Etikettenschwindel bei der Entwicklungshilfe

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NGOs kritisieren die Kürzung von Entwicklungsgeld, die Regierung redet von mehr Budget. Recht haben beide - weil Österreich kreativ rechnet.

Über Zahlen lässt sich’s trefflich streiten, heißt es. Jüngstes Beispiel: Der anlässlich der Abstimmung über den Finanzrahmen 2014-2017 entflammte Streit über die Entwicklungshilfe. Da protestierten vor dem Parlament Aktivisten der von 47 NGOs getragenen "Mir wurscht?“-Kampagne gegen etwaige Kürzungen und appellierten an die Parlamentarier, in der Sache "nicht umzufallen“.

Drinnen im Hohen Haus protes-tierte zwei Tage später Finanzministerin Maria Fekter (VP) gegen die Kritik der roten Entwicklungssprecherin Petra Bayr, die Außenminister Spindeleggers Politik "ignorant und verantwortungslos“ nannte. Österreich, so verteidigte Fekter ihren abwesenden Parteifreund, gebe allein über internationale Finanzorganisationen mehrere hundert Millionen Euro für Entwicklungshilfe aus: 2013 deutlich über 200 Millionen, zwei Jahre später 301 Millionen.

Regierung zählt Gesamtkuchen …

Wird also mehr oder weniger Geld für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ausgegeben? Das kommt darauf an, wo man hinsieht. Mit Blick auf den Gesamtkuchen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit ("Official Development Assistance“, ODA), hat Fekter recht: Rund 800 Millionen Euro hat Österreich im Jahr 2011 an die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemeldet. Rund ein Viertel davon sind die von Fekter angesprochenen Beiträge an internationale Finanzinstitutionen wie Weltbank oder Europäische Entwicklungsbank, die an die ärmeren Länder zu günstigen Zinsen Kredite vergeben. Ein gutes Geschäft für alle Seiten. Ob es sich tatsächlich um "Hilfe“ im Sinne einer Verbesserung von Lebensumständen benachteiligter Personen handelt, ist umstritten.

Ein knappes Drittel des Gesamtkuchens sind bestimmte Beiträge an EU und UNO. Mit eingerechnet in die ODA werden zudem Ausgaben für Asylwerber oder die Kosten für die Ausbildung bestimmter ausländischer Studierender. Im Klartext: Ein äthiopischer Student in Wien schlägt in der EZA-Statistik zu Buche - egal, ob er nach seinem Studium in seine Heimat zurückkehrt oder nicht. Im Jahr 2011 betragen diese "indirekten Studienplatzkosten“ immerhin rund 67 Millionen Euro.

Kritiker orten in dieser formal korrekten Vorgangsweise einen Etikettenschwindel: "Nicht alles, wo Entwicklungshilfe drauf steht, kommt bei den Menschen an“, betont etwa Michael Obrovsky von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). Er kritisiert auch die große Zersplitterung bei den Zuständigkeiten. So sind hierzulande allein sieben Ministerien mit Entwicklungshilfe befasst. Österreich gelte im Ländervergleich als "besonders kreativ“ in Sachen ODA-Kosmetik, so Obrovsky. Und Caritas-Präsident Franz Küberl sagt: "Die Regierung rechnet in die Entwicklungshilfe jeden rostigen Nagel ein.“ Als noch kreativer erwiesen sich übrigens die USA nach dem Irak-Krieg in ihrem - gescheiterten - Versuch, Geheimdienstkosten als "friedenssichernde Maßnahme“ in ihr ODA-Budget aufzunehmen.

… NGOs die Hilfe, die ankommt

Allerdings: Trotz aller Kreativität ist Österreich mit 0,28 des Bruttonationaleinkommens für 2012 (vorläufiger Wert), das für EZA aufgewendet wird, weit entfernt vom immer wieder versprochenen OECD-Ziel von 0,7 Prozent. Im Länder-Ranking der OECD belegt Österreich im Vorjahr nur den sechsletzten Platz - vor Portugal, Island, Spanien, Italien und Griechenland.

Während Regierungsvertreter eher mit dem Gesamtkuchen argumentieren, legen NGOs und Entwicklungspolitiker ihr Hauptaugenmerk auf den (mit etwa einem Zehntel vergleichsweise geringen) Anteil staatlicher Entwicklungshilfe, der in Form von konkreten Hilfsprojekten direkt bei den Menschen ankommt. Diese direkte, bilaterale Hilfe wird über die staatliche Entwicklungsagentur ADA abgewickelt und fließt etwa in landwirtschaftliche und medizinische Projekte oder Bildungsprogramme. Die ADA hat übrigens bald einen neuen Chef: Martin Ledolter (bisher im Kabinett des Außenministers) löst Anfang Juli Brigitte Öppinger-Walchshofer ab, die Botschafterin in Südafrika wird. Offen ist noch, wer den jüngst zum Generalsekretär des Außenministeriums bestellten Michael Linhart als Leiter der Sektion für Entwicklungsfragen beerbt. Die Stelle ist gerade ausgeschrieben.

Muss überall gespart werden?

Als die ADA 2004 gegründet wurde, war das Ziel, als Partnerin heimischer NGOs ein wachsendes Budget umzusetzen. Doch seitdem wird massiv gekürzt: Im Jahr 2010 waren für die operative, rot-weiß-rote Hilfe der ADA noch 85 Millionen Euro budgetiert. Heuer sind es nur mehr 68 Millionen. Doch mit dem Wunsch nach einer Erhöhung dieser Entwicklungshilfe, den alle fünf Parlamentsparteien im November in einem gemeinsamen Entschließungsantrag formulierten, sind die Abgeordneten bei der Regierung abgeblitzt.

Das heurige Niveau soll 2014 zumindest gehalten werden, heißt es im Büro Spindeleggers. Und Bundeskanzler Werner Faymann hat als Reaktion auf die jüngste Debatten versprochen, zusätzliche fünf Millionen Euro aus SP-Ministerbudgets zur Verfügung zu stellen. Diese "Notmaßnahme“ (© Küberl) werten NGOs als "Hoffnungssignal“. Allerdings: "Erstens sind das jetzt einmal politische Lippenbekenntnisse, und zweitens klafft auch bei gleichem Niveau im Vergleich zu 2010 eine gewaltige Lücke, die dringend geschlossen werden muss“, meint Roland Bauer vom NGO-Dachverband Globale Verantwortung: "Man darf nicht bei den Ärmsten sparen.“

Offenbar anders sieht das ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, der im Nationalrat betonte: "Leider hat auch Österreich - in geringerem Maße als andere Länder, aber doch, in den letzten Jahren über die Verhältnisse gelebt. Daher war es nötig, uns einen Pfad der Budgetkonsolidierung zu verordnen, auf dem alle Bereiche ihren Beitrag zu leisten haben.“ Auch darüber lässt sich also streiten.

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