Blaue Milch, roter Fisch

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Das Wien Museum vermittelt Eindrücke vom Essen und Trinken im Mittelalter.

Als Kinder einer Überflussgesellschaft vermögen wir nicht einmal zu erahnen, was eine Missernte bedeuten kann. Für eine Bauernfamilie im Mittelalter hieß das: sich ein Jahr lang nur von Wurzeln, Eicheln, Gras, Ratten und Katzen zu ernähren. Doch es gab auch den Überfluss. Bei den Festmahlen der Oberschicht bogen sich die Tafeln unter den in mehreren Gängen aufgetragenen Fleisch- und Fischgerichten. Essen und Trinken im Mittelalter - damit beschäftigt sich die Ausstellung "Um die Wurst" im Wien Museum. Ein trefflicher Titel, ging es doch damals bei der Ernährung in jeder Hinsicht um die Wurst: zum einen, weil existenzbedrohende Versorgungsengpässe für die meisten Menschen alltäglich waren, zum anderen, weil die Verfügbarkeit von Fleisch auch Maß für die Stellung innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung war.

Kaiser, König, Edelmann ...

Die als göttlich aufgefasste Strukturierung der Gesellschaft in Stände, in der jedem Menschen ein durch die Geburt bestimmter Platz zugewiesen war, fand ihren Niederschlag auch in der Ernährung. Dunkles Brot, Hafer- oder Hirsebrei, Hülsenfrüchte, Gemüse und Kräuter standen am Speiseplan der Bauern und armen Stadtbevölkerung. Bier, Most und Met waren die Getränke des einfachen Volkes. An Fürstenhöfen und in Schlössern hingegen stand Fleisch an erster Stelle. Rind, Schwein, Lamm oder Geflügel wurden unter Verwendung exotischer und kostspieliger Gewürze wie Pfeffer, Safran, Ingwer, Muskatnuss, Nelken oder Kardamon zubereitet, ebenso - als Statussymbol des Adels - Wild aller Art, darunter auch Raben, Reiher, Störche, Kormorane und Elstern. Getrunken wurden aus Italien, Frankreich oder Griechenland importierte Weine, oft gewürzt und gefärbt. Farben gehörten überhaupt zu den Zutaten der mittelalterlichen Haute Cuisine: Weißwein wurde schwarz oder rot gefärbt, Milch blau, Fischspeisen schwarz, rot, grün oder veilchenblau, Apfelmus schwarz.

Das städtische Bürgertum versuchte es dem Adel - so gut es ging - gleich zu tun, musste sich aber oft mit weniger exquisiten Zutaten zufrieden geben. So wurde der heimische Wein vor allem von den Stadtbewohnern getrunken - und das in nicht geringen Mengen. Im Jahr 1438 gaben die Wiener das achtfache des Stadtbudgets für Wein aus, 1499 wurde urkundlich vermerkt, dass "viele starben, weil sie sich zu Tode gesoffen hatten".

"... das Wasser reichen"

Da die Möglichkeiten der Konservierung beschränkt waren, darbten die Menschen in schlechten Jahren, während in guten Jahren der Überschuss verdarb. 80 Prozent der mittelalterlichen Mitteleuropäer durchlebten mindestens einmal in ihrem Leben eine schwere Hungersnot. Hunger betraf jedoch nicht nur die Armen, sondern alle Gesellschaftsschichten, denn im Kriegsfall mussten mitunter sogar Fürsten hungern. Als die Wiener 1462 für mehrere Monate die Hofburg belagerten, um Schulden von Kaiser Friedrich III. einzutreiben, herrschte dort bald so großer Hunger, dass sogar Hunde, Katzen und ein seit 30 Jahren bei Hof gehaltener Geier vertilgt wurden. Luxus hieß im Mittelalter: sich einmal pro Tag satt essen zu können.

Wie mittelalterliches Essen wirklich ausgesehen oder geschmeckt hat, kann das Wien Museum naturgemäß nicht vermitteln, sehr wohl aber eine Vorstellung von der damaligen Tischkultur. Obwohl bei den Bauern Besteck, Geschirr und Trinkgefäße aus Holz, bei den Bürgern aus Keramik, Metall und einfachem Glas und beim Adel sowie der hohen Geistlichkeit aus Edelmetall und kunstvollem Glas gefertigt waren, gab es doch erstaunliche Gemeinsamkeiten bei der Tischkultur: Alle Stände aßen in der Regel mit den Fingern direkt aus einer großen Schüssel. Messer wurden gemeinschaftlich verwendet, Löffel hingegen waren persönlicher Besitz und wurden von jedem Esser selbst mitgebracht. Gabeln waren im Mittelalter verpönt, galten sie doch als Werkzeug des Satans. Auch die Trinkgefäße wurden von mehreren zugleich benutzt. Wenn man mit einer höher gestellten Person an einem Tisch setzen und mit ihm aus einem Becher trinken durfte, so bedeutete dies eine Auszeichnung. Die Redewendung "jemandem das Wasser reichen können" zeugt noch heute von den mittelalterlichen Tischsitten.

Um die Wurst

Essen und Trinken im Mittelalter

Wien Museum

Di bis So 9 bis 18 Uhr

bis 8. Jänner 2006

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