Diesel-Skandal: Spiegel der Gesellschaft

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"Moral war in der Ökonomie noch nie eine allzu verlässliche Referenzgröße, wenn es um die Optimierung schwarzer Zahlen ging.

Matthias Wissmann war CDU-Verkehrsminister unter Helmut Kohl. Dann wechselte der Duzfreund von Angela Merkel ohne Abkühlungsphase in die Führung des Verbandes der Automobilindustrie.

Neben dem Einfluss der Autolobby und der Vernachlässigung umweltmedizinischer Erkenntnisse begünstigte noch etwas den 'Diesel-Skandal': das Märchen vom umweltfreundlichen Diesel-Motor."

Frühjahr 1886. Dem Ingenieur Carl Benz gelingt eine Sensation: Er entwickelt den ersten praxistauglichen Kraftwagen der Welt - das Automobil mit Verbrennungsmotor. Seine Erfindung beendet die Ära der Pferdekutschen und leitet ein neues Zeitalter ein. Heute, 132 Jahre nach Anmeldung des Patents, ist die Anzahl der weltweit eingesetzten Kraftfahrzeuge auf über eine Milliarde gestiegen.

Zeitreise in die Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2026. Der von Benz entwickelte Verbrennungsmotor ist Geschichte. Auf den Straßen bewegen sich ausschließlich Elektrofahrzeuge. Dieses Szenario prognostiziert der Physiker Richard Randoll in seinen Forschungen "Zum technologischen Wandel". Die Grundlage dieser Voraussage liefert das im Jahr 2015 beschlossene UN-Klimaabkommen. Demnach müssen spätestens im Jahr 2050 alle Autos ohne Benzin oder Diesel auskommen.

Zurück in die Gegenwart. Im Jahr 2018 ist der Verbrennungsmotor allgegenwärtig. Er dominiert nicht nur das Straßenbild, sondern ist wesentlicher Teil eines kontroversen, öffentlichen Diskurses. Allerdings könnte dieser wiederum dazu führen, dass sich die Randoll'sche Prophezeiung bewahrheitet.

Der Verbrennungsmotor wird aber nicht nur ein Kapitel der Technologie-Geschichte werden. Schon heute ist er ein Stück gelebte Sozialgeschichte. Wie ein Spiegelbild wird er späteren Generationen die derzeit herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und Wertvorstellungen aufzeigen. Er wird Aufschluss darüber geben, welche Bedeutung die Ökonomie, die Ökologie und die Gesundheit der Bevölkerung für politische Entscheidungsträger hatten. Denn bislang hatten wirtschaftliche Belange höhere Priorität als das "Recht auf saubere Luft".

Interventionen und Beeinflussung

Im Herbst 2015 erfährt die Öffentlichkeit, dass VW jahrelang bei seinen Dieselfahrzeugen geschummelt haben soll: Software kaschierte, dass Grenzwerte für Abgase nur unter Laborbedingungen eingehalten werden konnten. Später stellt sich heraus, dass auch Porsche, Audi, Daimler, Renault und Fiat-Chrysler mit der Manipulations-Software experimentiert haben sollen. Nicht alle waren überrascht, dass die verantwortlichen Manager auch gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung in Kauf nahmen, um noch mehr Geld zu verdienen. Das Mantra der "Gewinnmaximierung" wird BWL-Neulingen schließlich schon im ersten Semester eingetrichtert. Und Moral war in der Wirtschaftsgeschichte noch nie eine allzu verlässliche Referenzgröße, wenn es um die Optimierung schwarzer Zahlen ging.

Mittlerweile stärkte Brüssel zwar die Rechte für Verbraucher und Gerichte ebneten den Weg für Fahrverbote. Doch ein verantwortlicher Umgang mit dem Skandal seitens der Verursacher ist nicht sichtbar. Indes erwägt man im heimischen Verkehrsministerium einen Fonds einzurichten, um alte Dieselautos mit Abgasreinigungssystemen auszustatten (nach deutschem Vorbild). Dass dafür ausschließlich die Autohersteller zur Kasse gebeten werden, halten viele für Wunschdenken.

Bleiben die Fragen: Warum konnten die schwarzen Schafe der Autobauer in der Vergangenheit derart unkontrolliert schalten und walten? Warum schaute ihnen niemand auf die Finger? Die Antwort scheint simpel: Die deutsche Bundesregierung hält ihre schützende Hand über die Autoindustrie. Andere EU-Akteure nehmen in dieser Causa offenbar die Rolle von Statisten ein.

"Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela" - diese Worte sind unter Politikjournalisten zum Running Gag geworden. Mit ihnen beginnt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, jeden Brief an die deutsche Regierungschefin -und sie verdeutlichen die Nähe ihres Verhältnisses. Der CDU-Mann war einst Verkehrsminister unter Helmut Kohl - im Kabinett saß er mit Umweltministerin und Duzfreundin Angela Merkel. 2007 übernahm er dann -ohne "Abkühlungsphase" - die Führung des Automobilverbandes.

Seitdem soll er Dutzende Regierungsentscheidungen in seinem Sinne beeinflusst haben. Er soll auch interveniert haben, als sich im Mai 2013 (nach fünfjähriger Verhandlungszeit) die EU-Länder auf strengere CO2-Grenzwerte geeinigt hatten. Die Folge: Wenige Wochen später blockierte die deutsche Bundesregierung die Abstimmung über schärfere Vorgaben für Pkw. Auch eine Gesetzeslücke in der 2014 beschlossenen Abgasnorm "Euro 6" soll auf sein Konto gehen. Johannes Wahlmüller von der Umweltschutzorganisation Global 2000 spricht in diesem Zusammenhang von "erlaubten Manipulationen". So dürfte bewusst darüber hinweggesehen worden sein, dass eine Überprüfung der Fahrzeuge nie direkt auf der Straße stattfand. "Spezial-Reifen, ein ausgeschalteter Scheibenwischer, abgeklebte Autostellen. Das alles konnte den Abgas-Test im Labor optimieren -legal", sagt der Klimaexperte. Den Autobauern war auch erlaubt worden, sich Kontrolleure selbst auszusuchen. "Die beim Diesel-Skandal aufgedeckten Machenschaften waren nur die Spitze einer Vorgehensweise, die seit jeher gebilligt wurde", sagt Wahlmüller.

Gesundheit versus Wirtschaft

Dass Lobbyisten über persönliche Beziehungen zu Spitzenpolitikern, nicht selten auch über deren private Handynummern verfügen, ist in Deutschland ein offenes Geheimnis. Zudem gehört die Autobranche für manche Parteien zu den wichtigsten Großspendern. Laut Bayerischem Rundfunk befinden sich unter den größten Geldgebern die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quant sowie Daimler.

Es gibt aber auch einen Nebenschauplatz, der die freundliche Gesetzgebung gegenüber der Autoindustrie zumindest begünstigt: die unzureichende Zusammenarbeit der Politikfelder Umwelt und Gesundheit. Bereits in ihrer Gründungerklärung forderte die Weltgesundheitsorganisation WHO ein engeres Bündnis von Gesundheitsund Umweltpolitik. "Doch das gibt es bis heute nicht", sagt Franz Daschner, ehemaliger Leiter des Instituts für Umweltmedizin in Freiburg. Der Grund laut dem Fachmediziner: Bei umweltbedingten Krankheiten gibt es häufig keine einfachen, linearen Zurechnungen: "Nach einem Unfall kann der Arzt sagen: Sie sind gestürzt, deshalb ist der Knöchel gebrochen. Aber wenn ein Kleinkind an Asthma erkrankt, wird kein Labor nachweisen können, dass der Feinstaub vor der Wohnungstür dafür verantwortlich ist. Was nicht heißt, dass dem nicht so ist."

Feinstaub, Stickoxid und CO2 wurden zu Schlagwörtern des Diesel-Skandals. Aber was ist eigentlich was? Bei Stickoxiden handelt es sich um gasförmige Verbindungen (NOX), die in hoher Konzentration zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können. Hauptquelle für NOX sind aufgrund der hohen Verbrennungstemperaturen Dieselfahrzeuge. Stickoxide wiederum sind ein Teil der Feinstaubbelastung, die etwa auch durch den Staub von Baustellen entsteht. CO2, also Kohlendioxid, entsteht durch die Verbrennung fossiler Energieträger -also in jedem Verbrennungsmotor. Es wird für den Klimawandel verantwortlich gemacht.

Laut WHO soll alleine die Feinstaub-Belastung für jährlich drei Millionen vorzeitige Todesfälle verantwortlich sein. Der Bürger scheint den Umweltgiften schutzlos ausgeliefert zu sein. So weist der "Verkehrsclub Österreich" seit Jahren darauf hin, dass der vorgeschriebene Grenzwert für Feinstaub hierzulande doppelt so hoch ist wie Umweltmediziner empfehlen. Ohnehin würde es sich bei Grenzwerten stets um "politische Werte" handeln. Soll heißen: Das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung konkurriert stets mit anderen Interessen. "Es gibt bisher keinen einzigen Unterwert, auch nicht bei Stoffen, die als eindeutig krebserregend eingestuft wurden", heißt es auch in einer Erklärung von Global 2000.

Gemeinsame Ziele

Umweltgifte und die daraus entstehenden Erkrankungen sind nicht zuletzt auch eine soziale Frage. Laut WWF sind Menschen mit niedrigeren Einkommen und formalen Bildungsabschlüssen vom verkehrsbedingten Feinstaub besonders stark betroffen. So würden sie häufiger an verkehrsbelasteten Straßen wohnen und weniger unmittelbaren Zugang zu Grünflächen haben.

Dass es in der Vergangenheit Versäumnisse gab, steht außer Frage. Doch inwieweit die einzelnen Politikfelder bei der Zusammenarbeit versagt haben, ist schwer zu beantworten. Die deutsche Partei "Die Linke" wirft den zuständigen Gesundheitsministern vor, ihr Engagement erschöpfe sich im "Verschreiben von Medikamenten und der Behandlung in Kliniken". Aktive Gesundheitsförderung hätten sie indes nicht vorangetrieben. Parteivorsitzender Bernd Riexinger erklärte: "Um die Bevölkerung vor umweltbedingten Krankheiten zu schützen, braucht es ein europaweites Bündnis von Umwelt-, Sozial-und Gesundheitspolitik."

Neben dem Einfluss der Autolobby auf die Gesetzgebung und der Vernachlässigung umweltmedizinischer Erkenntnisse gibt es noch eine Meta-Ebene, die die Entwicklung zum "Diesel-Skandal" begünstigte: das Märchen vom Diesel-Motor als umweltschonende Alternative. Wie Christian Glatzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) beschreibt (siehe Interview), nützten die Automobil-Konzerte den Anfang der 1990er-Jahre aufkommenden Umweltschutz-Diskurs für ihre Zwecke.

Zumindest bis 2050 dürfte sich der Interessenkonflikt zwischen Wirtschaft, Politik und Umweltschutz verringern. Denn es gibt ein gemeinsames Ziel: Den Verkehrssektor von fossiler Energie unabhängig zu machen. VCÖ-Sprecher Glatzer gibt sich betont optimistisch: "Es wird darauf hinauslaufen, dass Fußgängern und Radfahrern mehr Platz im öffentlichen Raum zugestanden wird. Warum lieben die Menschen Venedig? Weil dort keine Autos fahren."

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