"Wir erfinden die Berge neu!"

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Die Menschen geben den Bergen Sinn, meint Reinhold Messner im Furche-Gespräch. Gerade in einer Zeit, in der die Bergwelt von den Folgen der Globalisierung mehr und mehr an den Rand gedrängt wird, ist es entscheidend, regionale Gegenkonzepte zu suchen und zu finden.

Die Furche: Herr Messner, beim diesjährigen Forum Alpbach haben Sie Ihren Vortrag dem Thema "Lebens-Werte Bergwelt" gewidmet. Was ist die Bergwelt allgemein für Sie?

Reinhold Messner: Bleiben wir bei den Alpen, sonst geht's zu weit: Die Alpen sind zuerst eine Landschaft, die seit Jahrtausenden bewohnt und gepflegt ist, die der Mensch nach und nach in Besitz genommen hat bis hinauf zu den Waldgrenzen und zu den Almböden. Die zweite Landschaft - zur anderen gehörig und auf die andere draufgesetzt - hat der Mensch lange nicht genützt: die Eisregion, die Felsregion, die man früher Urlandschaft genannt hat. Diese Landschaft oben ist aber eine Garantie dafür, dass das Tiefland bewohnbar ist. Würden diese Hochregionen nicht mehr gepflegt, hätten wir Monokulturen, Verkarstung, Vermurung - Katastrophen. Die Menschen im Flachland und in den Städten müssen daher bedenken, dass auch sie bedroht sind von diesen fernen Bergen.

Die Furche: Welche Werte verknüpfen Sie mit den Bergen?

Messner: Die Urlandschaft hat Werte wie Stille, Weite, Erhabenheit. Aber auch Unverbrauchtheit, unverbauter Raum und sauberes Wasser gehören dazu. Trinkwasser wird einer der größten Werte der Zukunft werden. Diese Werte werden in diesem Jahrtausend immer wichtiger, denn sie fehlen. Im Tiefland werden mehr Menschen leben müssen. Im Flachland wird es Lärm, Hektik, Aggressionen geben. Deswegen halte ich es für sehr wichtig, dass wir den Bergen diese Werte lassen. Sie sollen weiterhin Erholungsraum sein.

Die Furche: Was bedeutet das konkret? Was dürfen wir, was nicht?

Messner: Man sollte alles tun, um die Bergbauern als Landschaftspfleger vor Ort zu halten und keine weiteren Infrastrukturen wie Straßen, weitere Seilbahnen, Hütten, Wege in der Kulturregion entstehen lassen. Dort oben soll die Welt bleiben, wie sie immer war. Diese Werte sind dann gleichzeitig eine Art Filter, dass nicht alle ganz nach oben durchsickern. Denn nach oben hin haben wir immer weniger Platz; die Berge werden nach oben hin schmaler und am Gipfel hat meistens nur einer Platz.

Die Furche: Was hat Sie selber in die Berge getrieben und zum Bergsteiger gemacht?

Messner: Bei mir war das die Biographie, ich komme aus den Dolomiten. In meiner Kindheit gab es in unserem Tal keinen Fußball- oder Spielplatz. Wir hatten nur die Möglichkeit auf Bäume und auf Berge zu klettern. Und das haben wir mit unseren Eltern gemacht. Später wurde das Bergsteigen eine Befreiung aus der Enge des autoritären Elternhauses, des Tales, des Landes. Mit diesem Blickwinkel, mit der Übersicht von oben komme ich auch immer wieder nach Südtirol zurück und versuche, diese Enge nach und nach aus dem Land herauszunehmen. Dafür werde ich alleine natürlich zu schwach sein. Trotzdem bin und bleibe ich in Südtirol. Heute bin ich auch stolzer Bergbauer, Autor und im EU-Parlament tätig. Ich möchte allerdings nicht als Politiker alt werden, sondern habe noch viele Ideen, die ich umsetzen will.

Die Furche: War das Bergsteigen ein Sich-Messen mit dem Berg oder war das auch ein Angezogen-Sein vom Berg?

Messner: Bei mir ist es eindeutig so, dass mich Herausforderungen motivieren. Ich erfinde meine Herausforderungen, lege in den Berg, der einfach nur da ist, etwas hinein, was eigentlich gar nicht da ist, und schaue dann, ob ich das umsetzen kann. Ich nähere mich dem Berg eher als Künstler als als Sportler. Der Künstler erfindet die Problemstellung ja selbst. Heute bin ich der Meinung, dass die Berge schon lange so gesehen wurden. Am Anfang des Alpinismus standen auch Wissenschafter, die hinaufgestiegen sind, um zu wissen, wie die Geographie, die Temperatur, der Luftdruck ist. Aber wir steigen hinauf und erfinden uns die Berge immer wieder neu. Wir geben ihnen einen Sinn, der vorbei ist, sobald ich wieder herunten bin. Daher ist für mich der schönste Berg immer der, den ich jetzt gerade vorhabe zu besteigen.

Die Furche: Vielerorts in den Alpen funktioniert dieses Sinn-Geben aber nicht mehr. Viele Gegenden in den Alpen sind nur mehr dünn oder gar nicht mehr besiedelt.

Messner: Die Hälfte der Alpenfläche liegt brach und vieles ist durch Verwitterung und Vermurung kaputt gegangen. Vor allem in den französischen Zentralalpen, in den italienischen Seealpen, in den ligurischen Alpen, im Piemont. Die lombardischen Alpen schauen fürchterlich aus, die Trentino Voralpen ebenso. Im Dolomitenland gibt es keine Landwirtschaft mehr, ganze Dörfer sterben aus.

In der anderen Hälfte der Alpen aber gibt es viele Gebiete, Regionen, Städtchen, die übernutzt werden. Dort wird Monokultur betrieben. Aber, man wird nie auf Dauer Industrie in den Hochtälern ansiedeln können. Das Zuliefern der Rohstoffe und das Abliefern der Fertigprodukte ist zu teuer. Die Industriegebiete werden immer in der Nähe der Ballungsräume bleiben. Deshalb sind wir gezwungen, im Gebirge Tourismus und Landwirtschaft zu verzahnen, um den ländlichen Raum zu stärken.

Die Furche: Können so neue Ansiedlungen initiiert werden?

Messner: In die entvölkerten Gebiete zurückzukehren, ist fast unmöglich. Ich selbst habe ein Projekt in einem Tal gestartet, wo vor fünfzig Jahren noch 2.800 Leute gelebt haben - jetzt leben noch 500 dort. Als ich hinkam, gab es kein Geschäft mehr, kein Gasthaus, man war am Überlegen, die Schule mit der des Nachbardorfes zusammenzulegen und es gab auch keine landwirtschaftlichen Betriebe mehr. Ich habe versucht, die Landwirtschaft zurückzubringen, mit einem Modell wie zu Ötzis Zeiten: Nomadenlandwirtschaft. Wenn das gelingt, könnte es sein, dass das ganze Dorf wieder langsam prosperiert und dann ein Hotel entsteht. Ein Erfolg wäre es, wenn ein schönes und touristisch erfolgreiches Gebiet entstehen würde, wo die jungen Leute wieder bleiben können.

Wenn ein Gebiet aber einmal ganz aufgegeben ist, ist es viel zu teuer, zurückzugehen. Wenn es uns nicht gelingt, die Bergbauern oben zu halten und die Flächen 30-40 Jahre brach liegen - dann hätten zwar die Grünen eine Freude daran (lacht!), weil die Bäume wieder zurückkehren, aber die Biodiversität wird leiden und vor allem hätte das noch viel schlimmere Umweltkatastrophen zu Folge als jetzt. Darum habe ich auch ein Buch zum Thema Bergvölker geschrieben, weil es mir mehr um die Menschen geht, die in der Bergen leben, als um die Gipfel.

Die Furche: Sie kennen die Berge dieser Welt, wo sind denn weltweit die bedrohtesten Bergregionen und -völker?

Messner: Die Bergregionen haben alle das gleiche Problem, dass sie nicht mit dem Tiefland konkurrieren können. Sie dürfen auch nicht im direkten Vergleichskampf stehen. Wenn wir in den Bergen auf Teufel komm raus die Milch zum gleichen Preis herstellen wie in der Poebene oder in Amerika, dann werden wir in den Alpen Pleite gehen. Die Maschinen sind viel zu teuer und die Distanzen sind zu weit. Daher müssen wir andere Zugehensweisen finden. Mein Vorschlag: Wir sollten im Gebirge eher biologische Landwirtschaft betreiben, wir sollten kurze Kreisläufe herstellen und mit der Verzahnung von Tourismus, Landwirtschaft und lokaler Kultur versuchen zu überleben.

Die Furche: Sie sind auch Politiker. Was kann die Politik dazu beitragen?

Messner: Die Berggebiete sind auch immer politisch im Nachteil: Sie stellen nicht genügend Parlamentarier und werden von der Mehrheit des entsprechenden Landes immer an den Rand gedrängt - außer sie schaffen die Autonomie.Wir in Südtirol haben in Italien aus volkstumspolitischen Gründen eine Autonomie geschafft, die uns heute auch wirtschaftlich einen Vorteil bringt.

Die Furche: Zurück zur weltweiten schwierigen Situation für Bergregionen.

Messner: In Tibet hat China das Land besetzt und mehr oder weniger an den Rand gedrängt, kulturelle und religiöse Eigenheiten gehen verloren. Man versucht, Tibet zu chinesisieren. Den Chinesen geht's um die Bodenschätze und um den Puffer zwischen Indien und China, das ist strategisch wichtig.

In Kaschmir, einem der schönsten Berggebiete der Welt, geht's um den Streit zwischen Indien und Pakistan. Kaschmir müsste wieder zusammengelegt werden und beiden Ländern gegenüber autonom sein. Als eigenständiges Land könnte es nicht überleben, es muss schon eingegliedert sein, aber es muss selber und eigenverantwortlich entscheiden können. Tschetschenien im Kaukasus hat ein großes Problem und auch in Südamerika gibt es wegen der wirtschaftlichen Krisen eine große Abwanderung aus den Berggebieten. Die Landflucht ist im Moment so stark wie noch nie.

Das heißt, wir haben weltweit Fälle, wo Leute aus den Bergregionen abwandern. Nur dort, wo eine Infrastruktur vorhanden ist und Mobilität möglich ist, ziehen Leute ins Gebirge. Dort kann es natürlich wiederum zu einer Übernutzung kommen, was natürlich auch negativ ist. Wir stehen also mehr und mehr zwischen zwei Extremen.

Die Furche: Können die Bergregionen von der Globalisierung profitieren?

Messner: Die globalisierte Welt ist nicht aufzuhalten, das ist eine Tatsache. Sie können heute jeden Punkt der Erde, wenn Sie die Mittel haben, im Nu erreichen. Es ist möglich geworden, Arbeitskräfte weltweit zu verschieben. Es ist möglich geworden, Industrie dorthin zu verlagern, wo die Arbeitskraft günstig ist. Autobahnen sind zu Lagern für große Unternehmer geworden, denn mit der Just-in-time Strategie kommt der Rohstoff genau in richtigen Augenblick. Diese Tatsache ist weder positiv noch negativ, sondern das ist so. Die Politiker haben es nicht geschafft, weltweit rechtzeitig Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir haben keine weltweite Politik, ja es gibt noch nicht einmal eine EU-Politik, die mit einer Stimme spricht.

Die Furche: Sind Bergregionen mit ihrer gewachsenen Kultur dann ein Bollwerk gegen eine globalisierte Welt?

Messner: Die Gebirge können die Globalisierung nicht aufhalten, denn wer draußen ist, der geht unter. Die Brennerautobahn wurde in den sechziger Jahren erbaut. Damals hatten nur wenige Leute etwas dagegen. Nun ist diese Straße eine große Belastung geworden. Ich verstehe die Anrainer, die dagegen protestieren. Hätten wir aber die Brennerautobahn nicht, wir würden wirtschaftlich untergehen. Wir brauchen diese Mobilität. Wir müssen uns nun eine Lösung überlegen, dass der Transitschwerverkehr von der Brennerautobahn verschwindet. Sonst ist das nicht mehr tragbar. Aber: Ohne Mobilität kann man heute nicht mehr in dieser globalen Welt mitgestalten und mitarbeiten. Und wenn jetzt ein Berggebiet sagt: Wir schneiden uns einfach ab, wie man einen Blinddarm abschneidet, dann geht dieses Gebiet unter.

Die Furche: Wo sehen Sie aber doch noch Chancen für Bergregionen?

Messner: Mit ihrer lokalen und regionalen Kultur - soweit sie sie bewahren konnten - haben die Berggebiete in der globalisierten Welt eine große Chance. Dazu zählt auch die Küche, die Tracht, der Dialekt. Man kann dem Globalen nur das Regionale entgegensetzen. Und jeder Bauernhof, jedes Dorf, jede Region, jedes Bundesland muss sich Marktnischen suchen.

Die Furche: Wo könnten diese Nischen zu finden sein?

Messner: Das was man früher "Heimat" genannt hat, was ziemlich besetzt war mit Blut und Boden-Rhetorik, bekommt jetzt eine neue Bedeutung. Wir müssen den Heimat-Begriff in der globalen Welt neu besetzen und sagen: das Unsere, das Bodenständige, der Kirchturm und die nächste Umgebung setzen wir der globalen Welt gegenüber. Da darf ich aber nicht hergehen und sagen: Ich mach jetzt Kassler Rippen im Alpbachtal und in der Früh Burger, wie die Amerikaner sie wollen. Wir geben den Leuten genau das, was wir normalerweise essen und immer schon gegessen haben. Denn die Leute wollen sehen, wie wir die Welt meistern, wie wir im Gebirge zurechtkommen, sie wollen unsere Lebenshaltung beobachten. Je mehr sich unser Leben, unsere Kultur, unser Essen, unsere Architektur aber dem 08/15-Stil annähert, desto mehr werden wir verlieren und nicht gewinnen. Das Unsere wird das Wertvolle sein.

Das Gespräch führte Cornelius Hell. Mitarbeit:Veronika Dolna.

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