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Es gab auch einmal eine Volkskunst

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um die Grabkreuze. Früher hat der Damülser seine Grabkreuze mit bunten Farben und frohen Symbolen bemalt. Nicht die. schwarze Farbe war vorherrschend, sondern die bunte, ein Zeichen, daß der Damülser Bąuer mit dem Tode auf vertrautem, fast möchte man sagen fröhlichem Fuße stand. Im Winter nahm er die Grabkreuze vorsorglich mit nach Hause, um sie nicht durch Monate hindurch im meterhohen Schnee versinken und durchfeuchten zu lassen. Gegenwärtig sieht man nur mehr schwarze Kreuze von der Art, wie sie auch sonst überall zu finden sind. Nivellierung des künstlerischen Schaffens und Schauens.

Wird der Fremdenverkehr die Rettung bringen und der Entsiedlung Einhalt tun? „Wintersportplatz und Erholungsort" steht auf dem Poststempel, Ohne Zweifel hat auch der Bergbauer seinen Nutzen davon, bringt er nun doch seine Produkte ohne Schwierigkeit an. Der Frächter hat Arbeit, der Schuster, der Hoteldiener, der Skilehrer und mancher kleine Gewerbetreibende, der da und dort etwas zu flicken oder zu liefern bekommt, findet neue Erwerbsmöglichkeiten. Das Dorf scheint aus seinem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf erwacht, es reibt sich die Augen und sieht, wie sich bunte Gruppen von Skifahrern auf den endlosen Schneefeldern tummeln. Das Dorf ist wirklich ein Eldorado des Skisports geworden. Weitgedehnte sanfte Hänge, kaum von Baumwuchs unterbrochen, nur hie und da eine kleine Felsstufe. Die Hänge münden in weiche Mulden, so daß auch der weniger Geübte eine wundervolle Abfahrt genießt. Das Antlitz des Dorfes hat sich geändert. Man braucht nur die Erweiterungsbauten einstmals kleiner Gasthöfe zu besehen, um sich über die Technisierung des Bergdorfes klarzuwerden, eine Technisierung, die viel tiefer ins Volksleben eingreift als die Aufstellung neuer Maschinen in einem Betrieb. Die Entsiedlung scheint vorläufig hintangehalten zu sein. Aber abgesehen von der Frage, ob der Skisport für alle Zukunft jene Anziehungskraft für die vermöglicheren Schichten besitzt wie jetzt, handelt es sich darum, ob damit nicht Entsiedlung ethischer Werte im Bergdorf Hand in Hand geht.

Voraussetzung für den Anschluß des Dorfes an die große Welt, auch im Winter, ist eine gute Straße, die stets offengehalten werden kann. Irgendwo haben nun Bauernburschen Zementrohre und behauene Mauersteine, die für den Bau der Straße ins Dorf bestimmt waren, ins Tobel rollen lassen und Vermessungspflöcke auf weite Strecken ausgerissen. War das nur unbändiger Übermut oder war es vielleicht irgendein unbestimmtes Gefühl, daß in der Straße allein das Heil nicht gelegen ist und daß durch sie die Abwanderung nun vielleicht erst recht leicht gemacht wird? Sei dem wie ihm wolle, jedenfalls ist mit wirtschaftlichen Vorkehrungen allein der Frage nicht beizukommen.

Anschauungen und Lebensweise der städtischen Bevölkerung scheinen manchem, der nicht stark in Glaube und Heimat verwurzelt ist, überlegen, und so sucht man sich ihnen anzupassen, angefangen vom saloppen „Hochdeutsch" bis zur Art, wie man die Pfeife im Munde hält. Wieder eine Nivellierung, eine Artgeistigeif Entsiedlung. Das Dorf scheint eine Filiale der kleineren oder größeren Stadt geworden zu sein, aus der die Gäste des Wintersportplatzes kommen.

Wer soll da nun der Entsiedlung steuern? Berufen hiezu sind vor allem die Vertreter der Landwirtschaft, die die Verhältnisse und Schwierigkeiten des Bergbauern kennen und geeignete wirtschaftliche Maßnahmen treffen und zum Teil auch schon getroffen haben, um der Abwanderung Einhalt zu gebieten. Berufen hiezu wären auch die Verantwortlichen des Fremdenverkehrs, die sich eine zielbewußte Förderung des Fremdenverkehrs in gleicher Weise angelegen sein lassen müßten, wie die Erhaltung der Dorfkultur, deren ethische Werte nicht außer acht gelassen werden dürften.

Berufen hiezu sind ferner die Träger der kulturellen Führung des Dorfes, der Lehrer und der Seelsorger.

Man hat gesagt: Aufs Dorf nur die besten Lehrerl Sehr schön, aber es wird Theorie bleiben, so lange die Besetzung der Lehrstellen nur von Amts wegen geschieht und keiner da ist, der, selbst aus dörflichem Milieu stammend, die Sorgen und Nöten der Leute kennt und selbst im Heimatboden so verwurzelt ist, daß er bereit ist, viele Jahre, vielleicht sein Leben lang, sich der Betreuung des Dorfes zu widmen. Wenn der Lehrer alle paar Jahre wechselt, wie es sehr häufig der Fall ist, trotz moderner Wohnung mit Zentralheizung und allem Komfort, wird von dieser Seite nur ein geringer Einfluß auf die Erhaltung und Gestaltung des Dorfes ausgehen.

Ähnlich ist es mit dem Seelsorger. Es sind meist junge Priester, die den Stra pazen des langen Winters und der steilen Wege besser gewachsen sind, die die kleinen Bergpfarreien zu betreuen haben. Auch sie suchen ihren einsamen Posten meist bald mit einem größeren Orte zu vertauschen, wo zwar vennehrte Arbeit winkt, aber auch mehr Anregung und berufliche Freuden geboten werden. Man hat von Priesterarbeitern gehört, die zum Beispiel in Frankreich in die Betriebe gehen, in Docks und Werften arbeiten und so die täglichen Lebensverhältnisse mit den Arbeitern teilen. Es sind Männer, die auf Gebieten, wo die geistige Entsiedlung vollendet ist, zurückzugewinnen suchen, was verloren scheint. Mit dem Bergpfarrer verhält es sich ähnlich, nur in ganz anderem Milieu. Hier gilt es nicht, zurückzugewinnen, sondern zu erhalten, was gefährdet und der Entsiedlung nahe scheint. Der Priesterarbeiter wird kaum die Einsamkeit kennen, in der der Bergpfarrer jahrelang lebt, und die nur ein großer Idealismus zu tragen vermag. Manche Behausung eines Bergpfarrers ist so primitiv, daß sie einem Pfarrer von Ars alle Ehre machen würde. Dazu ist er oft nicht bloß Pfarrer, sondern auch Mesner, unter Umständen auch Maurer, Schreiner, Erdarbeiter, Dachflicker und nicht selten auch Arzt für erste Hilfe. Der Bergpfarrer verdiente also nicht bloß die besondere Liebe des Ordinariats, sondern auch die Unterstützung aller öffentlichen Stellen in Dorf, Land und Bund, die der Entsiedlung zu steuern suchen.

So wirft ein Poststempel eine tiefe Problematik auf. Wintersportplatz und Erholungsort. Aber auch entsiedeltes Dorf.

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