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Auf prätensiver Stufe der Ein- und Ueber-schätzung des Geistigen ist es vielleicht nicht unangebracht, an den um einen Gegenstand sich rankenden Wortverbindungen aufzuzeigen, wie geistig sublimste Gehalte in ihrer ursprünglichsten Bedeutung etwas durchaus Konkretes, höchst Praktisches (in der wahrsten Wortbedeutung!) bezeichnen.

Der angeblich von den Phöniziern erstmalig gepflanzte und von dort nach den Inseln des Archipels gebrachte Wein hat aus abendländischer Pflege im pomologischen ; Sinne und in den geistig künstlerischen ( Niederschlägen seiner psychophysischen Wirkung auf die mediterranen Menschen und allmählich auf die gesamteuropäische Welt seine Prägung als bedeutender Kulturfaktor erhalten.

In Verbindung mit ihm kann jene verblüffende, ja ehrfurchtgebietende Bedeutungspotenz und Inhaltsfülle des in unserem Sprachgebrauch unentbehrlich gewordenen Wortes „Kultur“ schrittweise verfolgt werden. Das dazugehörige lateinische Zeitwort „colere“ bedeutet — wie es bei dem ursprünglich bäuerlichen Volk der Römer nicht verwunderlich ist — „bauen“, „bebauen“, also sich landwirtschaftlich betätigen. Daß es gleichzeitig auch „wohnen“ heißen kann, ist klar, denn Landwirtschaft setzt Seßhaftigkeit voraus. Dauernder Besitz will ferner „gepflegt“, „ausgebildet“, „veredelt“ werden. Die letzte Bedeutungsentwicklung in dieser Reihe: „verehren“, „anbeten“, hat schließlich ebenfalls noch ganz reale Ausgangspunkte: konkrete Orte werden zunächst „heilig gehalten“, aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit erwachsende Feste werden „gefeiert“ ... Und damit ist die Verbindung zu den gleichbedeutenden Hauptwörtern „cultura“ und „cultus“ gegeben. „Cultura“ ist die Bearbeitung des Bodens (agri) schlechthin (später in einem Wort „agricultura“). Wenn Cicero sagt: „Cultura animi philo-sophia est“ (Philosophie ist die Pflege des Geistes), dann hat das Wort für ihn und für seine Zeit noch die Grund bedeutung! Dieselbe ist auch dem zweiten bei uns beheimateten Wort „cultus“ eigen: erst s e-k u n d ä r, bedeutet es Pflege und Wartung auch anderer als landwirtschaftlicher Objekte (Acker, Vieh), z. B. des Körpers, und ■ schließlich „Verehrung“ (Götterkult). Dann aber drückt der Römer mit „cultus“ auch eben all das aus, was w i r aus seiner „cultura“ machten, nämlich in der Bedeutung von „kultiviert“, d. h., in den sichtbaren Aeußerungen der pfleglich-gebildeten Lebensweise, des Lebens- und Bildungsstandards. (Casars bekannte Wendung am Anfang seiner Gallischen Bücher, „cultus et humanitas provinciae“, bezeichnet etwa den [damaligen] „kulturellen und zivilisatorischen“ Status der römischen Provinz.)

„Weinkultur und Kultur des Weines“ ist also keine schillernde Wortspielerei, sondern eine gehaltbetonte Aussage über kulturhistorische Gegebenheiten. Möge diese Formulierung aber auch die Bekundung unseres Respekts dem Volk gegenüber enthalten, dem wir Späten nicht nur die Weinkultur (im besonderen unsere heimische!), sondern so unendlich viel an Kultur, ja letztlich die trotz unserer eigenen schöpferisch-reichen Muttersprache in harmonischer Gemeinschaft mit allen Kulturvölkern unentbehrliche Begriffsbezeichnung „K u 11 u r“ verdanken! *

Wie „Speis' und Trank“ lebt als untrennbare Einheit, weil Vollkommenheit von echter symbolischer Kraft, die Wortverbin-* dung „Brot und Wein“ in unserer Sprache. Man halte sich die Redewendung „Bei Wasser und Brot“ vor Augen, um gegenüber dieser Bezeichnung des nicht entratbaren Nahrungsminimums die nicht nur erhaltende,

sondern mehrende, bis zu übermenschlicher Fähigkeit steigernde Entfaltungskraft des „Elixiers“ Wein zu erfassen! Und eben solche Vorstellungsinhalte leben in der Welt des Mythischen und Kultischen. Die bloßen Götternamen der Antike, Dionysos und Bacchus, seien hier nur bescheiden genannt; mit ihnen verbindet sich eine Fülle persönlicher Bildungsassoziationen, sie sind Gegenstand weitläufiger religionswissenschaftlicher Forschungsarbeit. Ebenso darf in diesem Zusammenhang auf die Gleichnisse und Berichte der Heiligen Schrift und auf das allerheiligste Mysterium der Verwandlung von Brot und Wein nur demütig hingewiesen werden ... In der gelegentlich kaum zu entwirrenden Verwobenheit von Mythisch-Heidnischem und Religiös-Christ-■ lichem nehmen Weinbau und Wein im lebenden Brauchtum des Volkes einen erheblichen Raum ein. Stattlich ist die Zahl allein der österreichischen volkskundlichen Untersuchungen auf diesem Gebiet*.

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Nicht vom verlockend-genußreichen Endprodukt „Wein“ (nach ebenfalls mühsamer „Kellerarbeit“!) her ist die unzertrennliche Verbundenheit des Hauers mit seinem Berufe zu deuten. Alle vorher entwickelten Bedeutungen des „colere“ sind in seinem Werken, in fast magischer Hingegebenheit an den sich langsam entwickelnden und erst nach jahrelanger Wartung zum Fruchtsegen herangezogenen Rebstock, enthalten. Welche vermehrte Langmut erwartet die Rebe vom Hauer gegenüber dem Getreide vom Acker* bauer, für welchen Aussaat und Ernte in jährlichem Zyklus wiederkehren! Dies erklärt auch den nahezu dynastischen Geist bei den Weinbauernfamilien, dies die noch tiefere Liebe der Hauer zu ihrem Wein garten — und nicht .„Wein fei d“, wegen der zähen Kleinarbeit gegenüber der auch in den Gesten eingeschlossenen Großzügigkeit des Säers und Mähers ... Nur nüchtern-theoretisch anmutende sozialökonomische Erwägungen mögen angesichts der gleichnishaften, dem Pflegling nachgebildeten Verwurzelung der Weinbauern mit Gedanken einer Umwandlung von Weinbaugebieten in ren* tablere landwirtschaftliche Nutzungsflächen spielen. Ihnen widerspricht jedenfalls die ermutigende Tatsache, daß gegen die allgemein grassierende Landflucht Weingebiete am immunsten sind!

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Allein schon der wortbildnerische Reichtum einer Gegenstandsbezeichnung (einschließlich sinnverwandter Wörter) ist ein Maßstab für deren Bedeutung im Kulturleben. Ein Blick ins Wörterbuch, nein, in Wörterbücher verschiedener Sprachen, vermittelt eine staunenswerte Anzahl von gebräuchlichen Wortbildungen des Alltags-, lebens und der Berufsterminologie, die mit den bildhaften Wortschöpfungen der Poesie sich alle wie ein dichter Kranz um den Wein ranken. In Mythos und Sage, Fabel und Legende, Epos und Lied (Melos) strömt un-versieglich die Kunde vom Wein, fasziniert motivisch immer von neuem die Erkundung und Deutung seiner Wirkung. Spiegelt sich doch in ihr das problematische und erregende engste Nebeneinander äußerster Gegensätze, wie Segen und Fluch, Höhe und Abgrund, Erhebung und Zerstörung, gesteigerte Erkenntnis und hindämmernder Wahnsinn ... Selbst in der Trivialisierung, auch noch in der Entartung, schwingt und schwelgt, gröhlt und lallt schemenhaft das Rätsel dieser Wirkung.

* Vgl. Südtiroler Weinfibel von Karl Theodor Hoeniger, Verlag des Südtiroler Künstlerbundes Gen. m. b. H., Bozen 1946.

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