"Wir müssen jetzt anfangen!"

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Die Holländerin Eveline Herfkens, Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Millenniums-Entwicklungsziele, nützt ihr Gespräch mit der furche vor allem dazu, um mit Österreich scharf ins Gericht zu ziehen.

Die Furche: Frau Herfkens, nach dem enttäuschenden Ergebnis des un-Gipfels in New York Mitte letzten Monats schaut es eher so aus, als hätten die Millenniums-Entwicklungsziele ihren Namen vor allem aus einem Grund: Wir brauchen noch tausend Jahre, bis wir sie erreichen.

Eveline Herfkens: Da bin ich nicht so pessimistisch. Nicht zuletzt in Vorbereitung auf diesen Gipfel hat sich die eu zur Steigerung des Entwicklungshilfe-Budgets auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandprodukts (bip) bis 2010 entschlossen, inklusive der historischen Entscheidung, dass jedes Land bis 2015 die von der uno geforderten 0,7 Prozent erreicht. So ein Abkommen wäre ohne den Gipfel nicht möglich gewesen.

Die Furche: Mehr Engagement der eu allein wird zuwenig sein ...

Herfkens: Auch Kanada, Japan, Australien steigern ihre Entwicklungshilfe-Budgets; und Sie dürfen die zweite Seite nicht außer Acht lassen: Genauso wichtig ist, dass die Regierungen in den Entwicklungsländern ihre Politik gegen Korruption, gegen Ungleichheiten, in Richtung mehr Bildung, mehr Gesundheit ausrichten. Und gerade hier erleben wir zur Zeit einen Bewusstseinswandel und echte Fortschritte. Oder noch ein anderes positives Beispiel von der Geberseite: Schweden sagt, 0,7 Prozent, come on, das geben wir seit 30 Jahren, ab 2006 erhöhen wir unser Entwicklungshilfe-Budget auf ein Prozent des bip.

Die Furche: Schweden ist aber da doch die Ausnahme ...

Herfkens: Es gibt vier weitere eu-Länder, die mehr als 0,7 Prozent geben und es werden bald mehr sein. Die Sorge bei diesen Verpflichtungen ist immer, dass sie nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Regierungen können bei der uno tolle Verpflichtungserklärungen abgeben - aber wenn sie heimfahren und sich nicht daran halten, dann können wir leider nicht die Polizei schicken - nach Finnland oder nach Österreich.

Die Furche: Sie würden gerne die Polizei nach Österreich schicken?

Herfkens: Kein Scherz, ich bin wirklich besorgt über die Haltung Österreichs, denn das war ja nicht die erste Konferenz, auf der Österreich ein Versprechen abgibt und sich dann nicht daran hält. Gut, dass Griechenland und Portugal in der Entwicklungshilfe nicht an vorderster Front stehen, verstehe ich, aber bei Österreich, bei einem der drei, vier reichsten Länder in der eu, fehlt mir dafür jedes Verständnis; alle anderen in dieser Liga haben seit Jahrzehnten 0,7 Prozent umgesetzt, Österreich schaffte letztes Jahr gerade einmal 0,24 Prozent. Nächstes Jahr hat Österreich die eu-Präsidentschaft und soll die Umsetzung der eu-Verpflichtungen vorantreiben - wie soll das gehen, wenn es selber zu den Schlusslichtern gehört?

Die Furche: Haben Sie diese Sorge unserem Bundeskanzler mitgeteilt?

Herfkens: Nicht die uno kann die österreichische Regierung zu einer Aufstockung der Entwicklungshilfe-Mittel bewegen - nur die Bevölkerung, nur das Parlament sind in der Lage Druck in diese Richtung auszuüben. Was in Ihrem Land dringend not tut, ist eine Mobilisierung der Bürger und des Parlaments für mehr Entwicklungszusammenarbeit ...

Die Furche: ... und für die Erreichung der Millenniums-Ziele bis 2015 und nicht erst in Tausend Jahren.

Herfkens: Die Ziele zu erreichen ist für die meisten Länder nicht das Problem: Es gibt die Ressourcen, es gibt das Fachwissen, es ist überall nur eine Frage des politischen Willens. Das Geheimnis für den Erfolg ist, dass sich beide Seiten, die reichen und die armen Länder, an ihre Versprechen halten. Wenn der globale Deal eingehalten wird, arme Länder ihre Politik verbessern und reiche Länder ihre Hilfe wirklich geben, dann lassen sich die Ziele sogar in den ärmsten Ländern erreichen - wir haben ja noch zehn Jahre. Aber wir müssen jetzt anfangen, und das gilt vor allem für Österreich.

Botschafterin Irene

Freudenschuss-Reichl, die Leiterin der für Entwicklungszusammenarbeit

zuständigen Sektion im Außenministerium, über die Schlacht um ein Stück vom begrenzten Budgetkuchen.

Die Furche: Frau Botschafterin, schaffen wir die Millenniums-Ziele?

Irene Freudenschuss-Reichl: Die Frage ist nicht so sehr, ob wir es als Industriestaaten schaffen, es geht mehr darum, dass die armen Länder ihre eigenen Pläne entwickeln, wie sie selbst der Armut beikommen wollen. Und dann erst kann die internationale Gemeinschaft unterstützend tätig werden. Und das geht nicht nur über eine Erhöhung und qualitative Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit (eza); da müssen auch der Handel oder die Agrarsubventionen ins Spiel kommen, denn diese Strukturen schaffen so ungleiche Wettbewerbsbedingungen, dass das mit Entwicklungshilfe nicht mehr auszugleichen ist.

Die Furche: Sind Sie in diesen Fragen dann als eza-Vertreterin in Konkurrenz mit anderen Ministerien?

Freudenschuss-Reichl: Sicher, wir müssen ja zu einer österreichischen Position kommen, und die setzt sich aus vielen Perspektiven zusammen: entwicklungspolitischen Interessen, Wirtschaftsinteressen etc. - die ja alle legitim sind. Es ist ja nicht so, dass das eine gut und das andere böse ist.

Die Furche: 83 Prozent der Bevölkerung unterstützen laut Meinungsumfragen eine Erhöhung der österreichischen Entwicklungshilfe - warum gehören wir trotzdem immer noch zu den eza-Schlusslichtern?

Freudenschuss-Reichl: Ich bin sehr froh, dass Bundesministerin Plassnik sich so dafür eingesetzt hat, dass Österreich bis zum Jahr 2010 sein Entwicklungshilfe-Budget im Einklang mit der eu auf 0,51 Prozent des bip steigert. Ohne sie wäre das nicht passiert. Ich glaube auch, dass die Österreicherinnen und Österreicher grundsätzlich bereit sind, eza zu unterstützen. Die Schwierigkeit kommt dann, wenn im Budgetprozess ein Mehr an Entwicklungshilfe mit einem Weniger an einer anderen staatlichen Leistung einhergeht. Dann gibt es Interessengruppen, die ihre Interessen sehr lautstark vertreten.

Die Furche: Wie stark ist da Ihre Position, sitzt die eza da eher am Katzentisch?

Freudenschuss-Reichl: Wir sitzen nicht am Katzentisch, aber es kommt schon darauf an, was der Gegenstand der Debatte ist: Wenn es um Frieden und Sicherheit und den Beitrag der eza dazu geht, da reden wir gut mit. Wenn es um Handelsinteressen geht, ist das Kräfteverhältnis ein wenig anders. Und wenn es um die Erhöhung der eza-Mittel geht, dann gibt es die große Schlacht aller gegen alle um die Aufteilung des Budgetkuchens.

Die Furche: Inwiefern hat sich bisher die Ausgliederung der Austrian Development Agency (ada) ausgewirkt?

Freudenschuss-Reichl: Wir haben eine klare Rollenverteilung: Die ada ist operativ, wir im Ministerium machen die strategischen und politischen Vorgaben; natürlich setzt das ein enges dialogisches Verhältnis voraus, um das wir uns bemühen und das über weite Strecken schon sehr gut funktioniert. Und eines lässt sich jetzt schon sagen: Durch die ada ist sicher eine Stärkung der operativen Möglichkeiten unserer eza eingetreten.

Die Furche: Und wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Nichtregierungsorganisationen und der staatlichen eza? Sind die ngos Impulsgeber oder mehr Störenfriede?

Freudenschuss-Reichl: Die ngos sind in sehr vielen Projekten und Programmen unsere Partner. Wir haben zwar nicht immer die gleichen Ziele und die gleichen Methoden, aber wir sind auf alle Fälle Verbündete in dem Bemühen eza in der Öffentlichkeit zu verankern. Die 0,7-Prozent-Kampagne war dazu sicher nützlich und hat auch mitgeholfen, dass die Bundesregierung jetzt bei den 0,51 Prozent der eu mitmacht. Und ich wünsche mir sehr, dass wir diese Verpflichtung umsetzen, so wie wir auch bisher eu-Verpflichtungen umgesetzt haben.

Die Gespräche führte Wolfgang Machreich.

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