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Soll unser Brot im Ausland wachsen?

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In der österreichischen Volkswirtschaft liegen derzeit zwei Anschauungen zum Aufbau des Staates im Streit. Handel und Industrie wollen den Staat künftig nach liberalistischen Gesichtspunkten organisiert wissen, während die Arbeitnehmerschaft den Staatsaufbau und den Aufbau seiner Volkswirtschaft nach planwirtschaftlichen Gesichtspunkten vornehmen will. Im Streit der Meinungen hat das Gewerbe eine neutrale Haltung bezogen und schützt sich und seinen Bestand durch Beschränkung der Betriebsanzahl, Festsetzung von Mindestpreisen. Es kann so ruhig das Ergebnis des Kampfes abwarten. Anders liegt es bei der Landwirtschaft. Handel, Industrie, Gewerbe und die Arbeiterkammer sind interessiert an niederen Preisen der landwirtschaftlichen Produkte, da sie einerseits als Konsumenten bei einer Preiserhöhung der landwirtschaftlichen Produkte ihren Lebensstandard senken müßten oder andererseits eine Erhöhung ihres Lohnes verlangen würden, der wieder die Produktionskosten der Industrie steigerte. So ist der interessante Zustand eingetreten, daß vom gesamten Volkseinkommen 10 Prozent in die Landwirtschaft fließen, während der bevölkerungsmäßige Anteil der Landwirtschaft in Österreich über 30 Prozent beträgt, das heißt die Landwirtschaf t bekommt nur den dritten Teil des ihr zustehenden Einkommens und arbeitet dauernd unter ihren Gestehungskosten, ein Teil des österreichischen Volkes ist also von den übrigen wirtschaftlich unterjocht.

Diese Unterjochung zeigt deutlich die Preisfestsetzung bei dem Getreide. Der Preis für Roggen beziehungsweise für Weizen beträgt in Österreich S 110.— beziehungsweise S 135.— je Meterzentner, während der Preis für die Futtergetreidearten, als Mais, Gerste und Hafer, um 50 Prozent über den Brotgetreidepreisen liegt und sich ungestützt um 150 bis 180 Schilling bewegt. Es ist der groteske Umstand eingetreten, daß von Staats wegen das Viehfutter im Preise höher angesetzt wird als das tägliche Brot des Menschen. Noch schlimmer ist es, daß die Einfuhren gestützt werden, das heißt der Weltmarktpreis für Brotgetreide beträgt für Weizen S 240.—, die Differenz wird aus öffentlichen Mitteln getragen. Es erfolgt also eine Subvention der Verbraucher oder, was verwerflicher ist, es subventioniert der österrei-chischeStaatdieausländische Landwirtschaft. Dieser Vorwurf erscheint auf den ersten Blick als ungerecht, ist aber sofort erklärlich, wenn man bedenkt, daß die österreichische Landwirtschaft mit dem ihr zugebilligten Preis nicht ihr Auslangen findet, sie daher von ihrer Substanz leben muß, ihre Erzeugung zurückgeht, während man den ausländischen Produzenten einen höheren Preis zubilligt. Es wird bewußt also die ausländische Landwirtschaft subventioniert und gefördert, während der heimischen Landwirtschaft infolge mangelhafter Gestehungskosten der N o t p r e i s zugestanden wird. Die Folge dieser Politik ist klar vorauszusehen, es wird die heimische Getreidefläche immer mehr zurückgehen und es wird immer weniger Brot auf eigener Scholle erzeugt werden. Man könnte wohl von der Landwirtschaft verlangen, daß sie im Interesse des Volksganzen unter Verlust weiterproduziert. Hat ein Staat aber das Recht, dies zu verlangen? Haben die übrigen Stände, die infolge ihrer Meinungsverschiedenheiten über die Organisierung der Volkswirtschaft diesen Zustand hervorgerufen • haben, das Recht, dies von der Landwirtschaft zu verlangen? Soll diese die Streitkosten für sie zahlen? Ich glaube, bei ruhiger Abwägung der Argumente kann man nur feststellen, daß die Schuldigen die Kosten zu tragen haben, aber nicht jene, die unschuldig sind.

Der Streit wird so weit führen, daß man entweder mit Zwangsmaßnahmen die Landwirtschaft verpflichten wird, eine bestimmte Fläche an Brotgetreide anzubauen, also Zwangswirtschaft in der Demokratie, oder daß die Brotgetreidefläche sich immer mehr und mehr verringert, daß unserBrotnichtmehrinöster-reich wächst, sondern in Ubersee. Wir sind dann der Willkür unseres Brotgebers restlos ausgeliefert. Und wenn irgendwo in der Welt ein Ziegel locker wird, dann schnellt unser Brotkorb in die Höhe. Nur darum, weil zwei Meinungen über die Gestaltung der Volkswirtschaft in unserem Staate über ihren Streit die Notwendigkeit des Brotes für das ganze Volk vergessen haben.

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