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Unsere landwirtschaftliche Guterversorgung

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Wieder muß sich der Österreicher — wie im Jahre 1919 — mit seiner Existenzsicherung befassen und neuerlich taucht die Frage nach der Lebenskraft dieses Wirtschaftsgebildes auf. Man verweist auf die mannigfachen Schwierigkeiten vor 1938 und fürchtet, daß besonders infolge des Schicksals großer Teile der österreichischen Industrie, die für den internationalen Tauschhandel notwendigen Güter nicht verfügbar sein werden, beziehungsweise daß nach der industriellen Wiedereinschaltung ein inzwischen errungener wertvoller Vorsprung ausländischer Wirtschaftskonkurrenten schwer aufzuholen sein wird; man werde daher — so wird befürchtet — die sogenannte lebenswichtige Einfuhr nur unter großen Schwierigkeiten bezahlen können. Die Antwort, inwieweit diese Besorgnisse berechtigt sind, kann nur eine Untersuchung der eigenen Güterquellen, und vornehmlich für die Urproduktion, geben. In großen Umrissen sollen heute hier reale wirtschaftliche Möglichkeiten umrissen werden.

Es erscheint verfehlt, die Wirtschaftsverhältnisse Österreichs vor 1938 mit denen des Jahres 1945 zu vergleichen, da wir neuen Tatsachen gegenüberstehen. Wenn trozdem an dieser Stelle auf das statistische Material auch vor 1938 zurückgegriffen wird, so erfolgt dies deshalb, da für die letzten sieben Jahre wenig verläßliches statistisches Material zur Verfügung steht und andererseits die Friedensziffern durchaus reale und dabei vorsichtige Möglichkeiten unserer Wirtschaft vertreten. Gewiß, der damalige Ausrüstungsstand der Wirtschaft ist heute nicht mehr gegeben, er wäre vorerst anzustreben, was nur mit alliierter Hilfe möglich ist; damit ist aber den nachfolgenden Zeilen keineswegs die aktuelle Bedeutung genommen, sollen sie uns ja nur mit den möglichen Güterquellen (bezogen auf einen durchschnittlichen Friedenskonsum) vertraut machen.

Zur Frage der Lebensfähigkeit sei grundsätzlich vorweg bemerkt, daß jeder Staat, der über ein bestimmtes, geschlossenes Wirtschaftsgebiet verfügt, lebensfähig erscheint, sofern seine produktiven Kräfte sinnvoll geweckt und sich die Konsumwünsche den gegebenen Produktionsverhältnissen anzupassen vermögen. Wichtig ist also der mögliche Versorgungsstand aus dem eigenen Lande, weshalb heute an dieser Stelle auf die heimatlichen Rohstoffe landwirtschaftlicher Herkunft Bezug genommen wird, deren Durchschnittsproduktionsziffern ein annäherndes Bild von dem Grade der Selbstversorgungs-möglichkeit Österreichs geben sollen. Damit soll keineswegs einer schalen Autarkie (die praktisch auch niemals zu verwirklichen it) die Stange gehalten werden, doch ist ihre Höhe in der gegenwärtigen Zeit der Unterproduktion, wie sie wohl einige Zeit andauern wird, ein beruhigender Maßstab wirtschaftlicher Selbsterhaltung. Auch in normalen Zeiten bilden die heimischen Rohstoffe die Aktiven, ohne deren Vorhandensein die Passiven keine Deckung finden könnten. An erster Stelle stehen die Güter zur Deckung des Nahrungsbedürfnisses. Die wichtigsten seien nachstehend zusammengefaßt:

Konsumgut Sg “w3 o- S a

2 Q i2

Weizen 3.000 2.400 32 780.000

Roggen 5.000 4.000 67 1,280.000

Hülsenfrüchte 160 120 75 30.000

Kartoffeln 25.000 6.000 100 440.000

Zucker 2.000 1.700 100 680.000

Fleisch 2.800 2.800 85 620.000

Milch 9.000 9.000 100 600.000

Butter 180 180 100 130.000

Käse 300 300 100 100.000

Eier 700 Mill. 700 Mill. 87 50.000

Stk. Stk.

Fette und öle 400 400 60 350.000

Gemüse 5.000 5.000 95 120.000

Obt 5.500 5.500 90 220.000

Summe der Reinkalorien . - . 5,400.000

Wenn man diese Ziffern einer Einwohnerzahl von 6.5 Millionen entgegenstellt, ergibt sich pro Tag und Kopf der Bevölkerung ein Reinkaloriensatz von ungefähr 2500. Damit könnte man ausreichen, jedoch auch wenn man einen Durchschnittskalorien-Höchstverbrauch von 3000 pro Tag und Kopf annimmt, wären rund 80 Prozent unseres Lebensmittelbedarfes gedeckt. Gewiß, es fehlen unter anderem Kaffee, Kakao oder Reis in dieser Aufstellung und auch sonst müßte der Verbrauch irgendwie gelenkt werden, aber das Bewußtsein allein um diesen sehr beachtlichen, in gewisser Zeit erreichbaren Versorgungsstand, kann uns Beruhigung bedeuten. Um den angezeigten Fleischverbrauch zu gewährleisten, wäre allerdings noch eine Einfuhr von 25 Prozent der Futtermittel notwendig.

Es kann ruhig behauptet werden, daß die Entwicklung der österreichischen Landwirtschaft friedensmäßig noch keineswegs abgeschlossen war, da insbesondere die Hektarerträge noch steigerungsfähig erscheinen (bei Weizen zum Beispiel 16 Doppelzentner, Roggen 15 Doppelzentner). Ein Hinweis auf die vergangenen Jahre bestätigt dies. Im Zusammenhange damit könnte eine gewisse Verbrauchsumlenkung eine noch bessere Versorgung gewährleisten (zum Beispiel Forcierung des Schaffleischkonsums gegenüber dem Verbrauch von Schweinefleisch). Man mag vielleicht einwenden, daß es in der Praxis bei weitem nicht so einfach erscheint, die Ernährung eines Volkes auf Grund einfacher Berechnung als sichergestellt zu betrachten. Sicherlich sind die Konsumbedürfnisse nicht für alle gleich. Das Problem erscheint mir daher bei den zweifellos realen Gegebenheiten vornehmlich eine Frage der Organisation. Kompliziert ist im allgemeinen nur die Versorgung der Stadt Wien, die stets aus Niederösterreich, dem Burgenland und dem Auslande sicherzustellen war. Schwierigkeiten könnte auch die Aufbringung der notwendigen Düngemittel, vor allem des Kunstdüngers, verursachen. So muß der kalihältige Kunstdünger bei einem Durchschnittsbedarf von 20.000 Tonnen zur Gänze eingeführt werden. Phosphorsalze bringen wir bei einer jährlichen Erzeugung von 40.000 bis 60.000 Tonnen auch nur zu zwei Dritteln des Bedarfes auf und 8000 bis 10.000 Tonnen stickstoffhaltiger Kunstdün-i ger decken auch nur ein Fünftel der notwen-* digen Menge. Eine Steigerung der Hektarerträge wäre mithin auch von einer gelungenen Lösung der Düngemittelfrage abhängig.

Es ist hier die Landwirtschaft als eine der vornehmsten Quellen unserer Güterversorgung — die Normalisierung unserer Verhältnisse vorausgesetzt — aufgezeigt. Das Bild wird aus den anderen Bezirken unserer volkswirtschaftlichen Eigenständigkeit zu ergänzen sein.

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