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Zwecksprache Werbedeutsdi

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Dieser Sommer findet bislang nur auf den Plakatwänden statt, denn statt Coca-Cola kam der Regen dem großen Durst zuvor, die Bombenerfrischung kommt statt von Schartner von oben, und die Autofahrer lechzen keineswegs nach der bananensüßen Frische, sondern kurbeln die Fenster hoch und stellen ihre Mantelkragen auf. Getränkewerbung im Sommer 1974 — bislang ein Desaster. Und wessen Blick eine der meterhohen Seiko-Uhren streift, der muß zweimal hinschauen, um festzustellen, daß die Wassertropfen auf dem Uhrenglas photographiert sind, denn die echten, vom Regen stammenden Tropfen sind viel zu klein, um sie aus Plakatentfernung wahrzunehmen. Trost vom Schoko-Schoko? Bensdorp wenigstens verspricht nicht die in diesem Sommer überreichlich vorhandene Frische, sondern mehr Schoko, mehr Schwung. Das paßt auch im Regen.

Werbedeutsch. Eine Welt für sich, eine Welt auf Plakatwänden und Anzeigenseiten. Auch, wer meint, völlig immun gegen jede Werbung zu sein, ertappt sich leicht dabei, wie er im Wickelwaokel zwischen zwei Marken jene wählt, deren Name ihm bekannt vorkommt, obwohl er keine von beiden kennt.

Werbedeutsch. Oft verhöhnt, schon von Tucholsky parodiert, von seinen eigentlichen Adressaten kaum zur Kenntnis genommen und doch resorbiert. Die Kommunikations-Ein-bahn Werbung will nicht reflektiert werden, sondern beeinflussen. Kaum jemand außerhalb der Werbebranche beschäftigt sich mit der Sprache der Werbung. Doch Werbedeutsch mag suggestiv sein oder nur lächerlich, mag seinen Zweck erfüllen oder nicht —die Werbesprache sagt mehr über die Zeit, in der wir leben, als die Essays der Soziologen und Nationalökonomen.

City — Zeit für City — Zeit für Abenteuer

Schon gelesen diesen Satz? Bewußt vielleicht nicht. Unbewußt vielleicht schon oft. Nur Naive stellen die Frage, warum das österreichische Tabakmonopol Millionen dafür ausgeben muß, eine neue Ziga-rettenmarke wie City zu lancieren,obwohl die Leute doch ganz von selbst zuviel rauchen. Fachleute kennen die Verkaufszahlen ausländischer Zigarettenmarken in Österreich und damit die Antwort.

Werbetexter sind Bestsellerautoren. Millionen Menschen lesen, was sie schreiben. Kein berühmter Schriftsteller hat mehr Leser. Nicht einmal Simenon. Allerdings liest sich auch schneller, was sie schreiben. Oft schreiben sie nur ein paar Worte oder ein paar Sätze.

Auch die Werbesprache kennt nicht nur verschiedene Stile, sondern eine Reihe von „Literaturgat-tungen“. Was dem Literaten Roman, Erzählung, Gedicht, heißt bei ihnen Prospekt, Anzeige, Plakat. Die knappste Werfoeaussage ist die des Plakats. Oft sind Plakattexte nur im Zusammenhang umfassenderer Werbekampagnen verständlich, gemeinsam mit Anzeigen'texten, deren Wirkung sie verstärken sollen, durch die sie ergänzt werden. Manchmal steht das Bild im Vordergrund, manchmal der Text. Manchmal spricht das Bild für sich selbst: Konki. Manchmal muß es interpretiert werden — oder Bild und Text stehen gleichwertig nebeneinander. Es gibt auch reine Textplakate. Während eines Londoner Zeitungsstreiks machte die „Daily Mail“ Imagewerbung mit einem großformatigen Plakat, auf dem nur sechs Worte standen: „We miss you too. Daily Mail.“

Und das war einer jener Glücksfälle, in denen sich iede Debatte über die Problematik der Werbesprache erübrigt. Solche Texte sind die Glanzpunkte im Leben von Werbetextern. Der Alltag schaut anders aus. Diesen Alltag kann man jederzeit vor jeder beliebigen Plakatwand studieren. Die Plaka'ttexte, von denen hier ausgegangen wird, sind durchwegs jetzt gerade in Wien affichiert, die Anzeigentexte stammen aus der jüngsten Nummer eines deutschen Nachrichtenmagazins, soweit nicht anders vermerkt.

Werbetexter sind gut bis hervorragend bezahlt, und wie immer man über das, was sie tun, denken mag — es ist richtig so, denn vor allem Werbetexter, die gleichzeitig für die Konzeption einer Kampagne verantwortlich oder mitverantwortlich sind, haben hohen Anteil am zumindest temporären Erfolg oder ^Mißerfolg von Produkten. (Das ist in kaum einer Branche so eklatant wie etwa in der Zigarettenbranche, und das Auf und Ab der Stuyvesant-Verkaufszahlen im Einklang mit dem Auf und Ab der Stuyvesant-Wer-bung ist ein klassisches Beispiel.)

Und wieviel Überlegung auch immer hinter der theoretischen Konzeption einer Werbekampagne stekken mag — wieviel davon zum Tragen kommt, hängt immer von den besseren oder schlechteren Einfällen der „Kreativen“, der Texter und der Graphiker, ab. Die beste Kampagne fällt mit einem schwachen Text oder mit einer schwachen optischen Umsetzung, die dabei wunderschön sein kann. Ich finde zum Beispiel das jetzt allgegenwärtige Milchplakat („Mit Natur gemixt“) sehr schön. Aber erkennt man, daß Milch im Glas ist? Stellt das in so vielen Werbetexten allgegenwärtige Wort „Natur“ eine Milch-Assoziation her? Und die Worte, auf die es ankäme, „Dazugehören — Milch trinken“, treten optisch etwas in den Hintergrund. Ich kann mir vorstellen, daß dieses Plakat den einen oder anderen veranlaßt, eine Limonade zu trinken.

Jeder Werbetexter steht unter dem Diktat einiger übermächtiger Imperative, die man kennen muß, um die Werbesprache in ihrem Glanz und Elend zu verstehen. Eine der mächtigsten Peitschen ist der Zwang, eine „neue“, „moderne“, „aktuelle“ Werbesprache zu schreiben. Nirgends wird, was heute, auch wenn es bei näherer Betrachtung komisch wirkt, halt doch fasziniert, so schnell nur noch komisch. Nirgends verbrauchen sich die Sprachklischees so rasant. Der Werbetexter muß ein außerordentlich feines Ohr für das Neue — und für die Verbrauchserscheinungen des nur kurz Neuen haben. Freilich: Die von den Spitzenkönnern abgelegten Kleider werden sodann, von Etage zu Etage hinunter, bis zum totalen Verschleiß aufgetragen. Und Werbewendungen, die bei den Großagenturen nur noch ein unwilliges Hochziehen der Augenbrauen hervorrufen, lösen bei Firmenchefs, die ihre Werbung selber stricken, fallweise die größten Begeisterungsstürme aus.

Augenblicklich scheinen in Wien Wortspiele „in“ zu sein. Prominente Beispiele: Seiko und 'Haas-Pudding. Beide Plakate entpuppen sich bei näherer Betrachtung als total frei von jeder falschen Aussage, weil sie nämlich überhaupt keine Aussage enthalten. „Eine Seiko. Jetzt!“ schreit es von (wenn ich richtig gezählt habe) drei verschiedenen Plakaten. „Jetzt! Mit einer Sommer-Seiko in den Seiko-Sommer!“ Wer da die Frage stellt, ob Seiko im Herbst eine Winter-Seiko lancieren wird oder gar wissen will, wie ein Seiko-Sommer beschaffen sein muß, ist kein Adressat für Werbetexte, aber vielleicht zieht bei ihm das Großphoto. Und gar der Zusatz, „Wir beherrschen die Zeit“, ist Prototyp eines Slogans, der dem aufgeblasenen und auf der Hand zerplatzten Papiersack gleicht. Unsere Zeit ist voll der tönenden Leerformeln — der Bedarf daran muß ungeheuer sein.

Auch für Haas-Pudding wird wortgespielt: „Schade, daß der feine Schmecker nicht auf Bäumen wächst. Der feine Schmecker schmeokt Feinschmeckern fein. Das neue Dessertprogramm von Haas.“ Wer mehr wissen will, der findet die absatzfördernde Antwort: „Schmecks!“

Neben Plakaten, auf denen das Wortgeklingel zum Geschepper wird, hängen die „reinen, einfachen Werbesätze“ wie: „Thalheimer ist guuut.“ Oder: „Rauch-Fruchtsäfte für Ihre Gesundheit.“ Hängen die mit suggestiven Nebensätzen ausgebauten „Kauf-Es-doch-Werbebot-schaften“:' „Verwöhnen Sie Ihre Beine mit Ergee.“ Oder: „4711 — Macht so herzerfrischend munter.“ Oder: „Ohne Sparen geht es nicht — die neuen Sparzinsen sind da!“ Nicht zu vergessen die Wortwitze („Steffi Export. Verkehrt in den besten Gläsern“), vor allem aber die großen Suggestiv-Botschaften: „Jacobs Monarch“. „Aromajestät.“

Letzte Neuentwicklung auf diesem Gebiet: „Komm dem großen Durst zuvor“, mit der Coca-Cola-Flasche. Wozu aufgefordert wird, das bleibt (wie die Flasche auf dem Plakat) in der Luft hängen. Trinken, bevor der Durst kommt? Oder nur die Flasche rechtzeitig in den Kühlschrank (oder Bierwärmer) stellen? Im Vagen liegt hier die Wirkung.

Anzeigentexte sind, der Situation, in der Anzeigen gelesen werden, entsprechend allemal differenzierter. In der Anzeige spielt der Texter sein Können aus. Plakate dürfen und müssen schreien, aber wer dem Nachbarn ins Ohr schreit, obwohl es ohnehin still ist, macht sich lächerlich. Daher sind Anzeigen — im Durchschnitt — wesentlich rationaler getextet als Plakate. Hier heißt es dann: „Nicht Genußsucht, sondern die Kultivierung des Genußsinns zeichnet den wahren Genießer aus. König-Pilsener.“ Oder, lustiger und an die jungen Umsteiger vom Elektrorasierer zur Naßrasur adressiert: „Techmatic — Damit Rasieren nicht in Arbeit ausartet.“

Oft leiten die „Headlines“ der Anzeigen in umfangreiche, informationsintensive Textblöcke über, wie in dieser vielfältig variierten Lufthansa-Anzeige: „Fahren oder Fliegen? Warum das .teuerste' Verkehrsmittel oft billiger kommt.“

Zwei Branchen feiern wahre Informationsorgien auf Anzeigenseiten. Die Phonobranche, die mit Leistungsdaten auffährt wie mit Tanks, und die Autoindustrie, die Vernunft und wieder Vernunft zu verkaufen vorgibt. Fünf volle Anzeigenseiten hintereinander für „Golf, der Kompakt-VW. Auto, Motor und Spaß“ (und dann eine Seite über das Auto, eine über den Motor und zwei über den Spaß). Hier kann man studieren, wie der Werbetexter auch eine Informationssprache solange zu drehen vermag, bis sie zur suggestiven Sprache wird.

Trotzdem ist das Werbedeutsch durch und durch eine rationale Sprache, wenn man von der angestrebten Wirkung ausgeht. Eine auf Wirkung und nur auf Wirkung, freilich auf vielfältige, bewußte und unbewußte, rationale und emotionelle Wirkung ausgerichtete Sprache, ein Werkzeug, mit dem etwas bewirkt werden soll. Man kann einen für Pitralon entwickelten Slogan auf die Werbesprache anwenden: „Kein Duftwasser, aber es wirkt.“ Auch sie wirkt, und wirkt auf kontrollierbare Weise. Ihr Effekt ist meßbar, wenn auch über die Meßmethoden gestritten wird. Und wenn die Ergebnisse nicht immer stimmen müssen.

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