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„Milchüberschwemmung“ ?

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Der Beitrag „Überschwemmungsgefahr“ von Johann Schwabl in der Folge 33 der „Furche“ will die Intentionen unseres Landwirtschaftsministers dem Leserkreis offenbar verständlich machen, fordert jedoch zum Widerspruch heraus, weil er ein unvollkommenes Bild gibt und den viel weiter reichenden sonstigen Intentionen des Ministers — Stadt und Land zusammenzuführen; für die Belange der Landwirtschaft bei den Konsumenten zu werben; „Eine gesunde Landwirtschaft für alle“ — vor dem vorwiegend städtischen Leserkreis der „Furche“ Abbruch tut. Nach den Ausführungen des Autors kann man doch nur sagen: Da sieht man wieder einmal, wie unberechtigt dieses ewige Gezeter um den Milchpreis ist. Wenn man einen städtischen Leser schon mit den Einzelheiten des Milchmarktes befaßt, muß man das Thema umfassend behandeln; heute geht es aber darum — und die „Furche“ bemüht sich seit Jahren immer wieder in dieser Richtung —, das Ganze des Existenzkampfes der bäuerlichen Landwirtschaft dem städtischen Leser begreiflich zu machen; und es sind sehr viele Fragen, die die Revolution der Landwirtschaft unserer Tage aufwirft.

Was dem einen recht ist —

Es geht nicht an, von Überschwemmungsgefahr zu reden, wenn erst vor kurzem Butterknappheit bestand, wenn das Mehr über den Verbrauch nur einen Bruchteil darstellt, wenn für etwa kritische Tage der Zukunft keine Vorsorge getroffen ist, wenn auch andere Wirtschaftszweige „überschwemmen“, mehr erzeugen als verbraucht wird, dann aber nicht eine einzige Stimme dagegen aufsteht, denn schließlich „müssen unsere Arbeiter, unsere Fabriken, unsere Industrie und unser Handel leben“. Die Landwirtschaft braucht nicht leben? Ging doch erst kürzlich die Nachricht durch die Zeitung: unsere Eisenbahnen müssen Entlassungen vornehmen; sofort meldeten sich energisch die Gewerkschaften, und Entlassungen werden nicht vorgenommen (Im übrigen: Wer von uns wollte das?). Bauern aber kann man der Reihe nach entlassen, nur hat man hier dafür das schöne Wort „Gesundschrumpfen“ gefunden.

Der Autor spricht von Rechtslage, die zur Subventionierung der Milchproduktion awingt. Irrtum: Unrechtslage. Warum sollte dem Konsumenten kein echter Milchpreis zugemutet werden? Und wenn schon, warum ist dann diese Subventionierung eine Zumutung? Werden ihm denn ein echter Fahrpreis auf der Bundesbahn, werden ihm echte Baukosten bei dem mit Wohnbaudarlehen errichteten Eigenheim zugemutet?

Butterberg; hatten wir nicht kürzlich Buttermangel? Und wie groß ist der Butterberg eigentlich und wieviel eigentlich muß exportiert werden? Nach den Ausführungen von Herrn Schwabl beängstigend viel. Tatsächlich wurden 1960 bei einer Gesamterzeugung von etwa 2,8 Millionen Tonnen Milch etwa 1,5 Millionen an die Molkereien geliefert (1963 von drei Millionen Tonnen 1,8 Millionen Tonnen, 1964 nach den Ausführungen von Herrn Schwabl 1,822.000 angeliefert). Davon wurden ein Zehntel in Form von Butter, Käse, Trockenmilch exportiert, was einem Zwanzigstel der Gesamterzeugung entspricht. (1964 werden die Zahlen anders sein, aber im Rahmen bleiben.) Den damit exportierten 3200 Tonnen Butter stand aber ein Rohfettimport von 60.000 Tonnen gegenüber! Wie ist das eigentlich mit dem Import von Traktoren, die ja auch nur mit hohen Zöllen belastet importiert werden dürfen, obwohl wir einen „Butterberg“ haben, werden Rohfette importiert, und dann spricht man von Überschwemmung. Womit wird eigentlich überschwemmt, mit Milch oder mit Rohfett? Und womit darf überschwemmt werden — mit Milch oder Traktoren? Der Autor spricht von „bäuerlichen Forderungen, deren Erfüllung bisher noch zurückgestellt werden mußte“, soweit ich mich entsinne, ist dieses „bisher“ — trotz Ausmerzung vieler Symptome und so manchem Erreichten —r ein Dauerzustand. Gibt es solche Dauerzustände auch bei den anderen Berufsständen?

Oder: „Die Arbeitgeber müssen mehr zahlen und können die Mehrzahlung, die überdies steuermin-dernd ist, als Betriebsausgaben auf die Preise fortwälzen.“ Und wie ist das mit dem Fortwälzen der unmäßig gestiegenen Betriebskosten in der bäuerlichen Landwirtschaft?

„Weil ein erhöhter Milchpreis von vielen als unzumutbar empfunden würde... käme es wahrscheinlich zu einer, wenn auch geringen Verringerung der Nachfrage.“ Die Milch würde also doch verbraucht werden, trotz der erhöhten Preise; von hier droht also keine Überschwemmung, höchstens eine natürlichere Umlegung im Haushaltsbudget des einzelnen vom Fernseher und von der Spanienreise zur Milch. Jenen, die nicht fernsehen und nicht nach Spanien reisen, müßte die Allgemeinheit genauso helfen wie sie ihr beim Mieterschutz, beim Fahrpreis der Bundesbahn usw. hilft.

Und die unabsetzbare Butter: siehe oben, Fettimporte beziehungsweise Traktoren.

Wo ist der Beweis, daß ein besserer Milchpreis mehr Milcherzeugung zur Folge hat? Ist doch gerade der ungenügende Milchpreis die Peitsche, die uns nötigt, unseren Höfen, unseren Kühen, unseren Händen immer noch gesteigerte Erzeugung abzunötigen. Und wenn schon: Gibt es auch eine Rüben-und Zuckerschwemme? Wie macht man das eigentlich dort, daß die Rübenbauer nicht mehr erzeugen als verbraucht wird, und daß sie doch auf ihre Rechnung kommen?

Und schließlich: Wie heißt es im Bericht 1963 über die Lage der österreichischen Landwirtschaft des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, „Grüner Bericht“, Seite 47 links oben: „Bemerkenswert ist hierbei, daß... in der zweiten Jahreshälfte jedoch trotz Nachziehung des Milchpreises eine deutliche Abschwächung der Anlieferung zu verzeichnen war.“ Es war also nichts mit dem „grotesken, gegenläufigen Prozeß“, wohl aber sind offenbar die Arbeits- und Produktionsverhältnisse auf den bäuerlichen Höfen noch schlimmer geworden.

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