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Mehr Marketing in die Landwirtschaft

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In Österreich und den anderen Industrieländern quellen die Agrarmärkte über. Wenig Lösungen gibt es, wenn an der bisherigen Agrarpolitik festgehalten wird.

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In Österreich und den anderen Industrieländern quellen die Agrarmärkte über. Wenig Lösungen gibt es, wenn an der bisherigen Agrarpolitik festgehalten wird.

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Die tieferen Ursachen der wachsenden Getreide-, Zuckerund Schweineberge bzw. Milch-und Weinseen sind bekannt. Die ungünstige Wirtschaftslage, begleitet von hoher Arbeitslosigkeit, brachte den agrarischen Strukturwandel ins Stocken und stimuliert damit die wirtschaftliche Erzeugung. Zugleich dämpfte sie über stagnierende Massenkaufkraft die Nachfrage.

In den letzten Jahren wuchs die Agrarproduktion jährlich um rund 1,5 Prozent rascher als der Inlandsbedarf. 1984 mußten bereits ein Sechstel (850.000 Tonnen) der Getreideernte, über ein Fünftel (515.000 Tonnen) des Milchangebotes und mehr als ein Drittel (254.000 Stück) Rinder exportiert werden. Für die Stützung dieser Ausfuhren mußten im Vorjahr rund fünf Milliarden Schilling, davon rund 1,5 Milliarden von den Bauern selbst, aufgebracht werden. Erfreulicherweise konnte trotz all dieser Probleme in Österreich bisher eine systematische Benachteiligung der Bauern in der Einkommensentwicklung vermieden werden.

Zur Bewältigung dieser Agrar-überschüsse werden von der Wissenschaft sehr verschiedene, konkurrierende Strategien angeboten. Die meisten Ökonomen setzen auf den Markt als Regulator und empfehlen eine Senkung der Agrarpreise. Die wirtschaftlichen Vorteile einer marktwirtschaftlichen Lösung sind unbestritten. Die wichtigsten Einwände sind schwere Einbußen für die Bauern und der Mangel an außerlandwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten für diejenigen, die durch diese Politik aus der Landwirtschaft verdrängt werden sollen. Den Agrarpolitikern, die die Probleme in der Praxis bewältigen sollen, wird aber von renommierten Agrarökonomen auch das genaue Gegenteil geraten: Beseitigung der Uberschüsse durch administrative Eingriffe verschiedenster Art. Beispiele sind die Kontrolle des Angebotes oder des Produktionsmitteleinsatzes durch Quotensysteme.

Der Schlüssel zur Beseitigung schwer verkäuflicher landwirtschaftlicher Uberschüsse liegt meiner Ansicht nach in der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Je aufnahmefähiger insbesondere der industriellgewerbliche Arbeitsmarkt ist, umso reibungsloser verläuft der agrarische Strukturwandel. Der Angebotsdruck in der Landwirtschaft wird geringer und die Exportüberschüsse werden kleiner. Solange aber die Erlöse im Export die variablen Kosten (Düngemittel etc.) übersteigen und keine besseren Möglichkeiten für die Nutzung der agrarischen Ressourcen offenstehen, wäre eine Drosselung der landwirtschaftlichen Erzeugung auch volkswirtschaftlich nicht empfehlenswert.

Um aus der schwierigen Situation das Beste herauszuholen, sollte die Produktions- und Absatzstrategie für unsere Landwirtschaft überprüft werden. Die

Schwachstellen der heimischen Agrarproduktion sind:

# Sie ist ihrem Umfang und der Struktur nach nur zum Teil das Ergebnis rationaler Überlegungen und darauf basierender agrarpolitischer Weichenstellungen.

# In wichtigen Bereichen ist sie einfach historisch und ungeplant angewachsen - und spiegelt zum Teil auch das Durchsetzungsvermögen einzelner Gruppen.

# Marktpolitische Eingriffe waren meist auf Einzelsparten ausgerichtet. Zu wenig beachtet wurde, daß die einzelnen Märkte eng verbunden sind.

# Ausfuhren werden noch immer als Notmaßnahme zur Marktausräumung gesehen.

# Außenhandelsschutz, Preispolitik, Absatzsicherheit sind sehr verschieden und nur zum Teü rational begründet.

# UnserAgrarsystemistschwer-fällig und im Grunde defensiv. Neue Produkte werden oft diskriminiert — das „Klima” im Agrar-bereich ist zu wenig innovationsfreundlich. Traditionelle Massenprodukte (Milch, Zucker etc.) werden bevorzugt gegenüber Sonderkulturen wie Wein, Blumen oder Heilpflanzen.

Außerdem werden unsere begrenzten Mittel auf die Beseitigung anfallender Uberschüsse in traditionellen Bereichen konzentriert. Die aktive Suche nach neuen Produkten, neuen Absatzmärkten im In- und Ausland und der Aufbau einer schlagkräftigen Absatzorganisation gerät dabei ins Hintertreffen. Man sollte die Strategien erfolgreicher Agrarexporteure wie Holland oder Israel studieren und könnte vielleicht daraus einiges lernen. Dazu kommen gewisse institutionelle Gegebenheiten, die eine optimale, flexible Produktions- und Außenhandelsstrategie für die Landwirtschaft behindern. Es bestehen mehrere „Absatzförderungsfonds”, die primär der Finanzierung von Exporten dienen. Sie sind nach Produkten getrennt konzipiert. Die verfügbaren Gelder werden nur für das jeweüige Produkt verwendet, unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht sich dieses Erzeugnis im Ausland verkauft. Es wäre Überlegens-wert, alle verfügbaren finanziellen Mittel in einem einzigen Vermarktungsfonds für landwirtschaftliche Erzeugnisse zusammenzufassen, um flexibler auf Änderungen der Marktlage zu reagieren.

Die Landwirtschaft wurde auch immer mehr in die Rolle des Rohstofflieferanten für Industrie und Gewerbe gedrängt. Derzeit werden nur mehr rund 30 Prozent des Inlandabsatzes der Bauern in unbearbeiteter Form an die privaten Haushalte geliefert. Wegen dieser engen Verknüpfung zwischen Urproduktion und den ihr nachgelagerten Wirtschaftsbereichen wäre eine Einbindung des landwirtschaftlichen Erzeugungskonzepts in eine umfassende Marketingstrategie für die gesamte Ernährungswirtschaft erstrebenswert.

Der Autor ist Universitätsdozent und Agrarexperte im Osterreichischen Institut für Wirtschaftsforschung.

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