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Der Wein und der Arzt

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Von altersher versammelten sich die Feinde des Weines um den Gedanken, daß der Wein gesundheitsschädlich und nicht heilsam sei. Bevor sie aber verkünden, der Wein sei der Gesundheit schädlich, behaupten sie, der Wein sei der Gesundheit nicht förderlich. Diese Kluft enthält alle Mißverständnisse, die die einen gegen die anderen ausspielen können. Und doch ist sein guter Ruf als Förderer und Erhalter der Gesundheit nicht von heute; im Gegenteil, die Menschen von früher haben dem Wein darüber hinaus auch noch magische und rituelle Eigenschaften zugesprochen. Die heutige medizinische Wissenschaft verfügt über einen festen Schatz an Beobachtungen und Tatsachen über den Wein.

Zu einem wesentlichen Teil sind die vielfältigen Wirkungen des Weines durch den Alkohol verursacht. Ebenso wie der Baum als Symbol von Gut und Böse erscheint, so ist im Heilmittel Tod und Leben verborgen. Nimmt es deshalb Wunder, daß auch der Wein Gesundheit und Krankheit in sieh birgt, daß er ein freundliches und ein schreckliches Gesicht zeigen kann? Wir wissen aber anderseits, daß es keine giftigen oder ungiftigen Stoffe gibt, es ist die jeweils einverleibte Menge, die Dosis, die eine harmlose Substanz zum schweren Gift oder umgekehrt die tödliche Droge zum Heilmittel macht.

Wie bei keinem anderen Genußmittel ist es in die Hand des Menschen gelegt, den Wein zu seinem Vorteil oder Nachteil zu gebrauchen. Seine Wirkungsweise kann sich vom leichtesten Grad der Anregung und Entspannung bis zur völligen Lähmung erstrecken. Vernünftiger Genuß steigert die Lebensfreude, und die Freude am Leben ist eine wichtige Ursache der Gesundheit. So ist der geistig gesunde Mensch nicht Sklave des Alkohols, sondern er besitzt in ihm einen Diener, einen Diener freilich, der auch unter Umständen einmal schlechte Sitten entwickeln kann, der diese aber nur dann entwickelt, wenn sein Herr darnach beschaffen ist.

Vom vernünftigen Alkoholgebrauch zum Alkoholmißbrauch ist ein weiter Weg, und beide trennt eine tiefe Kluft. Der Wein besitzt an sich nicht die Eigenschaft, den Menschen zum Genuß immer größerer Mengen zu verführen. Der geistig gesunde Mensch, der eine ihm einigermaßen befriedigende Existenz führt, denkt gar nicht daran, Trinker zu werden. An dieser Tatsache ändert sich auch nichts, wenn der Mensch sieh gelegentlich einmal betrinkt.

Das kann zum Beispiel nur bei gewissen Festlichkeiten stattfinden, oder auch öfters, während einer Periode flotten Lebens. Es hat gleichwohl mit der Trunksucht nichts zu tun, denn die flotten Studenten von früher wurden später oft die solidesten Herren, sowie sie in das Philistertum eingerückt waren. Wenn im Alkohol die Verführung läge, dann müßte die gesamte alkoholgenießende Menschheit im Trünke endigen. Die Betrunkenen müßten in allen Straßen zu finden sein, und das Säuferdelirium wäre das tägliche Brot des Arztes.

Der frivoleAlkoholgenußdes Trinkers hat seine Ursache nicht im Alkohol und nicht im Wein, sondern in bestimmten Zuständen und Eigenschaften des Menschen. Das Trinken ist nicht der Grund der Abnormität, sondern bloß deren Anzeichen. Der Alkohol provoziert die psycho-pathologisehe Persönlichkeit, entschleiert ihre Zustände und verschlimmert sie auch noch.

Es sollten damit viele Irrtümer auf diesem wichtigen Gebiete des unmäßigen Genusses geklärt sein. Für uns bleibt die Tatsache, zwischen Mißbrauch und mäßigem Verbrauch unterscheiden zu lernen, weil die Bekämpfung des Mißbrauches am Menschen selbst und nicht am Wein einzusetzen hat. Sauberer Wein ist unschuldig an den Missetaten, die ihm unterschoben werden. Im bekömmlichen und natürlichen Wein ruht sogardasbesteGegenmittelgegen Alkoholismus.

Es gibt ja zum Gegenbeweis noch Menschen genug, die vom edlen Wein zu Gemütlichkeit und Menschenfreundlichkeit gestimmt und zu edlen Taten begeistert werden. Hören Sie den Dichter des Mirza-Schaffy:

In Gemeinheit tief versunken liegt der Tor, vom Rausch bemeistert. Trinket er — wird er betrunken, trinken wir, sind wir begeistert.

In unseren Tagen beklagen viele den Verlust der Gesundheit. Aber wie mag erst die Welt unserer Enkel aussehen? Der Mensch muß die rücksichtslose Ausbeutung der Natur aufgeben und wieder ihr demütiger und gehorsamer Diener werden. Nicht die Natur muß gebändigt werden, sondern der Mensch.

Und die Aufgabe des Arztes ist es, durch kritische Trennung falscher oder übertriebener Darstellungen zu einer klaren Einsicht in die Verhältnisse zu gelangen. Wein ist für viele Sachen verantwortlich gemacht worden ... ohne angemessenen Beweis.

Wir wünschen alle, daß der Wein immer nur zu aller Gesundheit und Wohlergehen getrunken wird.

Wer mit dem Wein umzugehen versteht, kann der guten Gaben, die er uns zu geben vermag, teilhaftig werden, ohne durch Katzenjammer oder Dauerfolgen auf die Genauigkeit der himmlischen Buchführung gestoßen zu werden. So gesehen, gehört der Trank im Römerglase der Weisen zu den positiven Glücksgütern unseres Lebens.

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