-del aus Amras, meinte lobend: „Söll ischt brav von dir, mei Mensch, daß du der Wirtin helfen tuast“

Dann kam die Wirtin, brachte heißen Kaffee und neue Kartoffelkübel. Die Kartoffel waren, wie dies Mitte Mai nicht anders möglich ist, weder jung noch schön, und die Wirtin erzählte erbittert, es würden ihr auch die Kartoffelschalen nachgerechnet.

„O mei“, begütigte die Kolderer-Nandel mit einem schlauen Zwinkern der schwarzen Äuglein, „sei fein still, dös ischt halt dein Beitrag zuim Endsieg!“

Wir lachten alle und hatten uns rasch verständigt, und weil die Frauen in mir eine richtige Kameradin erkannten, öffneten sie unter dem Schälen und Schneiden auch ihre Herzenstürchen und erzählten aus ihrem Leben, einfache und alltägliche Dinge, und doch waren es Ausschnitte aus der großen Passion unseres Volkes.

Was hatte da die brave Frau Saldier für Sorgen! Der ältere der beiden Söhne seit Stalingrad vermißt, der jüngere, der Steinmetz, in einem Lazarett im Westen in Gefahr, einen Arm zu verlieren. Und vor 14 Tagen hat man auch den Mann eingezogen, hat sich im Dienst bei der Bahn eine unbedachte Bemerkung entschlüpfen lassen und soll nun gar zu einer Strafkompanie kommen. Es war ja freilich vorher auch nicht so besonders gut, die lange Arbeitslosigkeit und die kleinen Kinder und das Wäschewaschen und Bedienen bei den oft so ungnädigen „Gnädigen“, aber es ist noch viel schlechter geworden und die Tränen rannen der Frau Saldier über das freundliche Muttergesidit.

„Röhr nit, Salcherin“, tröstete die alte Nandel, „es werd schon noch besser“.

Weil aber die Frau Saldier schon einmal im Zug war, klagte sie auch noch über die Schwiegertochter: So brav der Sohn, so übel die Gitschen, den ganzen Tag lauft sie in Hosen herum, diese Zugereiste, und nie in der Kudiel und immer im Kino. „Schlecht ist die heutige Jugend!“

Da hob zum erstenmal das blasse Mädel den Kopf von den Kartoffelschalen und tat die dünnen Lippen auf:

„Wir sind nit schlecht, wir sind arm!“

Die Kolderer-Nandel wandte sich ihr zu, die Vogelaugen standen still und sibyllenhaft streng in dem Runzelgesicht, „Mueßt halt fleißig beten!“

Und weil niemand eine Antwort gab, begann jetzt die Nandel zu erzählen mit einem dünnen, scheppernden Stimmchen, das wie ein fernes Glöckchen klang und die alten Arbeitshände erledigten dabei einen Kartoffelkübel nach dem anderen. Eine ganze Chronik der Gegend breitete sie vor uns aus, bunt und reich, dunkel und hell, wie das Gebirgsland da draußen, in das man von dem Hof, wo sie im Ausgeding bei einem Enkel wohnt, weit hineinsieht.

Ja, jetzt sind halt wieder die Enkel dran, nachdem sie schon zwei Söhne von vieren im ersten Weltkrieg hingegeben hatte. Ganz allein hat sie ihre Kinder großgezogen, denn der Mann ist schon lang beim lieben Herrgott, „aber mit Beten und Arbeiten, meine lieben Weiberleut, bringt man viel umein-and“.

Und wie's früher lustig war trotz aller Müh und Plag, wer weiß das heute noch? Sie, die Nandel, hat ja als junges Dirndel noch im alten Pradler Bauerntheater mitgespielt, wie der Ritter Ferdinand vom Krieg nach Hause kommt und sein ungetreues Weib Gundel mit dem Spieß durchbohrt. Und zu dem mitschuldigen Schloßvogt sagt er: „Jetzt machst noch deine 14 Tag und nachher gehst“. Als Frau war dann die Nandel bei dem großen Trachtenzug in Wien, wie alle Völker des damaligen Österreichs dem Kaiser zu seinem 50jährigen Regieren gehuldigt haben, In Schönbrunn war sie draußen, die schöne Amraserin und sie bildet sidi's ein, der Herrscher hat den Tirolern besonders freundlich zugenickt. Ja, Zeiten sind gewesen, nicht so wie die jetzigen, da war Recht und Ordnung im Lande, „s'muaß wieder Österreich werden, meine Liaben, sonscht werd kei Fried um und um“. Und die Alte schleudert ein paar Kartoffel über die Schulter, als wären es schlechte, nutzlos vertane Jahre.

Wir sind dann noch viele Tage beisammen gesessen unter den blühenden Bäumen und immer schwärzer wurden die Kartoffel und immer heller unsere Gemüter, denn wir, die aus so verschiedenen Lebensbezirken kamen, fanden uns in ähnlichen Sorgen und im gleichen Hoffen.

Als dann endlich die Kartoffelkübel aufgeschält und ausgeschöpft waren, trug ich nebst rauhen und grauen Fingern eine kostbare Erkenntnis mit heim. Das Wissen um tausendfältige tapfer ertragene Kümmernisse und Lebenslasten, um Güte und Hilfsbereitschaft, um unbeirrbar gesunden Sinn, der in unserem Volke ruht, wie der sagenhafte Schatz im Acker, an dem so viele Gebildete aditlos und geringschätzig vorbeigingen und mitschuldig wurden an der großen Prüfung, die dann über uns alle kam.

„Wer's nicht glauben und in Zukunft besser machen will“, tat die Kolderer-Nandel sagen, „der soll im Fegefeuer ein halbes Zettel Ewigkeit alte Kartoffel schälen!“

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